Terroropfer Breitscheidplatz NICHT im Deutschen Bundestag gewürdigt? Brief an den Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert

Den folgenden Brief habe ich dieser Tage per E-Mail an den Bundestagspräsidenten, Dr. Norbert Lammert, versandt:

Hoch verehrter Herr Dr. Lammert,

zunächst einmal: Ihnen die besten Wünsche für 2017!

Am 30.12.2016 wurde der beim Terroranschlag von Berlin ermordete LKW-Fahrer Lukasz Urban (+ 37) in seiner polnischen Heimat beerdigt. Sein ganzes Heimatland nahm Anteil. Staatspräsident Andrzej Duda kniete vor dem Sarg. In ganz Polen betätigten Berufskollegen des Getöteten um 12 Uhr die Hupen ihrer Lastwagen.

Als der Sarg der getöteten Italienerin Fabrizia di Lorenzo (+ 31) mit einem Militärflugzeug auf dem Flughafen Ciampino bei Rom eintraf, waren der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella und Verteidigungsministerin Roberta Pinotti zugegen. Ministerpräsident Paolo Gentiloni veröffentlichte eine persönliche Beileidserklärung an die Familie.

In Israel wurde das Leben der 60 Jahre alt gewordenen Daliya Eliakim öffentlich gewürdigt, während ihr Mann Rami in einem Berliner Krankenhaus ums Überleben kämpfte. Staatspräsident Reuven Rivlin hatte die traurige Nachricht ihres Todes öffentlich verkündet, verbunden mit mitfühlenden Worten für die anderen Opfer und das vom Terror getroffene Deutschland.

Unsere Partnerländer Polen, Italien und Israel suggerieren mit ihrer Haltung zu den Terroropfern: Jeder einzelne Mensch zählt!

Bei unserem Nachbarn Frankreich zeigten Staat und Bevölkerung nach den Terrorschlägen in Paris 2015 und Nizza 2016 Flagge. Millionen Menschen demonstrierten auf den Straßen für westlich-freiheitliche Werte und zeigten: Wir lassen uns durch Terror nicht beugen!

Und wie verhält sich Deutschland?

Es befremdet mich zutiefst, dass wir einerseits ständig Bilder mit der Visage des Terroristen A. in Fernsehen, Zeitungen und Online-Medien vorgesetzt bekommen, aber andererseits das Volk nichts über die deutschen Opfer der Terrorkatastrophe von Berlin erfahren soll: Keine Gesichter, keine Namen, keine Berichte über die Lücken, die sie in ihren Umgebungen hinterlassen oder was sie mit ihren Leben in unserer Gesellschaft bewirkt haben. Ich habe dazu auch einen Blogbeitrag veröffentlicht: "Gebt den deutschen Terroropfern ein Gesicht!"

Gerne würde ich - wie viele andere deutsche Bürger auch - ein Zeichen des Mitgefühls setzen und den Hinterbliebenen zeigen: Wir stehen euch bei! Eure Toten werden nicht vergessen! Aber wie soll das gehen, wenn die Getöteten so konsequent anonymisiert werden und Staatsorgane nicht zu Trauerkundgebungen aufrufen? Verdienen nicht gerade jetzt die Familien der aus unserer Mitte Gerissenen die besondere Solidarität von Gesellschaft UND Staatsorganen?

Sehr traurig, ja: empört macht es mich zu lesen, dass der Bundestag auch nach Ablauf der Winterpause KEINE Gedenkzeremonie für die Ermordeten, Hinterbliebenen und schwer Verletzten abzuhalten beabsichtigt.

Das ist, angesichts der Bedeutung des gegen unser Land und unserer Werte gerichteten Terrorverbrechens, kalt und unwürdig!

Ich höre und lese dazu in meiner Umgebung kritische, empörte, sogar zynische Fragen:

Sind es uns die Opfer nicht wert, dass wir ihrer gedenken? Waren es nicht genug Tote auf einmal?

Möchte die Regierung einer unbequemen, politisch ungewollten Debatte ausweichen über mutmaßliches Sicherheitsversagen im Zusammenhang mit der generösen Willkommenspolitik gegenüber Schutz Suchenden - die man den Opfern schuldig wäre?

Wird ohnehin mit mehr und regelmäßigen Opfern bei künftigen Terroranschlägen in Deutschland gerechnet?

Oder verdrängen die Deutschen die gestiegene Terrorgefahr hierzulande - im Gegensatz zum Beispiel Israel - deswegen, "weil es hier noch 'Nie wieder Täter' heißt, in Israel dagegen 'Nie wieder Opfer'" - wie es der aus Berlin stammende israelische Sicherheitsexperte Arye Sharuz Shalicar in einem Interview ausdrückte?

Gerade Sie, sehr verehrter Dr. Lammert, haben mit ausgezeichneten Ansprachen anlässlich der jährlich am 27. Januar stattfindenden Holocaust-Gendenktage im Deutschen Bundestag dem Volk immer wieder die große moralische Kraft eines würdigen Erinnerns vor Augen geführt. Aber die Lehren der Vergangenheit wach halten, das schließt auch ein: Sie - mit Blick auf die Zukunft - in der Gegenwart anzuwenden. Wir dürfen uns vor einer Menschen und Demokratie verachtenden Ideologie von radikalislamistischen Terroristen nicht klein machen! Wir müssen potenzielle Terroristen stoppen!

Die Kraft des Mitgefühls für Terroropfer und Angehörige: Sie ist es, was einer aufgeklärten Gesellschaft die Kraft und den Mut gibt, der Drohung von Terror und Gewalt zu trotzten sowie für unsere gewachsenen, freiheitlichen Werte einzustehen. Verdrängung und etwaige politische Ablenkungsmanöver aber bewirken das Gegenteil.

Daher bitte ich Sie, den Präsidenten des Deutschen Bundestages, inständig: Setzen Sie sich für ein würdiges Gedenken für die Opfer des Breitscheidplatz-Terrorverbrechens im Deutschen Bundestag und anderswo ein.

Vielen Dank.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Michael den Hoet, Hamburg

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