„Also ich bin der Meinu..." - „Ich seh' das so:"

Unterbrechen und Recht haben. Das ist etwas, was Menschen gerne tun. Mir passiert es auch, weniger als früher, aber doch. Eine depperte Angewohnheit:

Ich sitze nicht oft beim Wirt. Aber letzten Freitag haben wir eine Freundin zum Essen eingeladen. Im Gastgarten war zu später Stunde nur ein weiterer Tisch besetzt, dort saßen zwei Männer und zwei Frauen. Sie dürften dort schon länger im Lokal gewesen sein, weil die Lautstärke erstens weit am Begriff von „Tischlautstärke" - oder wie auch immer man das nennt - vorbei war und doch schon eine gute Anzahl leerer Gläser rum stand. Zu hören waren nur die beiden schon älteren Herren, wie sie über Agenden des Bauernbundes, die Scheiß-EU und die Notwendigkeit von Pestizideinsatz schwadronierten. Die Frauen saßen daneben und schwiegen. Schaltete sich eine ins Gespräch ein, wurde sie sofort unterbrochen und wieder aus dem Gespräch entfernt. „Des is a Bledsinn", oder einfach Ignoranz.

Unser Gespräch wiederum drehte sich um die Arbeit und war deswegen auch nicht minder emotional, wenn Wochenends etwas zu bequatschen ist. Aber irgendwie – Achtung, Selbstlob! - waren wir drei da um einiges gesitteter. In dem Fall haben meine Lebensgefährtin und ihre Freundin und Arbeitskollegin über ihre Arbeit geredet, ich war nur der Kommentator. Eigentlich war ich massiv stolz, dass ich seltenst jemanden unterbrochen habe; außer ich fühlte mich missverstanden, was schon einmal vorkommen kann. Der Regelfall ist das nicht. Ich tendiere leider sehr oft dazu, andere Menschen zu unterbrechen. Ich versuche es mir abzugewöhnen, mache es leider trotzdem recht oft.

Gott sei Dank bin ich damit nicht allein. Naja, Gott sei Dank ist übertrieben, eigentlich ist es ziemlich peinlich. Männer* machen das nämlich sehr gerne und die Hintergründe sind laut sozialwissenschaftlichen Studien nicht immer gute. Das Ganze fasst das Wort „Mansplaining" gut zusammen. Das Wort setzt sich aus „man" und „explain" zusammenund bedeutet, dass man den anderen, meistens Frauen, gerne die Welt erklärt, noch dazu ziemlich ungefragt und weniger als Gespräch, denn als Belehrung. Das fängt schon im Kindesalter an. Schüler haben eine um 50Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, in der Klasse einen Kommentar abzugeben und eine um 144 Prozent höhere, drei Mal etwas zu sagen.

Das setzt sich im Erwachsenenalter vor. Patient*innen unterbrechen eher weibliche als männliche Ärzt*innen, in Meetings beträgt die Redezeitvon Frauen nur rund 25 Prozent, in den Medienwerden nur zwischen einem Fünftel (Print) und einem Drittel (online) der Kolumnen von Frauen verfasst. Eine online nicht mehr auffindbare Metastudie aus dem Jahr 1998 will bewiesen haben, dass Männer Frauen zu einem Gutteil aus einem Grund unterbrechen: Um Macht zu demonstrieren. Allerdings ist auch so, dass Frauen generell– auch von anderen Frauen – eher unterbrochen werden als Männer.

Ihr könnt das alles sehr gerne in eurer persönlichen Feldstudie beobachten. Setzt euch mal allein zum Wirt'n und beobachtet vor allem Tische mit mehreren Pärchen. Mann erklärt die Welt, Frau wird ausgeschlossen. Mir ist das mittlerweile schwerst peinlich, wenn ich unterbreche und mir einbilde, es besser zu wissen.

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Judith Innreither

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Claudia Weber

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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Georg Sander

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