Skiunfall eines Freundes - Gott sei Dank kein Querschnitt

Wieso schreibe ich heute über den Skiunfall von einem guten Freund? Weil ich in der Zeitung etwas zum Thema Querschnitt las - in Bezug auf unsere Stabhochspringerin Kira. Da stand unter anderem "Ich werde jeden Tag kämpfen". Meinem Freund ging es damals genau so. Ich las so viele Parallelen heraus. Nur mit dem Unterschied, dass mein Kumpel 1000 Schutzengeln hatte. Dennoch waren wir alle extrem betroffen und freuen uns heute für ihn umso mehr. Er kann im Grunde wieder alles machen - so wie vor dem Unfall.

Ich war in der Maturaklasse, er im 7. Gym. Wir waren also nie in einer Klasse. Als wir noch klein waren, trafen sich unsere Eltern irgendwann zufällig im Urlaub. Dabei stellte sich heraus, dass wir eben nahezu Nachbarn sind. So wurden wir alle Freunde. Nur kurz ein paar Hintergrundinformationen - jetzt wechseln wir wieder ins Jahr 2009. Es waren Semesterferien - mein Kumpel verbrachte mit ein paar Freunden nette Skitage in Obertauern.

Kann mich noch genau erinnern, dass ich mir an einem Vormittag in den Energieferien meine Nägel schnitt. Währenddessen kam meine Mutter ins Bad und meinte "der Georg hatte einen Skiunfall". Mir fiel in dem Moment einfach der Nagelzwicker aus der Hand und ich war für die nächsten Minuten sprachlos. Wir wussten nicht, ob er querschnittgelähmt sei etc. Seine Mutter hat meiner offenbar nur kurz geschrieben, dass sich Georg schwer verletzt hat.

Am frühen Nachmittag fuhr ich einfach ohne jegliches Überlegen nach Türnitz. Ich war so schockiert und mein Gefühl steuerte mich einfach in die zuletzt genannte Ortschaft. Dort war mein Kindheitsskigebiet, das seit 2006 LSAP ist. 2010 wurden die Anlagen demontiert - standen also 4 Jahre als Ruinen herum. Der Girak-Doppelsessellift trug nach wie vor seine Sessel, die mit Schnee bedeckt waren - typisches LSAP-Bild. Am Berg herrschte Totenstille. Ich wusste zu dem Zeitpunkt bereits, dass der Lift wohl nie mehr fahren wird.

Als ich am Parkplatz war, rannte ich einfach auf der ehemaligen Skipiste richtung Gipfel. Direkt neben mir befand sich der auf seinen Abriss wartende Doppelsessellift. Oft war ich direkt auf dessen Trasse, meistens aber ein paar Meter daneben. Es gab viel Schnee und ich sank nahezu bei jedem Schritt ein. Dennoch lief ich weiter. Schließlich kam ich an jene Stelle, wo links die Talstation vom neueren Schlepplift war. Dieser wurde weiter oben von einem Tellerlift gedoppelt. Ersterer stand ganz ohne Bügel da. Verlassenes Liftlerhäuschen und nebenan die mächtigen Sesselliftstützen - Zivilisation sieht anders aus.

Ich konnte nicht mehr - sank etwas neben der Talstation vom neueren Schlepplift in den Schnee und wusste gar nicht, was eigentlich in mir vorgeht. War wegen Georgs Unfall so betroffen und wollte irgendwie vor den entsprechenden Gedanken fliehen. Doch das schaffte ich nicht - sie holten mich ein. Ich hatte nun ca. eine Hälfte der Sessellift-Trasse in den Beinen. Glücklicherweise war unweit von mir der eigentliche Wanderweg.

Weiter rechts war bis zum Jahr 2000 oder 2001 ein zweiter Schlepplift. Sein Fehlen merkte man in den letzten Betriebsjahren sehr deutlich. Am schönen Sonnenhang konnte man zuletzt keine Wiederholungsfahrten mehr machen. Man musste nun immer komplett ins Tal, sofern man auf dieser Piste unterwegs war. Insgesamt hatte das Skigebiet ursprünglich drei Schlepplifte (zwei Langbügler und ein Tellerlift) und den Doppelsessellift (der die Hauptanlage darstellte). Den Lift rechts außen hat man wiegesagt vorzeitig abgerissen, da er von der Behörde geschlossen wurde. Er war sehr alt - ein Doppelmayr-Langbügler (ursprünglich bestimmt Kurzbügel) mit Gitterportalstützen. In der Talstation gab es einen lauten Dieselantrieb. Mein Vater erzählte mir damals während einer Liftfahrt, dass die Anlage mit Diesel läuft. Jedenfalls habe ich genau an diesem Lift das aller erste Mal einen Schlepplifteinstieg alleine gemeistert. Zu dem Zeitpunkt war ich so stolz - mein Vater war über diesen Fortschritt sehr froh.

Obiger Absatz war nur eine kurze Erläuterung zu den Emotionen, die ich mit dem Skigebiet verbinde. Ohne zu wissen, was gerade mit mir passierte, ging ich eben über den Wanderweg auf Piste vom ehemaligen zweiten Schlepplift. Ich erinnerte mich an früher und begab mich schließlich zur ehemaligen Talstation. Das Liftlerhäuschen stand noch unter einem Baum. In meiner Jackentasche hatte ich ein Packerl Malboro Gold eingesteckt. Das war einer der ganz wenigen Tage, wo ich geraucht habe. Der Lift war weg, ich blickte auf die leere Piste und zündete mir eine Malboro an. Ich konnte das von Georgs Unfall noch immer nicht glauben. Vor allem wusste ich nach wie vor nichts Näheres wegen eines möglichen Querschnitts. Das machte mich fertig. Und dazu noch das tote Skigebiet, in dem ich gerade mutterseelenalleine herumstand. Es kam mir vor wie eine Ebene der Toten (Anspielung auf "Asterix erobert Rom";).

Nun ging ich am Forstweg weiter talwärts und rauchte im Zuge dessen noch eine Malboro. Rechts neben mir ruhte der Sessellift. Ich hatte das Gefühl, dass er mir sagte: "I was wies dir geht, oba schau mi au. I wort nur mehr auf mein Abriss." Jedenfalls war ich dann bald am ehemaligen Liftparkplatz. Bei der Kassa waren die Jalousien herunten. Ich blickte auf den Einstiegsbereich zum Sessellift. Schließlich legte ich mir gedanklich meine Ski an und marschierte um die Liftstation - so wie früher. Nun war ich zum Zusteigen dran. Der Liftler gab mir ein Zeichen, doch dann wurde mir bewusst: Das sind alles nur mehr Einnerungen. Ich will gerade in einen Lift einsteigen, der nur mehr auf sein Ende wartet. Ganz oben war inzwischen Nebel - somit sah ich nur ca. 60-70% der Trasse. Nun blickte ich durch das Gitter in die Talstation. Die Girak-Maschine stand still - war also nichts mit Girak-Lift-Musik.

Kurz zu dem mit dem Rauchen: Zu dieser Zeit hatte ich beim Fortgehen immer Zigaretten dabei, falls wir doch einmal härtere Getränke konsumierten. Nach einem Tequilla oder so brauchte ich immer einen Zug, um den Alkoholgeschmack loszuwerden. Ich war also nie offizieller Raucher. Das oberbei mit den zwei Malboros war eine Ausnahme. Seit ich meinen Führerschein habe, ist diese Phase allerdings vorbei. Da ich viel fahre, trinke ich auch selten Alkohol. Je mehr ich mich dem Sport gewidmet habe, umso eher verschwanden jegliche potentielle Gedanken an Zigaretten aus meinem Kopf. Liebe Raucher, fühlt euch nicht angegriffen. Ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt. Ich bin halt überzeugter Nichtraucher. ;)

Irgendwie konnte ich mich nun doch überwinden, wieder nach Hause zu fahren. Daheim gab es die erfreuliche Nachricht, dass Georg keinen Querschnitt hat. Trotzdem war ich noch immer so sehr wegen seines Unfalls betroffen (5 Wirbel gebrochen). Andererseits "freute" ich mich extrem, dass er nicht im Rollstuhl landete. Inzwischen habe ich einen Verdacht, wieso ich damals nach Türnitz gefahren bin. Die "toten" Lifte und der nicht vorhandene Skibetrieb passten ja irgendwie zu meinen Emotionen. Wie wenn mir mein Ex-Skiberg sagen wollte "Da Georg ist beim Skifohrn verunglückt. Er wird nie wieda skifohrn genauso wie es auf mir nie wieda Liftbetrieb gebn wird".

Es war für mich unglaublich, als Georg drei Wochen später daheim war. Nach seiner OP hat er mich sogar einmal angerufen, dass er seine Füße spürt und bewegen kann. Doch als ich ihn dann wirklich sah, wie er gehen konnte, war das für mich wahrlich eine "Matura der Gefühle". Er hat zwar  vorübergehend Schrauben etc. in seiner Wirbelsäule, aber er steht im Grunde wieder da wie eh und je.

2010 hatte er eine Reha in Harbach im Waldviertel. Da habe ich ihn zwei Mal besucht. Ich glaube mich zu erinnern, dass er zu dem Zeitpunkt bereits die zweite OP hinter sich hatte. Also keine Schrauben mehr im Kreuz. Er wirkte überdurchschnittlich lebensfroh und wir konnten wieder lachen. Als er vom Waldviertel nach Hause kam, spielten wir bereits wieder gemeinsam Fußball. Damals habe ich ein Foto von ihm gemacht, wo er den Rücken nach vorne beugt und der Ball in der "Grube" zwischen seinen Schulterblättern liegt. Er schaute von unten grinsend in die Kamera. Das Bild habe ich dann natürlich auf FB gepostet und dazu geschrieben "do wor er frisch vo da Reha zruck".

Von 2009 bis 2011 hat sich Georg mehr oder weniger nur seinem Rücken gewidmet. Er hat dafür alles gegeben und sehr viel trainiert. 2010 waren wir miteinander in Kärnten. Haben damals täglich gemeinsam Hanteltraining gemacht. Das war für uns das Wichtigste vom ganzen Tag. Dazu noch Bauchmuskeltraining. Gute Bauchmukis sind ja für die richtige Haltung sehr von Vorteil. Für mich ein wichtiges Thema, aber für Georg zu dem Zeitpunkt klarerweise das Um und Auf.

Mir war schon bei meinem "Ausflug" nach Türnitz klar, dass Georg nie mehr auf Ski steigen wird. Demnach hatte ich die nächsten Jahre nicht wirklich Lust auf Skifahren. Ich fuhr zu dem Zeitpunkt nur in der Osterwoche ein paar Mal. Seit Georgs Unfall gehe ich nur mehr mit Rückeprotektor auf die Piste. Ich springe kaum mehr über Schanzen. Jedenfalls weiß ich, dass es auf Grund der Situation mit Georg seine Zeit brauchte, bis mir mein Skilifthobby bewusst wurde (ist natürlich keinesfalls als Vorwurf zu verstehen - das wird aber vermtulich jeder mit einer halben Portion IQ kapieren). Das kam ja erst 2012 so richtig ans Tageslicht, obwohl es eigentlich schon immer in mir existierte.

Eine Erzählung bleibt mir aber immer in guter Erinnerung. Als Georg die Schrauben herausgenommen wurden, musste er danach natürlich ein paar Tage im Spital bleiben. In der Zeit kam sein Vater einmal mit dem Mathebuch zu ihm. Geht mich natürlich nichts an, aber ich war ziemlich schockiert. Es geht um die Gesundheit vo deim Buam, der grod hauchdünn an am Querschnitt vorbei is und du wüst erm ollen Ernstes zum Mathe lerna animieren???Das waren in etwa meine Gedanken, als ich von der Situation erfuhr bzw. mich in diese hineinversetzt habe.

Jedenfalls hat Georg somit die Schule vorübergehend abgebrochen (aus gesundheitlichen Gründen). Ich verstand das vollkommen, denn er musste auf sich schauen. In dem Fall durfte man ihn wirklich nicht kritisieren, weil er "egoistisch" war. Heute führt er wieder ein normales Leben, da er so um sich selbst kämpfte und sich in der entscheidenden Phase nicht von Sachen wie Schule ablenken ließ. Inzwischen hat er die Matura nachgemacht.

Ich bin ja generell sehr feinfühlig bzw. genau und komme demnach mit oberflächlichen Menschen kaum bis gar nicht zurecht. Mein Beruf und meine Hobbys unterstützen diese Eigenschaften. Georg ist mir diesbezüglich sehr ähnlich. Er sagte immer wieder, dass er nun nicht mehr der gleiche Mensch sei wie vor dem Unfall. Früher lebte er in einer Traumwelt, doch jetzt kennt er die Realität. Ein paar Mal hielten uns Leute schon für Brüder. Jedenfalls hatte ich mit ihm zu der Zeit oft tiefsinnige Gespräche, wo andere schon längst ausgestiegen wären. Eben über Situationen mit unseren Eltern etc.

Sein Vater war früher nie wirklich für ihn da. Er verdiente nur und den Rest musste die Mutter machen. Georg hat drei deutlich ältere Brüder. Ich habe seinen Vater eigentlich immer mögen - heute weiß ich, dass er nun auch genauso zu Georg steht, obwohl er (noch) nicht studiert hat und nicht alles so lief, wie bei seinen Brüdern. Unlängst habe ich ihn zufällig getroffen, dabei sagte er "da Georg mocht scho sein Weg, do bin i ma sicha". Irgendwie freute ich mich für beide.

Mir ging es oftmals ähnlich. Mein Vater hat sich z.B. selten bis gar nie für meine Hobbys interessiert (obwohl ich letztendlich ihm alleine das Lifthobby zu verdanken habe). Wir haben beim Skifahren oft genug gestritten, weil ich nicht immer folgte. Gut, welches Kind macht schon alles, was man ihm/ihr sagt? Beim Mathelernen für die Schule krachten wir meistens aneinander, weil ich etwas nicht gleich verstand und das für ihn eben sonnenklar war. Auch der L17 war für uns beide eine Herausforderung. Nach bestandener Fahrprüfung sagte ich zu ihm einfach nur "Gott sei Daunk muas i jez nimma mit dir fohrn" - allerdings ohne böse Absicht. Ich sprach einfach mein Gefühl der Erleicherung aus. Heute sieht er alles viel gelassener, obwohl er dennoch eine Tendenz zum "Heißlaufen" hat. Das ist aber irgendwie Teil seines Charakters bzw. seine Schwäche. Wenn er dazu steht, ist das ja gut. Meine Mutter und ich akzeptieren das und sagen oft nichts, wenn wir merken, dass ihm viel zusammenkommt. Eines ist mir inzwischen klar: Mein Vater ist stolz auf mich, obwohl er sich dazu sehr selten äußert. Georg und mich verbindet das halt irgendwie, da wir vor allem früher mit unseren Vätern öfters Ärger hatten. Dadurch verstehen wir das gegenseitig sehr gut, wenn wir über derartige Situationen reden.

Mit den Freunden, die bei seinem Unfall dabei waren, hat Georg heute keinen Kontakt mehr. Angeblich haben sie ihn nie gefragt, wie es ihm nach dem Unfall geht usw. Ich kann seine Reaktion, dass er die eben aussortiert hat, besonders gut nachvollziehen. Hätte ich wohl genauso gemacht. Deren Verhalten kommt mir irgendwie oberflächlich vor. Wenn die außerdem nicht zu Georg stehen, weil es ihm gerade schlecht geht, sind das sowieso keine echten Freunde. Ich hatte mit 13 einen Unfall, wo ich mir den linken Oberarm verletzte. Zu dem Zeitpunkt war ich mit dem Markus (ein ehemaliger Mitschüler) super befreundet. Er ging fast jeden Tag nach der Schule mit mir mit, um meine Schultasche zu tragen. Das hat ihm aber niemand angeschafft - wir waren damals noch Kinder.

Als ich heute das mit dem Querschnitt über Kira Grünberg las, musste ich sofort an Georgs Unfall und alle damit verbundenen Erlebnisse denken. Das entsprechende Resultat ist dieser Blog.

PS: Heute genau vor 16 Jahren war Sonnenfinsternis.

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