Stelle man sich nun für einen utopisch angehauchten Moment vor, inwiefern eine Welt voller, aus welchem Grunde auch immer, konstant sexuell befriedigter Männer anders als die heutige wäre. Wer an dieser Stelle lacht oder zumindest grinst und denkt "Ich weiß worauf das hinausläuft" hat den Kern der Sache leider noch immer nicht ganz verstanden - genau das will ich mit den nächsten Zeilen ändern. Ganz klar würde es zu keinen Vergewaltigungen mehr kommen, Männer würden ihre Hormone im Griff haben anstatt umgekehrt und (unprovozierte) Gewalt wäre eine (unwahrscheinliche) Ausnahme - sofern existenzielle Grundbedürfnisse ebenso gestillt sind. Schließlich erhält ein Mann via Sex die größtmögliche konstante Form von erfüllender Wertschätzung - so komisch das für die Frauenwelt klingen mag. [Ein fremd induzierter Orgasmus fühlt sich fortwährend wie ein (dringend nötiges) Lob für eine immer wieder neue Sache an - und damit haarscharf wie echte Wertschätzung.]

Die Übersexualisierung würde stark abnehmen, Werbungen mit knapp bekleideten Modells würden nicht mehr funktionieren - "Künstler" hätten keinen künstlerischen Anspruch für zur Schau gestellte Sexualität, das Brechen dieses Tabus wäre unspektakulär und ein Busenblitzer würde für soviel Aufregung sorgen wie der prominente Sack Reis in China. Daneben würde die Pornoindustrie auf ein "interessantes Ausmaß" schrumpfen und die Darstellungen selbst würden (nona) nicht mehr in halben Notzüchtigungen der Frauen ausarten. Bordells würden völlig nutzlos sein und mit ihnen eine ganze Industrie aus misshandelten Frauen und mafiösen Betreibern aussterben - ähnlich würde es den puritanischen Sexualbestrebungen aus Übersee gehen. Früher oder später würde wohl die Kirche das Zölibat abschaffen müssen, die Jungfräulichkeit von Frauen wird gänzlich unbedeutend (für deren "Wert" - eine für sich genommen äußerst perverse Ansicht) und der Sex allgemein (und im Speziellen für die vielfach schwer vernachlässigten Frauen) würde immer besser. Klingen diese Änderungen nicht erstrebenswert?

Ich schlussfolgere, dass eine Welt voller sexuell befriedigter Männer erstrebenswert wäre. Wie aber erreicht man dieses Ziel (annähernd, denn ein Idealbild lässt sich NIE zur Gänze vollziehen)? Zunächst führt mich die Frage zu einem gängigen Dogma: Liebe und Sex sind untrennbar und nur im Rahmen einer Beziehung mit EINEM Partner zu erleben - was der klassisch-christlichen Monogamie entspricht. Zusätzlich geht diese Theorie von dem EINEN Partner fürs Leben aus - quasi von Gott oder dem Schicksal -ganz wie man es lieber hat- vorherbestimmt. Und was Gott geeint hat, darf der Mensch ja nicht trennen. Das hieße in der Praxis, vorehelicher Sex hin oder her, dass man zeitlebens mit EINEM Menschen in ein sexuelles Verhältnis treten dürfte. Geht man weg vom überchristlichen Glauben an den einen gottbestimmten Partner, so steht man immer noch vor dem Dilemma, dass man, sofern man eben zwei, drei oder halt zehn Lebenspartner hat, auch nur mit zwei, drei oder eben zehn Menschen Sex hat. Sollte darunter jemand sein, zu dem man sich zwar sehr wohl charakterlich, dafür aber (irgendwann) nicht (mehr) sexuell hingezogen fühlt, folgt das nächste Dilemma. Dazu gibt es bereits die wildesten Studien, ich beginne mit der leidigen Scheidungsrate: Wer sich in Österreich traut, hat ein ca. 44%iges Risiko, dass die Ehe wieder in die Brüche geht, Tendenz steigend. Und nur um es vorweg zu nehmen: Früher waren die Ehen bestimmt nicht glücklicher als heute, jedoch war das Patriarchat damals noch stärker und viele Frauen tappten in die Hausfrauen- und Mutterfalle - womit wir beim in Teil I erwähnten Abhängigkeitsverhältnis angekommen sind.

Unglückliche Ehepartner suchen, obwohl sie die Beziehung nicht gefährden möchten, oft nach Affären, die ihnen ihre emotionalen Bedürfnisse erfüllen. Sei es ein simples Verstanden-Werden oder aber auch ein sexuelles Verhältnis. Beides zieht eine starke psychische Belastung (nicht selten für alle Beteiligten) nach sich und macht im Wesentlichen niemanden dauerhaft glücklich. Die Bilanz für dieses ach-so gottgewollte oder wahlweise natürliche -für was auch immer man es halten mag- Beziehungsmodell ist derartig desaströs, dass es de facto nichts von beidem sein kann. Zusätzlich fühlen sich -wie leider so oft- speziell die Frauen vernachlässigt: Laut unterschiedlicher Studien würden 25% und mehr -80% war der höchste vorgefundene Wert- ihren Partner "betrügen" - Hauptgründe waren emotionale Vernachlässigung, sowie Eintönigkeit im Bett. Es entspricht einer verübelnswerten Zumutung, kommunikative und sexuelle Wesen wie Frauen derartig zu vernachlässigen - so ehrlich muss man als Mann auch zu sich selbst sein.

Übrigens meinte ich mit "sexuelle Wesen", dass Frauen in Wahrheit viel sexueller sind als Männer - das ist keine Generalisierung, sondern ebenso biologische Tatsache, wie der weibliche Körper evolutionär höher entwickelt und angepasster ist, als jener der Männer. Wir Männer sind den Frauen in diesen Kategorien schlicht und ergreifend unterlegen. Ja, richtig gelesen, Frauen sind sexueller - wenn Männer sie es sein lassen würden. Dagegen spricht, Sie ahnen es an diesem Punkt wahrscheinlich schon, das Patriarchat (und all die damit einhergehende Unterdrückung). Außerdem kann, glaubt man der Statistik, wohl niemals ein Umschwung stattfinden, solange nur knapp 1/3 der Frauen überhaupt (!) zum Orgasmus kommt - woher will man sich seiner Sexualität im gesamten Ausmaß bewusst werden, wenn doch nur Frust und Enttäuschung auf dem Programm stehen? Ich habe nicht weiter recherchiert, wie viele von diesen Frauen davon nur einen Orgasmus der Sorte "ein paar Minuten Sex und schon ist ein Lüftchen da, das auch sofort wieder verpufft" haben bzw. ob die Orgasmen überhaupt zumindest regelmäßig stattfinden. Ein überaus lausiges Zeugnis für die Männerwelt.

Beobachtet man das Verhalten von unseren tierischen Verwandten, so springt ein Verhältnis eklatant ins Auge: Schimpansen haben Hierarchien, feste Strukturen und klare Regeln. Trifft ein Schimpanse auf einen Futterkonkurrenten aus einem anderen Stamm, so versucht er nicht selten, diesen zu töten. Wir betrachten Schimpansen als jene Gattung von Menschenaffen, die uns am nächsten ist. Bonobos dagegen würden einem völlig unbekannten Mitglied eines anderen Stammes sogar zu Fressen anbieten - im Austausch für Streicheleinheiten. In einem Experiment mit vier abgetrennten Kammern, wurde einem Bonobo ermöglicht, zunächst das Tor zur "Futterkammer" zu öffnen. Diese grenzte an eine Kammer mit einem Fremdling, und eine Kammer mit einem Stammesmitglied - beide geschlossen und nur von der Futterkammer aus zu öffnen. Der Bonobo, noch bevor er selbst zu fressen begann, öffnete zuerst die Kammer des Fremden! Der Fremde, nachdem er Streicheleinheiten austeilte, öffnete die Kammer des ihm fremden Stammesmitglieds! So wäre es zwei gegen einen gestanden, hätte es sich um eine Konfliktsituation gehandelt! Ein schier unglaublich soziales Verhalten, welches stets nach einem ähnlichen Schema ablief, selbst nach mehrmaliger Wiederholung des Experiments. Die Wissenschaftler beteuerten, dass sie dieses Experiment unmöglich mit Schimpansen durchführen können hätten, mit der Anfügung, dass diese sich wahrscheinlich gegenseitig unsanft in die Haare gefahren wären.

Ja, die Bonobos stehen im Ruf, soziale Konflikte friedlich zu lösen, sie sind die echten und leider noch einzigen "Make Love, not War!"-Primaten - und dazu haben sie vor allem eines: Sex! Ohne Unterschied zwischen Alter, Geschlecht, ob Schwanger, mit Kind oder ob ein "Rangniedrigerer" einen "Ranghöheren" besteigt. Sex dient dem Miteinander, anstatt, wie bei den Schimpansen, eine allenfalls spaltende und unterwerfende Funktion zu erfüllen. Das lässt sich so natürlich nicht 1:1 auf den Menschen ummünzen - aber die Tendenz ist glasklar: Wir sollten weg von schimpansischen Verhaltensmustern hin zu jenen der Bonobos streben, schlichtweg um der Menschheit Willen.

Dabei darf man einen springenden Punkt nicht überlesen: Es ist den Bonobos völlig gleich, ob sie mit Anders- oder Gleichgeschlechtlichen verkehren. Auch wir Menschen sollten dazu übergehen, keine Gräben zwischen Homo- und Heterosexuellen zu ziehen, sondern einer Wahrheit ins Auge zu sehen, die für viele leider noch schwer greifbar ist. Unser sexuelles Rollenbild wird uns so sehr vorgegeben, dass es vielen völlig ausgeschlossen erscheint, dass jene Frage unwesentlich für die Natur des Menschen ist, mit wem er Sex hat. Dass wir faktisch verkappte (weil vom Kleinkindalter an umerzogene) Bisexuelle sind und jeder von Geburt an ein Bedürfnis in sich trägt, welches uns quasi automatisch zu im Grunde promiskuitiven Wesen macht, also zu solchen, die ihre Sexpartner am liebsten von Zeit zu Zeit wechseln würden, das soll ein kräftiger Anstoß sein um unser diesbezügliches Bild zu entstauben. Auch an dieser Stelle möchte ich festhalten, dass eine Änderung hin zu diesem Denkmodell nicht zwingend zu gesellschaftsübergreifenden, ausschweifenden Orgien und dergleichen führen muss - also allem was man im Bezug auf Sex für moralisch verwerflich hält... STOP! Die Moral ist eines meiner Lieblingsthemen.

Denn solange Sex als Sünde und verwerflich betrachtet wird, wird es uns nicht gelingen, uns von den alten Fesseln zu lösen. Dass viel Sex mit den verschiedensten Personen keinerlei negative gesellschaftliche Auswirkung hat, weiß ich aus eigener Erfahrung. Mit Interesse habe ich schwule Paarungen in meinem Bekanntenkreis mitverfolgt um festzustellen, dass man es bei niemandem nach außen hin merken würde - allesamt waren sie aus Scham erklärte Heteros, auch gegenüber mir. Und dennoch kam es bei all dem Treiben zu den verschiedensten Konstellationen, bei denen z.T. ein Gutteil ganzer Jahrgänge über zwei, drei Ecken unter einer Decke steckte. Nichts davon zog auch nur irgendeinen negativen Effekt, weder für den Charakter noch den privaten Erfolg, jedes einzelnen Beteiligten nach sich - eher im Gegenteil. Und was sagt die Religion dazu? Ich meine, wenn Gott, sofern es ihn denn gibt, nicht gewollt hätte, dass der Mensch viel Lust an Sex hat, dann hätte er sich einen Weg (bzw. Sexualorgane) einfallen lassen, der uns nicht fortwährend zur Selbstkasteiung im Rahmen der Zügelung unserer ach-so-satanischen (in echt wohl eher noch göttlichen) Triebe zwingt. Außerdem muss der allmächtige Gott über so etwas -im Vergleich zum Universum- kleinlich-menschliches wie Moral soweit erhaben sein, dass er uns letztlich doch nicht danach (also nach unseren Regeln) beurteilt - soviel zu meinen diesbezüglichen theologischen Ansichten.

Also was, abgesehen von unserem eigenen Denken und Handeln, hält uns noch von einem erfüllten Sexleben, und damit einem erfüllten Leben, ab? Es ist die Vorstellung, dass Liebe und Sex nur paarweise vorkommen. Und es stimmt: Sex lässt Liebe entstehen, ganz automatisch und unwillkürlich - wir fühlen eine Bindung, und es ist unglaublich erhebend, derweil dem Partner in die Augen zu sehen. Dafür muss man sich noch lange nicht charakterlich ergänzen, was ich aus eigener Erfahrung behaupten kann. Es genügt guter Sex. Auch lässt Liebe Sex entstehen. Ich denke nicht, dass ich das noch näher erläutern muss. Jedoch: Man kann jemanden noch so sehr Lieben bzw. noch so viel Sex haben - es liegt letztlich an den Zukunftsplänen, der gegenseitigen Vertrautheit und den gemeinsamen Interessen, ob eine Partnerschaft das Schicksal zweier Menschen bis an deren Lebensende eint. Eine Partnerschaft braucht im schlechtesten Fall bloß ein gewisses Ausmaß von den drei genannten Faktoren und kommt damit schon ohne Sex sowie mit einem allfällig notwendigen Mindestmaß an Liebe aus. Im besten (aber unmöglichen) Fall vereint eine Partnerschaft alle Aspekte perfekt in sich. Aber jemand mit dem man Sex hat muss noch lange niemand sein, mit dem man gemeinsame Interessen hat. Selbst wenn guter Sex Liebe auslöst, kann man eine Partnerschaft einvernehmlich bleiben lassen. Dann etwa, wenn beide Sexualpartner bereits Lebenspartner haben, mit denen sie Pläne und Interessen teilen.

Was mich zum finalen Konzept führt: Das Überwinden von Eifersucht ist nicht nur in diesem Zusammenhang Grundvoraussetzung für ein besseres Miteinander. In einem Beziehungsmodell namens Polyamorie wird Treue als "Ehrlichkeit, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Wohlwollen in Bezug auf die Beziehung" verstanden, sowie "die Einhaltung von Absprachen innerhalb dieser Beziehung. Generell werden dauerhafte Beziehungen angestrebt (...)." Man versteht einander und ist gedanklich völlig eins - etwas, auf das eine funktionierende Partnerschaft aufbaut. Untreue wird also nicht im herkömmlichen Sinne interpretiert - wobei die Definition davon schon alleine hakig ist. Fängt sie bereits bei einem zum Flirt missratenem Gespräch an, oder doch schon im Kopf, oder aber erst bei einem Kuss? Wieviel darf/muss man als Partner mit einer sympathischen Drittperson unternehmen bevor es zur Untreue wird? Ja, es fängt wohl bereits im Kopf an - und macht einen ab diesem leidigen Punkt zu einer unehrlichen Person. Wenn nicht vor dem Partner, dann vor jener Person - und wenn beides nicht, dann vor sich selbst. In einer Polyamorie gibt es im idealen Falle keine Eifersucht, stattdessen Ehrlichkeit und Verständnis. Ich persönlich würde sogar so weit gehen, mich für meine Partnerin zu freuen, falls sie ihr Sexualleben mit anderen Eindrücken erweitern und somit ihre Lebensqualität steigern möchte - denn damit steigt auch meine Lebensqualität. Etwas Grundlegendes für harmoniebedürftige Menschen. Es ist generell an der Zeit, Gefühle wie Eifersucht und Neid zu überwinden - und uns über das Glück anderer Menschen zu freuen anstatt sie dafür zu hassen.

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:13

2 Kommentare

Mehr von Mephistopheles