Apnoetauchen ist Kopfsache.

Wer mit nur einem Atemzug in unglaubliche Tiefen vordringen will,

muss sich fallen lassen können – auch mental.

Der Schlüssel zum Erfolg ist die Symbiose aus Yoga und Tauchen.

Freier Fall. In die Stille. Darüber tobt ein Tropensturm. Zwischen den Wellenbergen sichern Männer mit vereinten Kräften die Plattform für die Freitauch-Weltmeisterschaft. Zu dieser Zeit treffen auf Long Island, Bahamas, extreme Bedingungen auf extreme Leistungen von extremen Sportlern. Keine Zeit für Worte. Jeder Handgriff muss sitzen, bevor der Sturm die Tauchstation aus Dean´s Blue Hole in den brechenden Atlantik reißt. Keine Zeit für Worte auch zwölf Stunden später. Jakob Galbavy sitzt in voller Montur an der Plattformkante. Er wartet bis die Konturen von William Truebridge, dem vielfachen Weltmeister und Rekordhalter, am Weg zurück an die Wasseroberfläche wieder erkennbar werden. Mit nur einem Atemzug und 25 Minuten meditativer Vorbereitung war er, im Epizentrum des Tauchhotspots, auf über hundert Meter Meerestiefe, verschwunden.

Der österreichischer Apnoetaucher Jakob Galbavy weiß aus eigener Erfahrung, dass die, im Verhältnis zur Tauchzeit, sehr lange mentale Vorbereitung entscheidend für einen erfolgreichen Freitauchgang ist. Gemeinsam mit seinem Yogalehrer Florian Reitlinger hat er Strategien entwickelt, die seine Leistungskurve exponentiell gesteigert haben. „Für viele Topathleten ist Yoga ein wesentlicher Teil ihrer Wettkampfvorbereitung“, erzählt Reitlinger, selbst ambitionierter Freitaucher, von seinen Beobachtungen an der Weltspitze. Mit den ebenfalls yogapraktizierenden Spitzentauchern William Trubridge, Jonathan Sunnex und Walid Boudhiaf sind die Österreicher bei der täglichen Yogapraxis in bester Gesellschaft. Ihren reichen Erfahrungsschatz über die Synergien beider Disziplinen teilen sie heute in gemeinsamen Workshops.

An der Oberfläche Tiefgang entwickeln

Persönliche Spitzenzeiten sind Freitauchern nur möglich, wenn sie gelernt haben, Körper und Geist ganz ruhig werden zu lassen und alles zu vermeiden was Sauerstoff verbraucht. Das Ziel: Völlige Leere im Kopf. Denn Apnoetauchgänge führen neben körperlicher Anstrengung auch zu extremer mentaler Hochspannung. Erst wenn der Kopf frei von Ballast ist, wird völlige Entspannung möglich. Freitaucher dürfen sich bei ihren Alleingängen in der Tiefe keine Panik und unüberlegte Handlungen erlauben. Sie müssen extrem wach und konzentriert sein. Meditationund positives Denken sind wertvolle Mittel, um diese Konzentration auf das Wesentliche zu erreichen und innere Ruhe zu finden. Doch die eigenen Gedanken zu kontrollieren und das Gedankenkarussell zum Stillstand zu bringen, ist nicht einfach. „Das Chaos im Kopf anzuerkennen, alles was aufflackert wahrzunehmen, aber sogleich wieder loszulassen, ist der erste Schritt in die richtige Richtung.

„Freitaucher tauchen nicht ab,um sich umzusehen,

sondern um in sich hineinzuschauen“

Die Yogapraxis hält für dieses Paradoxon spezielle Atemtechniken (Pranayama) bereit. Diese uralte Methode birgt einen reichen Schatz an Übungen, um bewusst den eigenen Atem zu steuern. „Durch eine regelmäßige Praxis kann die Atemkapazität erweitert, alle Atemräume unseres Körpers optimal genutzt und die Atempausen deutlich verlängert werden. Tiefe Bauchatmung hilft dabei besser zur Ruhe zu kommen und eine klar aufgerichtete Körperhaltung schafft mehr Platz für die Lungen“, gibt Florian Reitlinger Einblicke in die Wirksamkeit. „Prananyama lehrt uns mit unserem Atem bewusst umzugehen und setzt viel Energie frei. Im Freitauchen kann man von dieser Power ganz unmittelbar profitieren. Diese energetisierende Technik sollte unbedingt von einem erfahrenen Lehrer erlernt werden und verlangt zum Ausgleich Körperübungen oder Meditation.“ Facettenreiche Yogastellungen stärken den gesamten Körper, schulen das Körperbewusstsein und bringen uns in einen harmonischen Einklang. Dass Yoga nicht mit Gymnastik vergleichbar ist, bringt vor allem der gezielte Einsatz des eigenen Atems mit sich. Jede Bewegung wird durch bewusstes Ein – und Ausatmen begleitet und bringt auf diese Weise die Körperenergie in einen mächtigen Fluss.

Zähne zusammenbeißen ist kontraproduktiv

Jede muskuläre Anspannung im Körper verbraucht wertvollen Sauerstoff. Oft sind uns diese Verspannungen jedoch gar nicht bewusst. Längst haben wir uns an Schonhaltungen gewöhnt und völliges Loslassen verlernt. „Wenn der Nacken angespannt ist, überträgt sich die Anspannung auf den ganzen Körper“, macht Yogalehrer Reitlinger die Zusammenhänge von Kopf bis Fuß deutlich. Im Wasser sind diese Körpererfahrungen noch viel deutlicher spürbar als auf der Yogamatte. Das fasziniert mich an dieser Verbindung und lässt mich unglaublich viel von Apnoeisten lernen.“

Ganz im Hier und Jetzt zu sein, auf den eigenen Körper konzentriert bleiben und nicht mit anderen in Konkurrenz zu treten, ist Ziel der Yogapraxis und eine große Herausforderung. Auf den Bahamas würden die meisten gerne im Hier und Jetzt bleiben. Doch im durchgeplanten Alltag oder im in die Jahre gekommenen Hallenbad fällt dies schon schwerer. Bei Weltmeisterschaften nicht in Konkurrenz zu treten scheint ebenso utopisch. Doch seien wir ehrlich. Selbst wenn wir nicht im Kampf um Rekorde stehen, werden viele von Leistungsgedanken angetrieben und üben auf sich selbst enormen Druck aus. „Erst wenn mir die Zeit ganz egal war und ich mich einfach fallen gelassen habe, sind meine besten Resultate entstanden“ erzählt Jakob Galbavy über einen entscheidenden Entwicklungsschritt. Diese Gelassenheit zu erlangen ist ein Meilenstein am Weg vieler Alltagsyogis. Die Philosophie der traditionellen ganzheitlichen Methode kennt das leistungsorientierte Vergleichen, Messen und Bewerten nicht. Hier macht jeder sein Ding. „Freitaucher tauchen nicht unter um sich möglichst lange umzuschauen. Sie tauchen unter, um in sich selbst hineinzuschauen“, schließt der ins Yoga Eingetauchte den Kreis.

Bouquet an guten Gedanken

Hatte ich selbst zuvor die unschätzbaren Möglichkeiten der Yogapraxis für Freitaucher angezweifelt, so überraschten mich schließlich die erstaunlichen Erfahrungen, die ich während des Workshops machte. Als mir unter Wasser langsam die Luft ausging, nutzte ich ganz bewusst die Macht der positiven Gedanken. Wäre mir ein tiefes Luftholen nicht von so großem Bedürfnis gewesen, hätte es mir erneut den Atem verschlagen, als ich meine Apnoezeit hörte. Unglaubliche zwei Minuten und vierzig Sekunden war ich unter Wasser. Doch viel wichtiger: Das magische Gefühl der Zeitlosigkeit, dieses Flow-Erlebnis und die völlige Entspannung, in die ich eingetaucht war, machten mich glücklich.

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KatharinaWallner

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fischundfleisch

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