Die Statistik, der AMS-Kurs und der Mensch - seliges Österreich?

Österreich wurde vom einstigen Papst Paul VI. anlässlich eines Vatikanbesuches von unserem damaligen Bundespräsidenten Franz Jonas als glückliche Insel bezeichnet. In Abwandlung dieses Zitates wurde in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts daraus die Bezeichnung als Insel der Seligen. Mit ihr sollte von der bis heute kritisierten Budgetpolitik abgelenkt und auf das Erfolgsrezept hingewiesen werden, welches in einem weit entwickelten Sozialstaat gesehen wurde: koste es, was es wolle, Hauptsache heute ist für die Menschen gesorgt. Betrachtet man heute die statistischen Darstellungen, so könnte man meinen, es gäbe da noch ein paar Kennzahlen, die uns glauben machen können: ja, die Bezeichnung ist wenigstens für einige Bereiche noch zutreffend. So zum Beispiel bei der Arbeitslosigkeit. Die Politik lässt diese Chance natürlich nicht liegen und wird so auch nicht müde zu betonen, wie gut es uns geht: während im EU-Durchschnitt nach Berechnung der EUROSTAT knapp jeder zehnte Mensch arbeitslos ist, sieht die Lage in Österreich mit einem fast nur halb so hohen Prozentsatz doch wesentlich besser aus. Diese Zahlen verschaffen uns sogar einen Stockerlplatz in der Europäischen Union: gleich hinter Deutschland und Großbritannien werden wir betreffend Jobaussichten auf den dritten Platz gereiht.

Wie bereits die Prozentangaben erahnen lassen und worüber auch wortreiche Darlegungen über die getroffenen Maßnahmen nicht hinwegtäuschen können: in absoluten Zahlen ausgedrückt sind es erschreckend viele Einzelschicksale, welche es als blanken Hohn empfinden müssen, wenn von erfolgreicher Arbeitsmarktpolitik gesprochen wird: knapp 400.000 Menschen in Österreich sind als arbeitslos vorgemerkt und somit Kunde des AMS. In der Öffentlichkeit rasch in die Schublade der Faulheit gesteckt, der Ausbeuter unseres Sozialsystems, verlieren viele von ihnen zunehmend den Glauben daran, jemals wieder die Füße auf den Boden zu bekommen. Wut, Ohnmacht, Zukunftsangst, Selbstzweifel und schließlich die Resignation in Form des Einfindens in das ihnen zugedachte Stereotyp bestimmen oft ihr Handeln und Denken. Vor allem ältere Arbeitslose fühlen sich oft ausgebeutet und weggeworfen wie ein kaputtes Wagenrad, das ohnehin nichts mehr taugt und bei dem man vergisst, welch wichtige Dienste es geleistet hat. Etwa 65.000 von ihnen dürfen Schulungen besuchen. Kurse, welche in der Öffentlichkeit oftmals als sinnentleert dargestellt werden. Wenngleich sie eigentlich die Zielsetzung verfolgen, Menschen dabei zu unterstützen, sich bei den heutigen Anforderungen des Arbeitsmarktes erfolgreich präsentieren zu können. Nicht zu unterschätzen ist nämlich, dass sehr viele der Arbeitssuchenden zum Teil sogar Jahrzehnte lang nicht mehr in der Situation waren, einen Job suchen zu müssen; sich den heutigen Bewerbungsritualen zu unterwerfen. Und da kann es von entscheidender Bedeutung sein, dabei begleitet zu werden, seine eigenen Stärken, die man unterschätzt, besser zu betonen und die aktuell üblichen Auswahlverfahren zu trainieren.

Nun sollen die Mittel des AMS für eben diese Kurse gekürzt werden. In der Öffentlichkeit, welcher lang genug die Mythen des staatlich geförderten Häkelkurses berichtet wurde, wird dies auf wenig Widerstand stoßen. So mag das Kalkül des für den Arbeitsmarkt zuständigen Regierungsmitglieds sein. Was dies aber für die Menschen bedeutet, welche sich allein vorkommen nach 100 oder noch mehr gescheiterten Bewerbungen? Werden die es sich dann leisten können und wollen, aus eigenen Mitteln jemand zu engagieren, der oder die sie über das bloße Vermitteln von Bewerbungsmöglichkeiten hinaus unterstützt? Mut zuspricht. Selbstvertrauen stärkt. Weiterbildungsmöglichkeiten aufzeigt und auch anbietet.

Am 2. Juni 2015 haben jene Menschen, welche die Bedürfnisse der Arbeitssuchenden besser als die meisten anderen an der öffentlichen Diskussion Beteiligten kennen und auch ernst nehmen, am Wiener Ballhausplatz gegen diese Kürzungsmaßnahme protestiert: die Erwachsenenbildnerinnen und – bildner, welche als Trainerinnen und Trainer des AMS den Wiedereinstieg Arbeitssuchender in den Arbeitsmarkt begleiten. Auch Arbeiterkammerpräsident Rudi Kaske hat dabei seine Kritik an der Umschichtung der für Qualifizierungsmaßnahmen vorgesehenen Mittel in die Zweckwidmung weiterer Unternehmensförderungen, damit die Betriebe Ältere einstellen, wiederholt. "Es ist gut, dass gegen die hohe Arbeitslosigkeit bei den Älteren etwas getan wird. Aber da gibt es andere und bessere Möglichkeiten als die direkte Förderung von Unternehmen", stellt er seinen Standpunkt dar und verweist darauf, dass schon jetzt diese zweckgebundenen Mittel von den Betrieben nicht abgeholt werden.

Schade, dass dieser Mahnruf wohl ungehört verhallen wird. Denn schon wird an den Motiven der Demonstrierenden das Eigeninteresse herausgekehrt und die Veranstaltung als Protest arbeitsloser Trainerinnen und Trainer abgetan. Bedauerlich, denn es wäre eine gute Gelegenheit, miteinander darüber nachzudenken, wie das scheinbar längst aufgegebene Ziel der Vollbeschäftigung erreicht werden kann. Dabei könnte ein Weg gefunden werden, wie es den Menschen ermöglicht werden kann, für sich selbst zu sorgen: es geht da nämlich um weit mehr als bloßes Geld verdienen – es geht auch um Selbstachtung und das Gefühl, wertvoll zu sein für die Gesellschaft.

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