Memoiren einer Geschäftsreisenden - wie der isländische Vulkan und die Deutsche Bahn meine Blase testeten, 2. Teil

Am nächsten Morgen sah die Welt schon wieder anders aus. Der deutsche Kollege war schon in der Früh abgereist, ich hatte noch bis Mittag zur Abfahrt meines Zuges. In Hamburg war schon ganz zart der Frühling eingezogen, das Wetter war prächtig. Mit einem Luxus-Frühstück im Hotel und einem Spaziergang an der Alster machte ich mich fit für die zehnstündige Bahnfahrt nach Wien.

Im Zug angekommen, musste ich noch eine junge Dame verscheuchen, die sich meinen Sitz angeeignet hatte. Die Arme hatte ohne Platzreservierung keine Chance, die nächsten Stunden irgendwo sitzen zu können. Die Waggons waren heillos überfüllt. Ich genoss es, wieder einmal mit der Bahn zu fahren. Wenn es nicht so lange dauern würde, wäre es eine wunderbare Art zu reisen, sehr entspannend, in der ersten Klasse zumindest.

Die Deutsche Bahn hat ja in Deutschland keinen guten Ruf. Bald würde das auch bei mir so sein. Aber noch fuhr sie pünktlich auf die Minute aus dem Hamburger Bahnhof ab. Allerdings hielt sie schon nach wenigen Minuten, wir waren noch immer am Bahnhofsgelände. Nach einiger Zeit erreichte uns per Durchsage die Information, dass es einen "Brückenanfahrschaden" (betont auf "an";) gegeben habe und es daher nur ein einziges Gleis gebe, über das alle Züge den Bahnhof verlassen bzw. in ihn einfahren könnten. Was ein Brückenanfahrschaden ist, erfuhren wir nach einiger Zeit auch noch. Ein LKW war in einen Pfeiler einer Unterführung des Bahnhofs gekracht und hatte dabei einen riesigen Schaden angerichtet. Das Ganze kostete uns eine halbe Stunde Verspätung. Was ja nicht so schlimm wäre, wenn ich nicht später umsteigen müßte und dafür laut Fahrplan aber nur acht Minuten vorgesehen waren. Das machte mich schon etwas nervös, weil ich mich fragte, was ich tun sollte, falls ich in Würzburg stranden würde. Wann und wie würde ich von dort wieder wegkommen? Ich fragte den Zugführer. Vielleicht wäre ja auch der andere Zug verspätet, dann könnte es sich eventuell sogar ausgehen mit dem Umsteigen. Dieser brauchte einige Zeit, um herauszufinden, wie das mit den Passagieren nach Wien wohl wäre, und dann kam folgende Durchsage: ja, wir hätten Glück und würden den Zug nach Wien kriegen, denn dieser hatte genauso viel Verspätung wie wir, das Umsteigen sollte kein Problem sein. Aber: in diesem Zug sind aufgrund eines hydraulischen Defekts alle 25 Toiletten ausgefallen. Wir sollten doch alle noch in diesem Zug schnell die Toilette benutzen, denn dann würde es ganz lange keine geben. Innerhalb einer Minute bildeten sich lange Schlangen vor jeder Toilette. Ich schaffte es auch noch gerade, bevor der Zug in Würzburg einfuhr.

Das Umsteigen klappte problemlos, und dann mussten wir irgendwie damit umgehen, dass wir kein Klo hatten. Ich beschloss, nichts mehr zu essen und zu trinken und nicht daran zu denken, dass ich Hunger und Durst hatte und "musste". Ich war mental vorbereitet und schaffte das auch. Anderen Passagieren ging es nicht so gut, sie fragten immer wieder nach, ob sie nicht doch etwa die Toilette benützen könnten, wurden aber abgewiesen. Für einige kam die Rettung, als wir über die österreichische Grenze fuhren. Die ÖBB, ja auch nicht immer die Beliebteste, hatte die glorreiche Idee, gleich nach unserem Zug einen anderen hinterher zu schicken. Jeder, der es absolut nicht mehr aushielt, konnte in den zweiten Zug umsteigen. Ich war aber misstrauisch, denn würde ich dort auch meinen reservierten Sitzplatz haben und müsste vielleicht die restliche Strecke stehen? Ich entschied mich zum Durchhalten und blieb, wo ich war. Ein Mann, der es versäumt hatte, in den zweiten Zug umzusteigen, fragte ganz dezent den österreichischen Schaffner, der ja nun im Abteil war, ob es denn nicht möglich wäre, die Toilette ausnahmsweise aufzusperren, es wäre halt ganz dringend. Der Schaffner, ein rustikaler Bursch, entgegnete mit sehr lauter Stimme, sodass es alle im Waggon hören konnten, "Müssen Sie groß oder klein?", der Reisende ganz kleinlaut "Eh nur klein". "Na, dann können wir schon einmal eine Ausnahme machen!". Mit den Österreichern konnte man ja doch vernünftig reden!

Jedenfalls kam ich nach 48stündiger Reise in Wien an. Ich hatte inzwischen keinen Harndrang mehr und rannte nicht gleich auf das erste Klo am Bahnhof. Nicht einmal zu Hause hatte ich da Bedürfnis. Erst drei Stunden später war es so weit. Was die Deutsche Bahn alles an Fähigkeiten aus einem herausholt!

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Bernhard Juranek

Bernhard Juranek bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:08

Judith Innreither

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Silvia Jelincic

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