Nicht für die Schule, fürs Leben lernst Du

Eltern neigen dazu, einem Weisheiten auf den Weg mitzugeben, welche man zunächst einfach nicht verstehen kann. Bei denen man sich fragt: „Was reden die denn wieder daher – die haben aber auch gar keine Ahnung.“ Erst im Laufe der Jahre, in welchen man eigene Erfahrungen mit dem Leben machen durfte, beginnt man eine Ahnung davon zu bekommen, was denn mit diesen Ansagen gemeint war: dass Mama und Papa versuchten, einen vor Enttäuschungen zu bewahren und darauf vorzubereiten, die richtigen Fragen zu stellen und darauf Antworten zu suchen. Antworten, die sie vielleicht selbst nie gefunden haben.

„Du lernst nicht für die Schule, Du lernst fürs Leben“, gehört in diese Kategorie von Sätzen, die man immer wieder gehört hat. So oft, bis man bereits am Luftholen der Mutter und an ihrem ganz eigenartigen Blick in solchen Momenten erkannte, dass er nun wieder zu hören sein wird. Mich hat das immer narrisch gemacht. Was um alles in der Welt soll das eigentlich heißen? Nur für diese dämlichen Prüfungen lerne ich – leben kann ich auch ganz gut ohne das Wissen, aus welchen Gesetzmäßigkeiten sich etwa chemische Reaktionen seitenweise ableiten lassen. Lernt man also doch nur für die Schule und ist das mit dem Hinweis auf das Leben nur ein blöder Schmäh, um einen zu einem möglichst hohen Abschluss zu treiben? Ist das nicht ein Beitrag zur Oberflächlichkeit, unter welcher unsere Gesellschaft leidet? Werden da nicht Kinder dazu getrieben, sich selbst an einem grausamen Spiel aktiv zu beteiligen: einem Spiel, in welchem Menschen zunächst in nichtssagende Kategorien wie etwa entsprechend dem letzten Schulabschluss eingeteilt werden, um sie anschließend mit der vermeintlichen Rechtfertigung solch oberflächlicher Kriterien unterschiedlich behandeln zu können?

Jahrzehnte später habe ich ein Studium begonnen. Für mich. Weil ich das wollte und weil ich mit dem dabei erworbenen Wissen Antworten finden wollte für meinen weiteren Lebensweg. Tatsächlich ist also das Lernen etwas, das einem weiterhelfen kann, seinen eigenen Weg zum persönlichen Lebensglück besser gehen zu können. Was hatte sich verändert? Ich habe erkannt, dass es aus dem großen Topf verfügbaren Wissens Bereiche gibt, welche mich bewegen. Zu welchen ich auf der Suche nach Antworten bin. Zu welchen ich jenes Feuer der Begeisterung und des Interesses in mir trage, dessen es braucht, um dieses Wissen auch mit Mehrwert für die Gesellschaft weiterzuentwickeln und gleichgesinnte dabei zu begleiten, diesen Weg mitzugehen.

Wenn immer wieder über Bildungsreform gesprochen wird, so vermisse ich, dass darüber nachgedacht wird, wie man Kindern und Jugendlichen genau diese Lernfreude in einer für sie verständlichen Sprache nahebringen kann. Das Unterfangen müsste dabei ein sehr leichtes sein, denn beim Beobachten kleiner Kinder kommt man rasch zum Schluss, dass sie ohnehin auf die Welt kommen mit einer Neugier für so ziemlich alles. Unser Schulsystem mit dem unnatürlichen Schwerpunkt auf der bloßen Vermittlung reproduzierbaren Wissens und die überstrapazierte Wiederholung der altrömischen Weisheit vom Lernen für das Leben scheint diesen Drang danach, die Welt verstehen zu wollen, zu ersticken.

Gleichzeitig erschreckt die Art und Weise, wie Menschen auf aktuelle Fragenstellungen in der politischen Diskussion miteinander umgehen. Geschichtskenntnisse sind beispielsweise entweder nicht vorhanden oder werden vollkommen negiert – und dabei werden Chancen, Fehler nicht zu wiederholen, leichtsinnig vertan. Das Pauken von Jahreszahlen allein hin auf eine Prüfung bringt es da wohl doch nicht. Auch Alltagsthemen wie die weiterführende Diskussion von Zeitungsartikeln, das selbstständige Hinterfragen von Informationen oder die Bedeutung finanz- sozial und wirtschaftspolitischer Themen für das eigene soziale Umfeld scheint für viele etwas zu sein, wozu es Nachholbedarf gibt. Kein Wunder, wenn dann Wahlentscheidungen nicht an den gesamtprogrammatischen Ausrichtungen der wahrwerbenden Gruppen passieren, sondern als Reaktion auf ein, zwei emotional geführte Wahlkampfthemen erfolgen. „Fürs Leben lernen wir“, bekommt da eine unter Umständen dramatische Bedeutung für das Schicksal der gesamten Gesellschaft.

Mein Wunsch an die Bildungsverantwortlichen in diesem Land lautet daher: bitte im Bildungssystem den Schwerpunkt auf Persönlichkeitsentwicklung legen, bitte mehr die ohnehin bestehende Freude am Einblick in Hintergründe zur Vermittlung von Wissen nutzen. Weder das Türschild am Schulgebäude noch die ziffernmäßige Beurteilung der in einer Momentaufnahme abgerufenen Reproduktion von „richtigen“ Ergebnissen auf Fragen sollten Handlanger dazu sein, Menschen mit einem Stigma zu versehen, welches über die Ausgangslage von Chancen der Selbstverwirklichung entscheidet. Ein Miteinander in der Gesellschaft lebt auch von einem freudvollen Zugang zu Wissen – und Wissen ist da weit mehr als die Reproduktion von einigen Fakten im Einheitsbrei.

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