Abschied in Raten - wenn ich das gewusst hätte

Manchmal ist es schon erstaunlich, welche ungeheuerlichen Familiengeheimnisse sich an einem einzigen Nachmiitag offenbaren.

Schön sonnig, wie es heute war, haben wir wieder einmal den beschwerlichen Weg zur Terrasse auf uns genommen. In weiser Voraussicht der Dinge, die gnadenlos auf mich zurollen, habe ich heute kein Buch mitgenommen. Das Nichtvorhandensein eines sichtbaren Buches dämpft die Sehnsucht nach Lesen. Man wird ja mit der Zeit pragmatisch. Was nicht sein soll, soll eben nicht sein.

Da sitzen wir also auf der Terrasse. Über uns ein strahlendblauer, nahezu wolkenloser Himmel. Die Stille wird nur durch das Zirpen vereinzelter Grillen unterbrochen. Ich warte. Auch wenn Geduld ganz bestimmt keine mir sehr angetane Tugend ist, so warte ich eben. Es passiert.... nichts. Meine Mutter sitzt nur da und schweigt. ich geniesse diese Ruhe. Weil es so richtig schön warm ist, verspüre ich eine wohlige Müdigkeit. So ein bisschen Dahindämmern wäre gar nicht mal so schlecht. Meine Mutter sitzt immer noch da - und sie schweigt immer noch.

Ich atme die Luft ein - Wald pur. Es riecht nach Harz, nach Heidelbeeren und ein bisschen weht auch der Duft vom frisch gemähten Rasen unseres Nachbarns rüber. Es ist förmlich idyllisch. Ich betrachte meine Mutter. Ihr TShirt ist ihr im letzten halben Jahr etwas zu groß geworden. Sie sieht so zufrieden aus. Für mich ist das ein eher seltener Anblick, denn entweder tötet mich meine Mutter gerade mit Blicken, oder aber sie redet ohne Punkt und Komma. Aber heute ist es anders. Sie ist vollkommen ruhig.

ich überlege, ob es ihr gut geht. Seltsam ist das schon, dass so gar nichts kommt von ihr. Ich betrachte sie genauer. Atmet sie überhaupt noch? Einen Herzschlag lang keimt Panik auf - sie wird doch nicht einfach gestorben sein. Ich starre sie an und versuche herauszubekommen, ob sie blinzelt. Da ich ja selber auch blinzeln muss, bin ich mir nicht sicher. Vielleicht blinzeln wir synchron und dann kann ich es ja nicht sehen.

Emma, unsere Katze, schleicht sich an. Meine Mutter liebt Emma. Jetzt muss doch irgend eine Reaktion kommen. Aber meine Mutter sitzt immer noch bewegungslos da uns schweigt. Ich überlege, was ich jetzt machen soll. Wenn ich aufstehe, und feststellen muss, dass meine Mutter ihre letzte Reise angetreten hat, muss ich wahrscheinlich in irgendeiner Weise handeln. Mein Handlungsbogen reicht von Hysterie bis zur totalen Handlungsunfähigkeit - irgendwo in diesem Spektrum sehe ich vor meinem geistigen Auge die nahe Zukunft.

Aus dem Augenwinkel heraus registriere ich eine Bewegung. Santos, unser Rottweiler Malinois Mischling trottet mit heraushängender Zunge ums Eck. Er setzt sich neben mich und lässt sich den Kopf kraulen.

Meine Mutter fragt mich, ob die beiden verwandt wären. Nachdem ich den ersten Schreck über die plötzliche Wiederauferstehung meiner Mutter überwunden habe, versuche ich weiterführende Informationen zu erhalten, um die Frage nach der Verwandtschaft beantworten zu können.

"Wer?"

Meine Mutter sieht mich an, als wäre ich geisteskrank geworden. Na die Katze und der Hund. Jetzt ist es an mir, etwas perplex zu reagieren. Wird da gerade an der Evolution gebastelt?

Ich erkläre meiner Mutter, dass Emma eine Katze und Santos ein Hund ist. Die sind nur Freunde. Verwandt sind die beiden ganz bestimmt nicht.

Meine Mutter fragt mich, wer Santos ist. Sie habe Emma und Rocky gemeint. Rocky war einer der Hunde meines Bruders. Er sieht Santos in keiner Weise ähnlich. Aber, und das ist unumstritten - auch Rocky ist ein Hund. Somit ist auch eine Verwandtschaft zwischen Emma, der Katze und Rocky, dem Hund ausgeschlossen.

Um die Dinge wieder einigermaßen ins rechte Licht zu rücken, sage ich meiner Mutter, dass Rocky der Hund meines Bruders Klaus ist. Das hier wäre Santos, unser Hund.

Meine Mutter sitzt wieder vollkommen regungslos da, aber man kann so richtig sehen, wie ihre Gehirnwindungen arbeiten. Und dann sagt sie etwas, was mich bis in meine Grundfeste erschüttert.

Achso... Klaus und Rocky sind ja schon seit Ewigkeiten verheiratet......

Auch beim besten Willen kann ich dem nichts mehr hinzufügen.

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Steirermadl

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Joekah

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