Abschied in Raten - Dasein oder Leben oder???

Abends kommt die Ärztin, bringt eine Infusionsflasche mit, hängt meine Mutter an die Nadel und überlegt, was sie meiner Mutter sonst noch Gutes tun kann. Damit die Kraft nicht vollkommen schwindet, kommen Zusatzmittel in die Infusion. Ein leichtes Schmerzmittel, ein paar Kalorien, ein paar Vitamine......

Sie misst den Blutdruck. Die Werte fallen erstaunlich zufriedenstellend aus. Und meine Mutter bekommt eine Injektion, damit sich keine Thrombosen bilden.

Während die Ärztin mit meiner Mutter plaudert, erzähle ich vom missglückten Versuch meiner Mutter Flüssigkeit zu verabreichen. Ich werde darüber aufgeklärt, dass die Fähigkeit zu Schlucken wieder kommen kann, ich solle mir das nicht so zu Herzen nehmen. Auch wenn die Situation derzeit sehr belastend wäre, so sollen wir die Hoffnung nicht verlieren.

Das sagt sich so leicht, vor allem sprechen Herz und Kopf unterschiedliche Sprachen.

Als meine Mutter fertig versorgt ist, verabschiedet sich die Ärztin wieder und kündigt für den nächsten Tag einen neuerlichen Besuch an.

Dann sind wir mit meiner Mutter wieder alleine.

Josef überprüft zum wiederholten Mal ob meine Mutter bequem liegt. Ich stehe am Bett und denke, wie winzig meine Mutter jetzt aussieht. Winzig und friedlich. Ich frage mich, ob sie Schmerzen hat, ob sie uns hört, ob sie unsere Anwesenheit fühlt. Auch wenn ich es nicht mit Sicherheit sagen kann, so sagt mir die Intuition, dass sie einfach weiß, dass wir hier sind. Wie dieses Wissen im Detail aussieht ist nicht weiter relevant.

Während Josef sich immer wieder sehr profanen Dingen, wie Kaffeekochen widmet, überschlagen sich in meinem Kopf die Gedanken. Ist die Verabreichung von Kalorien in flüssiger Form Ernährung, die meine Mutter hätte haben wollen? Ist es Leiden verlängern, oder Leben retten, was wir hier tun. Josef denkt da in sehr viel einfacheren Strukturen als ich. Was sein muss, muss eben sein. Er sagt, er würde keinen Gedanken daran verschwenden, ob es an der ganzen Sache um Moral gehen würde. Eine Magensonde wäre was anderes. Aber so sind es ein paar Kalorien und Vitamine und es wäre kein Eingriff im eigentlichen Sinn.

Manchmal hätte ich gerne diese geerdete Ruhe, die er in so vielen Dingen einfach ausstrahlt.

Der Kaffee ist fertig und wieder einmal sitzen wir mehr oder weniger schweigend in der Küche. Mir fällt auf, dass sich meine Geschwister immer noch nicht gemeldet haben. Sicherheitshalber sehe ich auch meine Nachrichten durch, aber da ist nichts. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, eigentlich weiß ich nicht einmal, ob mich das jetzt beunruhigen soll. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, selber meinen Bruder zu informieren, aber den verwerfe ich ebenso schnell, wie er gekommen ist. Meine Schwester sollte Bescheid wissen, meine Informationen waren klar verständlich, zudem hat sie den Zustand meiner Mutter im Krankenhaus ja mit eigenen Augen gesehen. Vor allem könnte das Interesse doch auch mal von Seiten meiner Geschwister kommen. Allerdings ist das unwahrscheinlich, denn meine Schwester besucht uns zwar in unregelmäßigen Abständen, aber die Besuche sind kurz, reichen oft für kaum mehr als ein schnelles Mittagessen und einen ebenso schnellen Kaffee im Anschluss. Mein Bruder war in den letzten dreieinhalb Jahren ein einziges Mal zu Besuch.

Ich wünschte, ich könnte das Denken einstellen, aber je mehr ich es versuche, desto mehr Gedanken schießen mir durch den Kopf.

Ich schnappe mir Emma, unsere Katze und klage ihr mein Leid. Emma ist alt und geduldig und die flauschigste Katze der Welt. Und sie verfehlt nie ihre Wirkung. Ich werde ruhiger und gefasster.

Josef steht wieder auf, um nach meiner Mutter zu sehen. Ich frage mich, was er sich erwartet? Eine Spontanheilung?

In dem Moment, wo ich das denke, muss ich selber zugeben, dass solche Gedanken ungerecht sind. Und ich muss mir eingestehen, dass ich keine Ahnung habe, wie es Josef mit der Situation geht. Schließlich ist er es, der seit über drei Jahren der Lebensmittelpunkt meiner Mutter ist. Das wird wohl auch Spuren an ihm hinterlassen.

Es wird auch an mir Spuren hinterlassen, aber im Moment nimmt mir das bedingungslose Funktionierenmüssen jegliche Gedankenfreiheit, die ich vielleicht entwickeln sollte, um emotional nicht vollkommen überrollt zu werden......

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

zeit im blick

zeit im blick bewertete diesen Eintrag 15.03.2016 12:17:55

Eveline I.

Eveline I. bewertete diesen Eintrag 15.03.2016 12:03:34

7 Kommentare

Mehr von gemini