Ganz ohne dem teilweise übertriebenen Glauben an den Fortschritt durch Wissenschaft, bin ich davon überzeugt, dass viele gesellschaftliche Durchbrüche erst durch gewisse einzelne Innovationen möglich sind. Unter diesen vielen (u.a. geistigen) Errungenschaften gibt es jedoch so einige „Modernisierungen“ im Namen der Zukunft, deren Blütezeit angesichts ihrer Pseudowissenschaftlichkeit geradezu schon wieder abgelaufen ist – so wie es etwa das Zupflastern des öffentlichen Raumes mit Werbebotschaften und Markenlogos ist. Das ist modern.

Jedoch: Der Trend wird hierbei innerhalb der nächsten zehn Jahre in Richtung Reduktion der täglich durch ein Fortbewegen in der Öffentlichkeit aufgebürdeten Werbungen gehen; schlichtweg weil mit ihrem überbordenden Auftreten immer mehr Bewusstsein dafür entstehen wird und dabei letztlich deren negative Effekte ausschlaggebend für eine Reaktion sein werden.

Noch gilt es oft als schick, mit dem Logo einer wohlstandsvermittelnden Marke aufzutreten. Man muss kein Prophet sein, um angesichts der immer weiter zur Mitte der Gesellschaft hin vorstoßenden Armut ein Ende dieses Trends voraussagen zu können – es ist simple Psychologie. Apple oder Diesel lassen ihre Kunden zweifellos wegen dem Wert ihrer Marke mehr bezahlen. Schon jetzt gibt es den Abwärtstrend für Apple in der Wahrnehmung – er wird alle „Wert“-Marken betreffen, wo immer sie für die Mitte der Gesellschaft an der Grenze der Leistbarkeit sein werden.

Genauso wird es auch mit öffentlichen Werbungen im Sinne einer Toleranz für von der Heterosexualität abweichende Sexualformen verlaufen – eine Gesellschaft, in der diese Toleranz vorhanden ist, hat keinen Bedarf danach. Das Bewusstsein dafür wird jedoch auf eine ganz andere Weise als mithilfe von etwa Gay-Pride-Paraden oder homosexuellen Ampelpärchen geschaffen. Nicht zuletzt deshalb wird ebenso innerhalb der nächsten zehn Jahre der Moment kommen, an dem solche Dinge von wissenschaftlich vorgehenden Beobachtern als wirkungslos erachtet werden müssen. Der Zweck ihres Bestehens wird dann hinterfragt werden müssen – bei Gay-Pride-Paraden findet man immerhin den Party-Aspekt vor; und wer will Menschen schon das gepflegte Feiern verbieten?

Eine andere Erscheinung hingegen darf als völlig haltlos bewertet werden: Gender-Mainstreaming. Ich kenne die grundsätzlichen Überlegungen dieser Bewegung – und sie sind bezeichnenderweise allesamt auf falschen Annahmen aufgebaut.

Etwa wenn das Inuit-Argument vorgebracht wird: So wie die Bewohner der Arktis hunderte Wörter für Schnee hätten, weil dieser eine zentrale Rolle in ihrem Leben spielen würde, so sollten auch „wir“ der Frau eine solche Geltung in unserem Sprachgebrauch einräumen, da sie so eine zentrale Rolle spielt. Die Überlegung dahinter mag gut gemeint sein, ist jedoch grundfalsch: Die Sprache der Inuit ist polysynthetisch aufgebaut, d.h. hier können Wörter, ähnlich wie im Deutschen, beliebig zusammengefügt werden – tatsächlich gibt es also nicht die oft kolportierten 7 oder 12 oder 100e Wörter für Schnee, sondern es gibt quasi unendliche Möglichkeiten, Schnee zu beschreiben indem das Wort für Schnee selbst mit ihnen ergänzt wird. Das führt die Überlegung dahinter, betreffend der Begriffsvariantenhäufigkeit nach kulturspezifischer Begriffsbedeutung völlig ad absurdum.

Gender-Mainstreamer sollten sich zuerst bewusst machen, dass zwar ein absoluter Großteil, jedoch nicht alle Sprachen der Welt überhaupt nach dem von ihnen bewerteten Schema aufgebaut sind – das Inuktitut gehört hier nicht dazu. Im Mandarin (Chinesisch) wäre dies genauso unmöglich – es ist schlichtweg völlig anders aufgebaut.

Frei nach Aristoteles führe ich aber Extrembeispiele mit gültigen Sprachen an, um die These zu prüfen und die gesellschaftsbezogene Wirkungslosigkeit von Marotten wie dem Binnen-I zu verdeutlichen: Frankreich ist unzweifelhaft jenes europäische Land, mit den insgesamt feministischsten Gesetzen und der gleichberechtigtsten Gesellschaft. Dieser Vorsatz prägt dieses Land schon seit der französischen Revolution – seit den 1790ern. Wer sich jedoch mit der gepflegten französischen Sprache befasst, wird schnell bemerken, dass diese nach Gesichtspunkten von Gender-Mainstreamern noch um einiges frauenfeindlicher als etwa die deutsche Sprache ist. Dass etwa eine Gruppe von tausenden Frauen schon ab dem ersten männlichen Mitglied nicht mehr mit der femininen Form „elles“ sondern mit dem männlichen „ils“ bedacht wird, ist bloß ein bekannteres Beispiel von mehreren.

Das andere Extrem bietet Arabisch, denn diese Sprache nimmt eine bemerkenswerte Rücksicht auf alles, was irgendwie weiblich ist – einer Situation, wie mit einem englischsprachigen Dialogpartner, bei dem das Geschlecht des simpel mit „Friend“ bezeichneten Wesens niemals klar ist, wird man in der arabischsprachigen Welt unter Garantie nie ausgesetzt sein. Obwohl sich Arabisch nun seit über tausend Jahren nie wesentlich änderte, gab es in der gesamten Zeit keine grundlegenden Fortschritte für die Frauenwelt, wie etwa durch die französische Revolution. Man darf also getrost davon ausgehen, dass das gesellschaftseigene Frauen-Rollenbild nicht wesentlich durch den Sprachgebrauch gebildet wird, sondern dadurch, wie Frauen tatsächlich behandelt werden.

Aufrichtig betrachtet fanden die wesentlichsten Fortschritte für die Frauenwelt zu einer Zeit statt, als z.B. „Weib“ noch ein von der Mitte der Gesellschaft benutzter Begriff war.

Oder um es noch deutlicher zu machen: Wer glaubt, dass durch Gendern auch nur eine einzige Frau weniger misshandelt, unterbezahlt oder auf ihr Äußeres reduziert wird, der möge vortreten. Wer aber glaubt, dass diese Missstände nur durch konkrete, kontextbezogene Aktionen zurückgedrängt werden können, darf sich aller Evidenz nach in der guten Gesellschaft der Mehrheit der Österreicher wähnen.

Dabei gibt es sogar eine erhebliche politische Komponente: Ich kenne einige potenzielle Grün-Wähler, die diese Partei solange nicht wählen können, wie Mumpitz-Themen wie eben Gendern oder homosexuelle Ampelpärchen im Vordergrund der politischen Agitation stehen, während gesamtgesellschaftlich wirkungsvolle Schritte gegen Frauenunterdrückung und Homosexuellenausgrenzung gar nicht erst zur Sprache kommen.

Daneben wohnen dem korrekt angewandten Gendern so einige Fallstricke inne – als interessierter Leser habe ich bisher nur in Ausnahmefällen korrekt gegenderte Texte vorgefunden. Die Regel war, dass die Gruppe der Aufmerksamkeit des jeweiligen Autors gegendert wurde, aber dass sich ansonsten immer wieder „unmarkierte“ Begriffe, also Fehler, einschlichen. Es herrscht im Sprachzentrum der Schreiber und Redenschwinger schlichtweg kein Bewusstsein für Gendern vor, selbst wenn sie einen noch so guten Umgang mit der Frauenwelt pflegen. Apropos „Schreiber und Redenschwinger“: Ziel des Gender-Mainstreaming ist ja, dass nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs gegendert wird, sondern im Alltagsgebrauch – als wäre es für jeden einzelnen Sprecher eine völlige Selbstverständlichkeit, bei jeder genannten Gruppe immer auch ihre weiblichen Mitglieder anzusprechen [anders, so das Argument der Gender-Mainstreamer, würde die Psyche deren Vorhandensein ausblenden].

Ein wesentlicher linguistischer Aspekt wird dabei völlig ignoriert: Die sogenannte „Markiertheit“. Ein unmarkiertes Wort entspricht der unspezifischen Grundform – etwa das Wort „Mitglieder“. Ein markiertes Wort bezieht sich auf eine spezielle Gruppe (innerhalb der angesprochenen Gruppe, und schließt den Rest damit aus) – etwa „Mitgliederinnen“. Gender-Mainstreaming verlangt also bei der Verwendung jedes unmarkierten Wortes gleichzeitig die Verwendung des markierten Wortes für den weiblichen Teil der angesprochenen Gruppe. Während „Schüler“ alle Schüler anspricht, schließt „Schülerinnen“ die männlichen Schüler aus – faktisch ist ein solches Hervorheben von einzelnen Gruppenteilen nur zu formellen Anlässen, etwa politischen Reden, ein Bestandteil der angebrachten rhetorischen Etikette, ansonsten wird es erfahrungsgemäß rein als geschwollen bis komisch wahrgenommen.

Diese Gründe sprechen dafür, dass es bei allen Bemühungen wohl nie gelingen wird, die gesamte deutschsprachige Gesellschaft zum tatsächlich korrekten Gendern zu bringen. Muss das heißen, dass die Gesellschaft Frauen (und alles zwischen Mann und Frau) niemals auf gleicher Höhe behandeln wird? Dass Frauen niemals in „unserer Mitte“ ankommen werden? Ich denke nicht, und jeder der mir beipflichtet muss sich eingestehen, dass Gender-Mainstreaming eine vernachlässigbare Wirkung hat – auf die Gesellschaft im Allgemeinen, wie auf die Frauen im Speziellen. Behandeln wir sie daher am Besten wie Atomkraft: Nicht einführen, solange der Nutzen nicht den Aufwand übersteigt, aber erforschen, rein im Sinne der Wissen-schaft, bis eine sinnvolle Anwendung offenbar wird.

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StatistikFan100

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Erkrath

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