Warum muss ich meiner 7jährigen Tochter erklären, was Analsex ist?

Lea (7) hat gerade lesen gelernt. Sie liest daher ihrer Mutter beim U-Bahnfahren aus den überall herumliegenden Gratiszeitungen vor und stellt dazu natürlich Fragen. "Warum muss ich meiner 7jährigen Tochter erklären, was Analsex ist?", klagt ihre Mutter. "Wieso ist das erlaubt, dass für Kinder frei zugängliche Zeitungen Sexinserate schalten? Soll meine Tochter lernen, dass Frauen gekauft werden können so wie Handys oder Autos oder Haustiere?"

Wie erklärt ihr euren Töchtern und Söhnen, dass Frauen gekauft werden können? Dass es Männer gibt, die für Sex bezahlen? Wie erklärt ihr ihnen, dass wir in einer Welt leben, in der Prostitution als Dienstleistung oder als Beruf bezeichnet wird? Wie geht es euch Frauen mit dem Wissen, dass viele Männer zu Prostituierten gehen und das normal finden?

Die Irin Rachel Moran erzählt in ihrem erschütternden Memoir "Paid for" von den 7 Jahren ihres Lebens, in denen sie als jugendliche Prostituierte überlebte. Sie räumt auf mit Mythen wie "Selbstbestimmtheit von Prosituierten", "Freiwilligkeit" oder gar "Spaß" in diesem Gewerbe und zeigt, wie eng wirtschaftliche Not, Armut und Obdachlosigkeit mit Prostitution zusammenhängen. Sie berichtet davon, wie sie und alle ihrer ehemaligen Kolleginnen sich beim Ausüben ihrer Tätigkeitdissoziieren, sich selbst entfremden, d.h. aus ihren Körpern, von ihren Gefühlen weg-beamen, mit mentalen Übungen oder mit Drogen, um die Entmenschlichung, den Ekel und den wiederholten bezahlten Missbrauch aushalten zu können.

Damit ist sie nicht die einzige: In ihrem von Hunderttausenden gelesenen „Brief an den lieben Sexkäufer“ spricht die ehemalige dänische Prostituierte Tanja Rahm klare Worte: „…während Du da lagst, waren meine Gedanken an einem anderen Ort. Ein Ort, an dem ich mich nicht darum kümmern musste, dass ich es Dir erlaubt hatte, meine Selbstachtung aus mir herauszusaugen.“

Doch es ist nicht nur die Prostituierte, die Schaden nimmt an ihrer Tätigkeit.Rahm sagt in ihrem Brief an Sexkäufer: „Wenn Du Sex kaufst, sagt es sehr viel über Dich aus, Deine Ansichten über Menschen und über Deine Sexualität (…) Die Prostituierten sind nur da, weil Männer wie Du einem gesunden und respektvollen Verhältnis zwischen Männern und Frauen im Weg stehen.“

Männer wie der ZEIT-JournalistBernd Ulrich fragen: „Wie kann es sein, dass hierzulande das Fleischessen unter höherem Rechtfertigungsdruck steht als Bordellbesuche? Offenbar denkt das kollektive Unbewusste noch immer, Prostitution sei Ausdruck der immer gleichen Triebnatur des armen Mannes, ein Ventil, das offen bleiben muss, um noch Schlimmeres zu verhüten.“

Moran fragt, wie es die Seelen der Männer verkrüppelt, die Sex kaufen, die Sex als etwas erleben, bei dem die Frauentmenschlicht und wie eine Sexpuppe behandelt wird. Sie fragt auch, welche Einstellung zu Sex und körperlichem Zusammensein zwischen Mann und Frau Männer, die Sex bei Prostituierten oder in Form von Pornos kaufen, in ihre Beziehungen zu Freundinnen und Ehefrauen hineintragen. Was es für jede einzelne Frau bedeutet, dass Männer Sex kaufen von Frauen, die sie entmenschlichen, erniedrigen oder misshandeln, weil sie meinen, durch die Bezahlung ein Recht darauf zu haben.

Für mich als Mutter und Großmutter bleibt die Frage, was es für das Gefühl von sexueller Ganzheit, Unversehrtheit, Sicherheit von jungen Mädchen bedeutet, wenn sie erfahren müssen, dass Frauen gekauft werden können. Wie Handys. Oder Pudel. Oder Wegwerfkameras.

Ich bin der Meinung, dass es nicht nur gegen jede zivilisierte Moral, sondern auch gegen die Menschenrechte verstößt, dass Menschen die Körper anderer Menschen gegen Bezahlung sexuell gebrauchen dürfen.

Rachel Morans Buch "Paid for" erscheint demnächst auf Deutsch. Ein Interview mit der Autorin gibt es in der aktuellen EMMA. Übrigens sicher empfehlenswertere Lektüre für die 7jährige Lea als die U-Bahn-Gratiszeitungen.

Johanna Vedral

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