Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde mir in einer Diskussion erklärt, dass Rechts und Links keine tauglichen politischen Kategorien mehr sind. Einen Wahlkampf später beschimpfen sich die Wähler wechselseitig als Rechte und Linke, wobei die Argumente kunterbunt miteinander vermengt werden. Schuld sind in jedem Fall die anderen und dafür verantwortlich sind die Politiker.

Tatsächlich scheinen die politischen Parteien nur noch an kleinlicher Klientelpolitik interessiert, bei der die wirklich drängenden Probleme, auch aus Furcht vor unpopulären Entscheidungen, nicht mehr angegangen werden. Ein angestrebtes, oder gar ein gemeinsames Ziel scheint es nicht mehr zu geben, weil offenbar niemand in der Lage ist, ein solches zu formulieren.

Währenddessen werden die wenigen Reichen immer reicher und das Heer der Armen immer größer. Weltweit, europaweit und in gemilderter Form auch in Österreich. Aber anstatt über irgendeine Form sozialer Gerechtigkeit zu diskutieren, streitet man über die Höhe von Grenzzäunen und beginnt, die Armeen aufzurüsten. Mit unvorstellbaren Mengen an Geld werden Banken gerettet, während gleichzeitig tausende Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken und Europa nicht in der Lage, oder nicht willens ist, die unvermeidlich Ankommenden geordnet zu betreuen.

Die industrielle Revolution 4.0, so nennt man die industrielle Entwicklung auf Grund modernster Informations- und Kommunikationstechniken, im Gegensatz zur computergesteuerten Produktion (Industrie 3.0), wird in den nächsten 10 - 15 Jahren vermutlich 25 % der Arbeitsplätze in den westlichen Industrieländern vernichten. Gleichzeitig sitzen in den unterentwickelten Ländern geschätzte 50 Millionen Menschen auf gepackten Koffern und wollen dem Hunger entkommen, indem sie nach Europa flüchten. Alle sonntäglichen Beteuerungen, den Menschen in ihren Herkunftsländern wirksam helfen zu wollen, scheitern am angeblichen Geldmangel, der allerdings kein Problem darstellt, wenn es um die Rettung von Banken oder das Aufrüsten der Armeen geht.

Auf nationaler Ebene wird um Quoten für die Zuwanderung gestritten, während die Reallöhne seit Jahren stagnieren, für Investitionen in Arbeitsplätze kein Geld da ist, weil die Banken indessen mit Unsummen spekulieren und die Bildungsreform kommt nicht voran, weil ein paar Landesfürsten auf ihren Zugriffsrechten beharren.

Die Menschen haben ihre Zuversicht in die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten längst verloren, träumen von wundersamen Heilsbringern und laufen scharenweise den marktschreierischen Versprechen jener hinterher, die vorgeben, das alles mit einem Schlag lösen zu können. Bei meinem Versuch, dies zu verstehen, bin ich einmal mehr, auf Sir Karl Popper gestoßen.

In seinem Hauptwerk „die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, das während des 2. Weltkrieges unter dem Eindruck von Nazi-Diktatur und Stalinismus entstanden und 1945 veröffentlicht wurde, mahnt er sehr eindringlich, dass Menschen nicht aufhören dürfen, für eine offene Gesellschaft zu kämpfen, wenn sie Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft bewahren wollen. Darüber sollten wir nachdenken, bevor wir diese, für Europa noch sehr jungen Errungenschaften leichtfertig aufs Spiel setzen.

Popper hält es für eine Illusion, dass Aufklärung und Zivilisation im Laufe der Zeit, gleichsam automatisch, Freiheit und Wohlstand für alle bringen. Er beschreibt die Menschheit im Übergang von einer geschlossenen Stammesordnung zu einer offenen Gesellschaft und konstatiert, dass sie sich von ihrem Übergangstrauma noch nicht erholt hat,. sodass immer wieder die Sehnsucht nach einer Rückkehr in eine geschlossene Gesellschaft aufkeimt und alle Kraft daran verschwendet wird, sich nach außen abzuriegeln.

Der französische Philosoph Jean-Francois Lyotard charakterisiert unser Zeitalter der Postmoderne mit dem Verlust der „großen Erzählungen“ und er beschreibt es noch deutlicher. „Eine freie und gerechte Gesellschaft ist nicht ohne die Freiheit des Individuums zu haben.“ Politik, das war Lyotards Credo, darf nicht über die Bedürfnisse der Menschen hinweggehen, um abstrakte Ziele zu verwirklichen. Tut sie es dennoch, verliert sie ihre Legitimation. Er fordert eine Reorganisation der Gesellschaft unter Berücksichtigung ihrer realen Vielfältigkeit und der Individualität der Menschen.

Bevor wir also unsere Freiheiten irgendwelchen dubiosen „Führern“ überantworten, sollten wir uns noch einmal auf die Werte der Aufklärung und des Humanismus besinnen. Wir sollten uns nicht wie eine Schafherde von den Wölfen auseinander treiben lassen. Bestehen wir darauf, dass die unverschämt hohen Konzerngewinne endlich wahrheitsgemäß in jenen Ländern versteuert werden, in denen sie erwirtschaftet wurden. ( 1 Billion Euro in Europa). Fordern wir die Beschränkung der Spekulationen bei Derivaten und Swapgeschäften. Einigen wir uns auf die gemeinsame Bekämpfung von Hunger und Elend und die Lösung von Klima- und Umweltproblemen. Wobei ich davon überzeugt bin, dass all das zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt und hilft, den Stillstand und die Hoffnungslosigkeit zu beenden.

G. Novak

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