Industrie 4.0 braucht auch Existenzsicherung 4.0

Neues zum bedingungslosen Grundeinkommen

In den Mainstream-Medien häufen sich in der letzten Zeit Artikel mit Bezug zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE). Das steht natürlich – vor allem im deutschen Sprachraum – in ursprünglichem Zusammenhang zu der am 5. Juni kommenden schweizer Volksabstimmung zu diesem Thema.

Wobei man bei realistischer Betrachtung natürlich schon damit rechnen muss, dass diese Initiative abgelehnt und das Grundeinkommen nicht eingeführt wird. Trotzdem ist diese Initiative für das Vorankommen eminent wichtig, weil sie dafür sorgt, dass eine breitere Öffentlichkeit mit dieser »Utopie« konfrontiert und eine Diskussion entfacht wird.

Nicht nur in der Schweiz tut sich etwas.

Das vielleicht interessantere, weil konkretere Projekt kommt aus Finnland. Die im Herbst des Vorjahres gewählte rechts-liberale Regierung hat das BGE ja sogar im Regierungsprogramm stehen. Eine Arbeitsgruppe der finnischen Sozialversicherung hat Ende März nun ein Projekt vorgelegt, das als Grundlage für eine experimentelle Einführung im nächsten oder übernächsten Jahr dienen wird. Geplant ist vorerst eine zweijährige Versuchsperiode um noch vor den nächsten Wahlen im Jahr 2019 ein Ergebnis präsentieren zu können.

Ähnliche Projekte gibt es z. B. auch in den Niederlanden – allerdings im kleineren Rahmen.

Aber nicht nur in Europa wächst das Interesse. Aus unterschiedlichen Gründen mit unterschiedlichem Ausgang.

So wurde in Namibia ein im Jahr 2008 begonnener, lokal begrenzter Versuch – trotz positiver Auswirkungen – wieder eingestellt. In Brasilien wurde unter Präsident Lula das Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen sogar in der Verfassung festgeschrieben. Eine im Gesetz verankerte Klausel schiebt die Umsetzung allerdings auf die lange Bank. Seit dem Jahr 2008 wird von einer NGO im kleinen Dorf Quatinga Velho das BGE ausbezahlt um die Auswirkungen in der Praxis zu evaluieren.

Diese in Entwicklungsländern begonnen Modelle sollen hauptsächlich die Armut bekämpfen und sind der Versuch ein Sozialsystem zu installieren. Völlig anders gelagert ist das in letzter Zeit immer öfter ersichtliche Interesse aus dem Silicon Valley bzw. Ansätze westlicher Ökonomen.

Nun muss man sich die unterschiedlichen Zugänge zum Basic Income und natürlich die unterschiedlichen Modelle einmal näher ansehen.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist nicht immer ein bedingungsloses Grundeinkommen, auch wenn es so genannt wird. Die Bandbreite geht vom emanzipatorischen bedingungslosen Grundeinkommen über das Bürgergeld bis zum neoliberalen Konzept der negativen Einkommenssteuer von Milton Friedman.

So unterschiedlich wie die Modelle selbst sind demgegenüber auch die möglichen Finanzierungen: die klassische Besteuerung der Einkommen, die ausschließliche Besteuerung des Konsums oder die Besteuerung ökonomischer Renten (z. B. wie beim Alaska Permanent Fund).

Soweit die – nicht ganz neuen – Fakten in Kurzform.

Was ist nun die Neuigkeit, die das bedingungslose Grundeinkommen für immer breitere und immer unterschiedliche Menschen interessant macht?

Das ist wohl ohne Zweifel eine Entwicklung, die sich unter dem Schlagwort »Industrie 4.0« zusammenfassen lässt. Die digitale Revolution und die damit zusammenhängende Automatisierung immer größerer Bereiche verändert unser Leben und damit auch unsere Gesellschaft.

John Maynard Keynes schrieb 1930:

»Die Menschen werden im Jahr 2030 von den drückenden wirtschaftlichen Sorgen erlöst sein«, ihr größtes Problem werde es vielmehr sein, »wie die Freizeit auszufüllen ist«. Denn »Drei-Stunden-Schichten oder eine 15-Stunden-Woche« seien völlig ausreichend, um die Lebensbedürfnisse zu befriedigen.

Wie richtig er damit lag, können wir uns heute bereits vorstellen.

Klar ist – und das lässt sich mit zahlreich vorliegenden Studien belegen –, dass »Vollbeschäftigung«, wie wir sie verstehen, und damit die strukturelle Erwerbsarbeit zum Relikt aus dem vorigen Jahrhundert wird.

Yanis Varoufakis hat mit »Rettet den Kapitalismus« eine sehr treffende Bestandsanalyse verfasst. Diese Veränderungen in den Arbeitsprozessen bedürfen aber einem ebenso deutlichen Wandel in der Existenzfinanzierung.

Modelle wie »Helikopter-Money« sind nicht mehr nur graue Theorie, sondern werden ernsthaft in Erwägung gezogen. Selbst superreiche Start-Up-Milliardäre wie Nick Hanauer (z. B. Amazon) erkennen die Zeichen der Zeit und warnen davor, dass ohne grundlegende Veränderungen eine (ungewünschte) Revolution kommen wird.

»Wir können uns allerdings auch zurücklehnen, nichts tun und unsere Yachten genießen. Und auf die Mistgabeln warten.«

Und US-Ökonom und Ex-Arbeitsminister Robert Reich sagt:

»Wir brauchen einen neuen Mechanismus, um den Wohlstand der Superreichen wieder unter die Leute zu bringen und damit in letzter Konsequenz den Kapitalismus zu erhalten. Ohne Grundeinkommen wird es nicht gehen.«

Wenn also die Rettung des Kapitalismus als Argument für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens herhalten muss, soll mir/uns das auch Recht sein.

Das BGE wird nach seiner Implementierung den »real existierenden Kapitalismus« mit Sicherheit derartig verändern, dass kein Stein auf dem anderen bleibt und in weiterer Folge die Chance besteht, unsere Gesellschaft ohne »Mistgabeln« in eine bessere und gerechtere zu verwandeln.

Vielleicht hatte Lenin ja doch recht:

»Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen.«

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robby

robby bewertete diesen Eintrag 18.05.2016 17:21:27

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