Ich kauf mir eine gelbe Hose und geh mit Che was trinken

Er kommt zu spät!

Natürlich kommt er zu spät. Che kommt immer zu spät. Für ihn war die Bestrafung durch das Leben für Zuspätkommende nie ein Thema. So eine Revolution erfordert eben manchmal einen gewissen Zeitaufwand.

Nachdem ich mich entschließen konnte, mir doch endlich eine gelbe Hose zu kaufen, hab ich mich nach einem Modeberater umgesehen und gleich einmal den Che angerufen. Weil Mann will ja durch eine eindeutig prononcierte Farbstellung seiner Hosen nicht in den Geruch sexueller Eindeutigkeiten abrutschen. Der war natürlich sofort Feuer und Flamme. „Gelb ist gut“ hat er gemeint „wie die Sonne über Kuba!“.

Eigentlich wollten wir aus sentimentalen Gründen bei America Latina einkaufen, aber da war nix mit gelber Hose, also zu Armani. Leider nein! Hillfiger ging aus ideologischen Gründen – man kauft nicht beim imperialistischen Klassenfeind – auch nicht, also blieben nur noch D&G oder Versace. Nachdems aber keine Unterhose sein sollte, wurden wir dann beim „Opfer des kapitalistischen Amerikas“, wie Che ausführte, fündig.

Es blieb uns also Zeit um einen Drink zu nehmen.

„Wo gibt’s denn in Wien die besten Chicas?“ war sogleich das Interesse von Che geweckt. Ich hätt ihn jetzt in die Eden oder die Reiss-Bar schleppen können. Aber wer will mit einem fast echten Kubaner schon Champagner oder Whiskey tschechern?

Es musste Rum sein.

Und dicke Zigarren.

Also ab in den Buena Vista Social Club.

Unbedarft wie ich bin, hab ich mir dann einen Daiquiri bestellt. Als Huldigung für den einen anderen grossen Beute-Kubaner, Hemingway. Das liess mir Che grad noch durchgehen. Aber richtige Männer trinken Rum pur.

Und wie wir da dann endlich bei richtigen Cohibas gesessen sind und die Luft geschwängert haben, hab ich mich dann getraut:

„Sag, wie lebt es sich denn so als Revolutions-Idol?“

„Ach hör mir auf mit der Revolution“ kam als Antwort, „Die Revolution frisst ihre Kinder. Das war schon bei der französischen Revolution so und der Trotzki hat das auch nicht überlebt“.

„Ja schon irgendwie, aber …“

„Und schau dir an, was aus den 68ern geworden ist“ liess er mich gar nicht erst ausreden, „die einen sitzen jetzt auf ihren fetten Ärschen in irgendwelchen Aufsichtsräten, machen einen auf Intellektuelle Professoren an Elite-Unis und wieder andere hausen auf irgendeiner Insel und sind dauer-stoned.“

„Ja aber was ist mit Fidel? Kuba ist doch endlich frei!“

„Geh hör doch auf. Die können sich nicht einmal neue Autos leisten.“

„Ernesto“ werf ich zaghaft ein, „es kann doch nicht sein, dass Revolution nichts bringt?“

„Doch doch“ kam es wie aus der imaginären Pistole geschossen. „Nur halt fast nie für die Revolutinäre selber. Die enden meist in einem stinkenden Erdloch oder wenn sie Glück haben, in einer pompösen Aufbahrungshalle. Und die schlechte Nachred kriegens auch noch nachgeschmissen.“

„Wie meinst denn das?“

„Revolution ist ein blutiges Geschäft. Da muss ma sich schon auch amal die Hände schmutzig machen. Irgendwer ist dann zwangsläufig immer auf dich bös.“ begann er zu dozieren „Schau dir zum Beispiel den Oliver Cromwell an. Der hat sich mit den Stuarts angelegt und irgendwie kann er sich ja die Geburt der englischen Demokratie als Federchen an seinen Hut stecken. Die Schotten und Iren haben aber so gar keine Freud mit ihm. Die liess er gnadenlos niedermetzeln.“ [1]

Ich sagte einmal nix. Aber er war ohnehin noch nicht fertig.

„Oder der George Washington. Dem grossen weissen Vater, wie er sich selber gern bezeichnete, die Lichtgestalt der amerikanischen Geschichtsschreibung. Der schrieb einmal: Ich kann Dir versichern, ich hörte die Kugeln pfeifen, und glaub’ mir, es ist etwas Verführerisches in diesem Geräusch. Wie er mit den NativeAmericans umging war auch nicht wirklich die feine englische Art. Ihm ging es in der Frage der Indianer später vor allem um die vollständige Vernichtung ihrer Existenzgrundlagen: „Unmittelbare Ziele sind die völlige Zerstörung und Verwüstung ihrer Siedlungen. Besonders wichtig wird es sein, ihre Feldfrüchte in der Erde zu vernichten und die Felder unbestellbar zu machen.“

Jetzt war ich wieder dran: „Aber was ist mit Mandela?“

„Ein Sonderfall“ und sein berühmtes Lächeln zierte sein Gesicht.

„Der war schon irgendwie sehr clever. Der hats geschafft als gewaltlos zu gelten. Dabei stimmt das nicht [2] und seine Gewaltlosigkeit definierte er selber so: Ich betrachtete Gewaltlosigkeit nach dem Gandhischen Modell nicht als unantastbares Prinzip, sondern als Taktik, die je nach Situation anzuwenden sei. Das Prinzip war nicht so wichtig, daß man der Strategie selbst dann folgen sollte, wenn sie selbstzerstörerisch sein würde, wie Gandhi glaubte.

„Genau, der Ghandi“ platzte es aus mir heraus.

„Ja, genau, der Ghandi“ repleziert der Ernstl da. „Der war Vegetarierer und konnte kein Blut sehen. Und gschnsackelt hat er auch nicht. Was so eine Religion aus einem Menschen machen kann ist manchmal seltsam. Seine Hawara waren da eh nicht ganz so gewaltfrei. Die Wahl seiner Mittel war bei ihnen umstritten. Bei weiteren Aktionen hielten sich viele nicht an die Prinzipien des gewaltfreien Satyagraha. Britische Einrichtungen und Privathäuser gingen in der nordindischen Stadt Amritsar, wo zwei Anführer der Bewegung verhaftet worden waren, in Flammen auf. Und so ganz ohne dunkle Seiten geht’s auch beim Mahatma nicht. So ein bissl Rassismus war ihm durchaus nicht fremd. Für die schwarze Bevölkerung Südafrikas übernahm er den von den Kolonialisten gebräuchlichen abwertenden Ausdruck Kaffir und empörte sich darüber, dass Inder von den Europäern „auf die Stufe der ungeschlachten Kaffirs degradiert“ würden. Er stellte fest, es gebe „große Unterschiede ... zwischen British Indians und den Kaffir-Rassen Südafrikas“ und sprach sich wiederholt vehement gegen die Vermischung von Indern mit der lokalen Bevölkerung aus. Während er die Segregation von Indern gegenüber Europäern ablehnte, war er der Ansicht, eine Separation von Indern und kaffirs sei eine „physische Notwendigkeit“.

Da war ich aber still.

Was den Che zu folgender Frage veranlasste: „Habts ihr da in die Berg eigentlich so überhaupt keine Revoluzzer?“

„Doch“ kam es wie aus der Pistole geschossen von mir. „Wir haben den StraCHE!“

Stolz präsentierte ich ihm mein T-Shirt.

„Was für ein billiger Abklatsch“ meint da der Ernst.

Um das Gespräch nicht peinlich werden zu lassen und erklären zu müssen, dass der HC eigentlich ein erfolgloser Zahntechniker mit Ambitionen auf die Weltherrschaft ist, sagt ich schnell: „Wir haben aber auch einen richtigen Rebellen. Den Hofer!“

„Hofer?“ Und ausgehend von seinen zweifelnden Stirnfalten fragte ich mich, ob er jetzt den Supermarkt kennt und meint, dass niedrige Preise schon als Revolution gewertet werden oder ob er vielleicht gar schon von unserem schnellfahrenden und rechtsabbiegenden Verkehrsminister gehört hat? Weil das hätt mich schon gewundert.

Also kam von mir ohne Umschweife: „Den Andreas Hofer. Anführer des Bauernaufstandes gegen Napoleon.“

„Kenn ich nicht. Erzähl.“

Jetzt hatte ich ein Problem. Soll ich ihm die ganze Wahrheit erzählen, oder doch nur das blitzblank geputze Bild des Nationalhelden?

„Mander, s isch Zeit“ zitierte ich und gewann Zeit um nachzudenken.

Sollte ich ihm von der Taktik Hofers und seiner Vasallen erzählen, einer ebenso primitiven wie wirkungsvollen Taktik. In engen Tälern kesselten sie den Feind mit Steinlawinen ein und beschossen ihn durch Scharfschützen, die auf den Höhen postiert waren. Das würd ihm sicher gefallen.

Oder, dass Hofer gesellig war, ein weitum bekannter „Robler“ (Raufbold), guter Kartenspieler, treffsicherer Schütze und charismatischer Wortführer. Auch das tät ihm gefallen. Oder soll ich ihm erzählen, dass er sich mit dem Kaiserhaus heimlich auf ein Packl ghaut hat und als Österreich im April 1809 Frankreich und Bayern neuerlich den Krieg erklärte, durfte der Kaiser mit der Unterstützung der Tiroler rechnen, die auch prompt losschlugen und in zwei Schlachten am Berg¬isel erfolgreich waren. Sie besetzten Innsbruck, es kam zu Ausschreitungen und Plünderungen, auch von jüdischen Häusern.

Nach der verlorenen Allerheiligenschlacht allerdings wurden auch alte Mitkämpfer wie Jakob Sieberer und Josef Daney, vom offensichtlich betrunkenen nunmehrigen Desperado zum Tod verurteilt.

Soll ich mich wirklich hier bei Rum und Cohiba auf eine Diskussion mit einer Revolutionsikone über Andreas Hofer einlassen? Nein – wollte ich wirklich nicht.

Also sagte ich: „Einen Bart hat er gehabt, wie du!“ und gleich ohne zu unterbrechen:

„Aber was sagst eigentlich zu den ganzen Vorwürfen gegen dich? Du bist ja für einige ein hinterhältiger Massenmörder?“

„Nix“ kam lapidar die Antwort und ich hab mir gedacht: is ihm wuaschd.

Aber es kam noch was.

„In der damaligen Situation mit den damaligen Umständen und zur damaligen Zeit, tät ich alles wieder so machen. Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand Pflicht.“

Kleine Gedankenpause.

„Aber jetzt zu den wirklich wichtigen Sachen. Wo sind die Chicas?“

[1] Dieses Massaker und die brutale Unterdrückung der Royalisten in Irland im Jahr 1649 belasten noch heute die irisch-englischen und katholisch-protestantischen Beziehungen. Cromwell hielt seinen Tötungsbefehl für gerechtfertigt, da die Verteidiger Droghedas entgegen geltendem Kriegsrecht weiterkämpften, nachdem die Mauern der Stadt gebrochen waren.

[2] Nachdem im März 1960 beim Massaker von Sharpeville unbewaffnete Demonstranten erschossen und in der Folge der ANC und andere Anti-Apartheid-Gruppen verboten worden waren, unterstützten Mandela und seine Mitstreiter die vom ANC proklamierte Notwendigkeit des gewaltsamen Kampfes gegen die Apartheid.

3
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Wurschtbrot02

Wurschtbrot02 bewertete diesen Eintrag 29.04.2018 21:46:06

Persephone

Persephone bewertete diesen Eintrag 29.04.2018 21:44:01

Iris123

Iris123 bewertete diesen Eintrag 29.04.2018 21:16:19

13 Kommentare

Mehr von hagerhard