Am Mittwoch, wenige Stunden, nachdem ich, wie alle, vom Attentat auf die Redaktion der Satirezeitung „Charlie Hebdo“ erfahren hatte, sperrte ich mein Büro in Villach ab und trat ins Freie, auf die Straße hinaus.

(Zwischenbemerkung: An dieser Stelle verabschiede ich mich von allen Kritikern am derzeit so beliebten Kommentar in der Ich-Form)

Hundert Meter vom Haus, in dem ich arbeite, befindet sich einer dieser Telefonie-Shops, von dem aus man zu günstigen Tarifen mit Freunden in weit entfernten Länder sprechen kann. Der Shop gehört einem Mann mit langem weißen Gewand und langem, schwarzen Bart.

Ich gehe jeden Tag an besagtem Shop vorbei. Und oft stehen vor der Eingangstür ein paar Männer, die rauchen und sich in einer fremden Sprache unterhalten. Viele Bärte, viel weißes Gewand. Sie sind mir irgendwann einmal aufgefallen. So wie mir auch der Rechtschreibfehler am neuen Plakat des benachbarten Friseurs aufgefallen ist. Oder die überaus freundliche Dame vom Fitnesstudio. Ich beobachte gerne und viel. So halt.

Die Männer mit den Bärten waren mir immer egal. Wie fast alles andere auch, das ich beobachte. Die Tatsache, das ich gerne weiß, was rundherum los ist, bedeutet nicht, das mich das alles ernsthaft interessiert.

Am Tag, an dem die Redakteure von "Charlie Hebdo" ermordet wurden, war das anders. Plötzlich betrachtete ich die Männer mit skeptischen Augen. Unbehagen. Ich glaubte, genauer hinsehen zu müssen, nach verdächtigen Aspekten Ausschau halten zu müssen. Bei Männer, von denen ich nichts wusste und weiß. Die aber so aussahen, wie es in diesen aufwühlenden Stunden zu meiner Vorstellung von Tätern passte. Waren die eigentlich immer schon so viele gewesen?

Ich blieb stehen. War schockiert. Was zur Hölle ging in mir vor? Was sollte der Scheiß? So kannte ich mich nicht. So wollte ich mich nicht. Wenn "Charlie Hebdo" nicht nur eine Tragödie für die Betroffenen war, sondern auch ein Charaktertest für Millionen andere - scheiterte ich daran wirklich so kläglich?

Verstört setzte ich mich ins Kaffeehaus. Dachte nach. Ich wusste, ich hatte mir eine Art von aufkeimendem Rassismus vorzuwerfen. Und es gab nur wenig, was ich so überhaupt nicht zu akzeptieren bereit war. Es war doch so einfach: Die Attentäter wollten nicht nur morden, sie wollten damit die Gesellschaft spalten. Je mehr Hass auf Moslems, desto mehr Hass bei Moslems. So dreht sich die Gewaltspirale weiter. Simpel. Effektiv. Widerwärtig.

Ich trank aus und wusste, was ich zu tun hatte. Einfach nur fair bleiben. Keine demonstrativen Verbrüderungen mit Männern, die mich nicht interessieren. Aber auch keinen Vertrauensentzug auf Basis eines abgewandelten Sippenhaftungsprinzips.

Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Fahrrad am Telefonieshop vorbei. Zwei Männer. Weiße Kleidung, schwarze Bärte. Sie waren mir fast wieder so egal wie vor dem Attentat.

Ich hoffe, ich wünsche mir, dass es so bleibt. Aber es wird vermutlich ab und an Reflexion und Arbeit an mir selbst erfordern.

Und jetzt Hand aufs Herz: Wie sieht es eigentlich bei Ihnen aus?

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Naladin

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r.schoaf

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Stefan Schett

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Silvia Jelincic

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fishfan

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