Österreich „konzentriert“ sich auf das Gedenkjahr 2018

Es bleibt zu hoffen, dass im kommenden zweiten Jahrhundert der österreichischen Republik – ohne sprachliche Misstöne – eine vollständige Aufarbeitung des politisch-historischen Erbes erfolgen wird. Überreste und Spuren der totalitären Vergangenheit des Landes sind immer noch sichtbar. Zu Beginn dieses Gedenkjahres erinnert die digitale Kunstinitiative „Memory Gaps“ mit ihrer aktuellen Ausstellung an ein weibliches Opfer der NS-Diktatur und an eine Straße in Wien, die es längst geben sollte.

Lilli Hagelberg (* 25. April 1895 in Wien; † nach dem 13. März 1943 im KZ Auschwitz), war eine österreichische jüdische Kunsthistorikerin. Sie übersiedelte von Wien nach München, wo sie vorwiegend publizierte und unterrichtete. Zu ihren wissenschaftlichen Arbeiten zählten unter anderem Abhandlungen zu Heinrich von Kleist und Hugo von Hofmannsthal. Lilli (auch Lilly bzw. Lili) Hagelberg wurde in München verhaftet und ab dem 15. April 1942 im Internierungslager in der Clemens-August-Straße festgesetzt. Sie wurde am 13. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort vermutlich bereits kurz nach ihrer Ankunft ermordet.

Bis zum heutigen Tag existiert in Wien keine Straße, die ihren Namen trägt. Hingegen ist nach Richard Seefelder seit 1955 in Wien-Donaustadt noch immer eine Gasse benannt. Seefelder war Arzt und Professor für Augenheilkunde in Leipzig und Innsbruck, in den 1920er Jahren auch Dekan und Rektor der Universität Innsbruck. Er trat 1933 in Innsbruck der (illegalen) NSDAP und 1938 der SS bei. 1939 wurde er SS-Untersturmführer, als Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes wurde er Oberstabsarzt der Wehrmacht und ab 1943 Oberstarzt.

Seefelder war seit 1923 Mitglied des Corps „Athesia“ in Innsbruck, einer Studentenverbindung, die 1938 in einer Kameradschaft des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes weiterbestand. Als Kulturkontrast zur Kunsthistorikerin Lilli Hagelberg sei Richard Seefelder zitiert, der 1929, als Rektor der Universität Innsbruck eine Rede anlässlich des sogenannten Antrittskommers des Waffenrings hielt. Dort gab er der nationalen und der katholischen Studentenkompanie den Leitspruch mit: „Getrennt marschieren, vereint schlagen!“ (Burschenschaftliche Blätter 44, 1929/30)

Anstelle von Richard Seefelder, der überdies keinen nennenswerten Wien-Bezug aufweist, sollte in Wien-Donaustadt an Lilli Hagelberg erinnert werden.

Die 2015 gegründete Kunstinitiative Memory Gaps ::: Erinnerungslücken der Malerin Konstanze Sailer wird mit einer weiteren Ausstellung von Tuschen auf Papier in virtuellen Räumen eröffnet. Die Galerien befinden sich ausnahmslos in Straßen oder an Plätzen, die es nicht gibt, die es jedoch geben sollte: solche mit Namen von Opfern der NS-Diktatur. Monat für Monat wird so das kollektive Gedächtnis erweitert. Monat für Monat werden damit Erinnerungslücken geschlossen.

Dominik Schmidt

PS: Hier gelangen Sie zum (kostenlosen) Download des E-Books "Die braune Gegenwart", München/Wien 2017, in dem die Kunstinitiative Memory Gaps ::: Erinnerungslücken von 2015 bis Herbst 2017 zusammenfassend enthalten ist, Formate: mobi (Kindle), epub und PDF (Umfang 70 S., mit 32 Abb.).

Bildausschnitt: „Schrei 13:32 Uhr“, 2017, Tusche auf Papier, 48 x 36cm; ©: Konstanze Sailer https://www.memorygaps.eu/gap-januar-2018/

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