Man beginnt nicht mit der Knute, man beginnt mit dem Formular. Die Macht fragt nicht zuerst nach Gehorsam, sondern nach Geburtsdatum, Beruf, Religion. Sie bittet, und wir geben. Wir geben bereitwillig, weil wir glauben, wir lebten in einem Land, in dem Daten nur zu unserem Schutz erhoben werden. Und wir vergessen, dass der Schutz, den man uns verspricht, eines Tages der Vorwand sein kann, uns zu fassen.

Die Geschichte kennt diese Mechanik. In Amsterdam wurden einst Volkszählungen durchgeführt, um zu planen, zu bauen, zu versorgen. Dann marschierten die Nationalsozialisten ein – mit Hitler, mit Hakenkreuz, mit dem Willen zur Vernichtung. Und dieselben Listen, die gestern noch Verwaltungswerkzeug waren, wurden zu Transportlisten in den Tod. Jeder Name eine Fahrkarte nach Westerbork, nach Auschwitz, in den Rauch. Die Menschen hatten sich nicht verändert – nur die Hand, die das Register führte, und die trug nun die Uniform des Massenmords.

Heute heißen die Karteikästen Datenbanken, die Lochkarten sind Algorithmen, und der Schreib­tisch des Beamten ist eine Plattform wie Palantir. Sie kann nicht nur zählen, sie kann verknüpfen, erkennen, vorhersagen. Sie weiß, wo du warst, bevor du dich daran erinnerst. Und sie wird uns verkauft als Garant für Sicherheit und Ordnung – jene Zauberworte, mit denen man Demokratien betäubt, bevor man sie zerschlägt.

Und jetzt stellen wir uns vor, diese Werkzeuge fielen in die Hände einer AfD-Regierung – einer Partei, die bereits Listen von „Feinden“ anlegen will, die von „Remigration“ spricht, als ginge es um ein harmloses Infrastrukturprojekt, die Journalist:innen und Richter:innen einschüchtern möchte, um jede Kontrolle zu brechen. Eine Partei, die aus Worten Taten machen würde, sobald sie den Apparat in Händen hielte.

Sie müsste nicht neu bauen, sie müsste nur übernehmen. Die Datensysteme stünden bereit, poliert und optimiert. Der Weg vom Klick zum Befehl wäre kurz, der Befehl vom Menschen zum Opfer noch kürzer. Die Maschine würde laufen, und sie würde nicht fragen, ob du zu denen gehörst, die sie am Anfang noch verschont.

Gefährlich ist nicht erst der Tag, an dem die AfD ihre Macht offen ausruft. Gefährlich ist der Augenblick, in dem wir glauben, dass Daten immer in guten Händen bleiben, weil wir uns nicht vorstellen wollen, wie schnell „gut“ in „gnadenlos“ kippt. Gefährlich ist der Moment, in dem wir schweigen, weil es ja noch nicht uns trifft.

Man wird sich später fragen, wie es geschehen konnte. Und die Antwort wird sein: Es konnte geschehen, weil alles schon da war – und weil wir die Schlüssel übergeben haben.

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