Eine Wahl ist kein Fußballspiel und Leihstimmen sind ein Blödsinn

Nichts ist es geworden mit dem viel beschworenen „Duell um Wien“. Aufgebaut wurde es trotzdem so. Vor allem, weil es den Spitzenkandidaten von SPÖ und FPÖ entgegen kam.

Dass sich Rot-Grün noch einmal ausgehen wird, daran habe ich nie gezweifelt. Das müsst ihr mir einfach glauben, wer will, kann meine Lebensgefährtin fragen. Wie dieser Wahlsonntag medial aufgebaut wurde, war aber irgendwas zwischen bescheuert und vollkommen bekloppt. Eine Wahl, in der es um die maßgebliche Gestaltung der nächsten fünf Jahre oder darüber hinaus geht, ist doch kein Fußballspiel, vor dem Boulevard und Qualitätsjournalismus Stimmung machen können. Gekrönt wurde die Blamage mit der Wahlumfrage um 17 Uhr. Die war kilometerweit neben der Realität und das hätte man irgendwie schon wissen können – zumindest, wenn einen der Arbeitgeber für das Erstellen von Prognosen bezahlt.

Zur Erinnerung: Rot (44,34 %) und Grün (12,64) hatten bei den Gemeinderatswahlen 2010 eine mehr als komfortable Ausgangslage. Blau (25,77) eine starke, aber 20 Prozentpunkte hinter dem Ersten. Ich weiß nicht, wie man darauf hätte kommen können, dass sich da für die FPÖ so etwas wie der erste Platz auch nur annähernd ausgehen könnte. Die Wienerinnen und Wiener sind ja nicht komplett bescheuert. Denn in nahezu jedem Ranking rangiert Wien als eine der lebenswertesten Städte der Welt. Der Bürgermeister und seine Vize bewiesen, wie viele Bewohner*innen auch, Haltung, als der Krieg in Syrien Zwischenstopp an den Bahnhöfen machte. Wie sollte in dieser aufgeklärten, über weite Strecken weltoffenen Stadt eine offen xenophobe Partei, deren Spitzenkandidat vor zwei Jahren vom obersten europäischen Sozialdemokraten Martin Schulz als „Nazi“ bezeichnet wurde, die SPÖ überholen? Bei 20 Prozent Rückstand, als Ausgangsposition`?

Auf dieser Basis ein „Duell“ herbei zu fabulieren ist von beiden Seiten schon ein starkes Stück. Sicherlich dürfen die Parteien per se das schon tun. Jedes Mittel ist recht. Man verzeihe mir nun die Analogie, aber jeder Fußballtrainer versucht vor wichtigen Spielen mit solchen Sprüchen aufzufallen. Da wird gemäkelt, dass der eigene Spielmacher schon hart rangenommen wird, die PR-Abteilungen graben Statistiken aus, vielleicht lässt sich der eine oder andere Kollege der Lokalzeitung aus Stadt A dazu hinreißen, in Stadt B stünde es etwa finanziell nicht gut. Nur ist es die große Frage, ob man diesen Spin auch übernimmt. Und diese müssen sich fast alle großen Medienhäuser, angefangen beim Staatsfunk, stellen: Waren wir zu naiv? Denn, um nochmals beim Fußball zu bleiben: Das war kein Duell Bayern – Dortmund oder Real gegen Barca. Eher Bayern – Leverkusen oder Real gegen Valencia. (Anm.: Leistungsmäßig ebenfalls recht starke Erstligisten, aber keine Titelkandidaten).

Doch diese ganze Verfußballerisierung des Wahlkampfs führte zum Umstand, dass nun viele „ein letztes Mal“ SPÖ gewählt haben wollen oder, besser, ihre Stimme Häupl „geliehen“ haben wollen, obwohl man eigentlich doch nur Strache verhindern hätte wollen. Es wären „Leihstimmen“, diesmal ein grüner Spin. Das ist auch ein Blödsinn. Spätestens Sonntag 18 Uhr war klar, dass die Wahlumfragen und Prognosen großer Blödsinn waren, das Duell nützte Häupl und Strache. Aber die Leihstimme gibt es nicht. Die pickt jetzt für fünf Jahre bei den 39,6 Prozent herum. Funfact: Leihstimmen gibt es vielleicht im Fußball. Der Dortmund-Fan wird jedem Team, das gegen Schalke oder Bayern spielt, die Daumen halten. In der repräsentativen Demokratie geht das nicht.

Einen Spin haben wenig überraschend kaum Medien übernommen. Den der FPÖ vom Wahlbetrug. Die inserierte bekanntlich einen „Finderlohn“ von 5.000 Euro, würde jemand einen Betrug „aufdecken“. Dieser Spin war dann doch zu blöd. „Duell um Wien“ und „Leihstimmen“ wurden dennoch gerne genommen. Vermutlich auch, weil es reinpasst. Wahrscheinlich ist es auch so, dass – neben den Auflagen – der innere Auftrag, die Wahrheit zu schreiben und sie wie im Falle des Duells zu beugen, doch überwog. Die Inhalte, wie die gemäßigten Parteien SPÖ, Grüne, ÖVP und Neos die vielen unzufriedenen Wähler*innen von den Rechtsextremen ( © New York Times, Guardian, France 24), waren vielleicht mit einer Lupe in irgendwelchen Artikeln zu finden. Ja, Wien ist lebenswert, aber den Druck auf den Bürgermeister aufzubauen, sich für viele Verfehlungen der Stadt Wien zu rechtfertigen, hat man einfach links liegen gelassen. Freunderlwirtschaft im Wohnbau? Wie sollen Gemeindebauten überhaupt nachhaltig finanziert werden? Wie sieht es mit den Pensionen für Gemeindebedienstete aus? Ist es nicht, bei aller berechtigten und viel zu lasch formulierten, Kritik an Strache verwunderlich, wenn Expert*innen meinen, ebenjener hätte es schwer, gegen einen „roten Beamtenapparat“ zu regieren?

Freilich, Häupl will etwas ändern und auch SPÖ-internformiert sich Widerstand gegen Bundeskurs. Was der bringt, wird erst die Zukunft weisen.

Und für mein persönliches G'spür als geborener Wiener ist ein Häupl um Welten besser als Strache. Aber das Duell gab es nie.

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Daniela Noitz

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fischundfleisch

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