#Liebe #Gewalt #Hoffnung #Seele #Hilferuf

Meine Freundin ruft mich mit tränenerstickter Stimme an und erzählt, dass sie von Ihrem Mann weg muss. Sie hält die Gewalt, die Unterdrückung und die Spielchen nicht mehr aus.

Ich muss mich setzen. Die Bilderreihen auf Facebook haben mir fast täglich einen anderen Eindruck vermittelt.

"Erzähl mal in Ruhe, wein, und erzähl mal.."

Und dann bricht alles aus ihr raus. Dass schon die Ehe unter Druck eingegangen worden ist (Wenn Du mich verlässt, bringe ich mich um.) Die Frau war damals noch gesünder und besser drauf und wollte schon vor der Ehe das Weite suchen. Die Polizei war schon mal da, weil er sie durch Wohnzimmer "schubste". Das wurde aber nicht besonders ernst genommen. Sie solle halt woanders schlafen heute Nacht. In der Zwischenzeit sind über zwanzig (das lassen wir uns jetzt gaaanz langsam auf der Zunge zergehen.. 20) Jahre vergangen. Die Frau ist körperlich und geistig nicht mehr gesund, nicht mehr fit, muss Tabletten nehmen, wird vor Angst und Druck hie und da mal psyschotisch und da hat der liebende Ehemann schon ein weiteres Druckmittel zu Hand: Er droht nicht nur mit Selbstmord bei Verlassenwerden, nein, er droht auch mit Einweisung auf die Psychiatrie. Immer und immer wieder versucht sie, von ihm wegzukommen. Man sollte meinen, dass ihr jemand zur Seite steht.

Weit gefehlt! Die streng gläubige Mutter glaubt ihr kein Wort und wenn er gemein ist, ist es ihre eigene Schuld. Sie ist schwierig. Es ist nicht leicht mit ihr. Die Schwester? Die hält eisern zu ihm, egal, was passiert, die hat er fest um den Finger gewickelt. Die Cousinen? Die sagen, sie soll nicht so viel Blödsinn reden.

Er hat allen erzählt, dass sie psychotische Anfälle hat und wenn sie anruft, sollen sie es ihm sagen, damit er "helfen" kann.

Das hat er bei mir auch versucht. Nur ist er da gegen eine Wand gelaufen, weil ich denselben Scheiss von Jahren selbst erleben durfte. Ich hab mir den Mist angehört, ihm angeboten, sich zu melden, wenn er "Hilfe bei der Unterstützung seine Frau, die er über alles liebt" braucht und gewartet. Er hat sich nicht gemeldet, obwohl sie wieder mal im Spital war. Auch nachher nicht. Auch auf Nachfrage nicht. Da wusste ich, dass was faul war. Und da habe ich das erste Mal bei ihr nachgefragt. Die Antworten kamen ängstlich, zögerlich und dann die ganzen Geschichte. Zwei mal Psychose, zwei mal Psychiatrie, zwei mal ruhig stellen. Ich bin erschrocken.

Vor kurzem kam dann dieser Anruf von ihr. Streit, Polizei, Betretungsverbot. "Sie haben mich ernst genommen! Ich will mich scheiden lassen. Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr!"

Gut, dachte ich. Sie hat eine Gewalthotline angerufen, einen Beratungstermin ausgemacht und mich täglich angerufen, immer mehr erzählt und klang jeden Tag besser. Es war auch kein depressives Verhalten mehr zu bemerken, es klang erschöpft, aber lebensfroh und mit Freude auf neue Dinge.

Dann kam der Tag des Beratungstermins. Ich hörte nichts von ihr an diesem Tag. Am nächsten Tag rief sie an und klang leise und vorsichtig, zögerlich. Das Gespräch sei furchtbar verlaufen, die Dame hätte sich kaum ausgekannt, man hätte sie auch wegen der Scheidung nicht beraten können. Wie gehts weiter? "Ich möchte es nochmal mit ihm versuchen." Ich fiel aus allen Wolken. Wie das, so plötzlich? "So viele Jahre und schade drum und große Liebe und Vater meines (bitte mittlerweile erwachsenen und ausgezogenen) Kindes und mein Lebensmensch und und und.." den Rest kennt man aus schlechten Filmen. Ich frage mich auch, ob die Beratung so schlecht war, dass sie einen Rückzieher gemacht hat. Man sagte ihr am Telefon, dass man ihr jemanden zur Seite stelle, das passierte aber nicht. Darauf hatte sie so gebaut. Oder hat sie sich schon vorher zur Rückkehr entschieden und dort nur mehr "den Termin eingehalten?" Ich werde es vermutlich nie erfahren.

Fassen wir mal zusammen, als Aussenstehende: Ein Mann zwingt eine junge Frau, kaum 18, mit einer Selbstmorddrohung zur Ehe. Die nächsten Jahrzehnte darf sie ihm nicht entkommen. Mit allen Mitteln hält er sie. Sie wird immer kleiner, schwächer, kränker. Langsam glaubt sie, dass das so gehört. Er hat halt "das Sagen". Er repariert alles, holt sie ab, bringt sie hin, schaut, dass sie ihre Tabletten nimmt, ist immer für sie da. Sie will immer wieder weg. Spürt, dass das so nicht richtig ist. Ihr ganzes Umfeld ist von ihm indoktriniert. Sie hat nicht alle beisammen, wir müssen ihr "diese Ausfälle" verzeihen.

Wie glaubt diese arme Frau, dass es weitergeht? "Er macht Therapie, er weiss, dass er Schuld hat, er bessert sich." Ja eh. Er braucht sie dringender als sie ihn. Was ist ein Täter ohne Opfer? Nicht einmal ein Täter, gar nix.

Ich wage mal, eine Prognose abzugeben: In den nächsten Jahren (beide sind sehr beharrlich, wie es scheint) wird sie auf keinem Treffen bei Familie oder Freunden noch ernst genommen. Dieser Trennungsversuch war ja auch nur "so ein Anfall". Ob die Polizei sie beim nächsten Anruf ernst nimmt? Ich kann es ihr nur wünschen. Sie wird auf Feiern der einsamste Mensch auf Erden werden, mitten unter all den Personen. Sie wird mich auch weniger bis kaum mehr anrufen, weil sie sich schämt. Bräuchte sie nicht, hab ich ihr x-mal gesagt, weil ich den Scheiss ja kenne, wird sie mir nicht glauben. Ihre depressiven Phasen werden wieder zweimal im Monat kommen. Wie die Jahre davor und es wird auch wieder Psychosen geben. Wenn man jeden Tag unter Druck steht, explodiert man. In irgendeine Richtung. Als Vorbelasteter, in diese. Sie wird kaum jemanden haben, dem sie offen alles erzählen kann und wird es täglich mit ihren Tabletten runterschlucken. wir haben an die 20 Todesopfer durch häusliche Gewalt bis jetzt, und das nur heuer. Also 20 in einem halben Jahr. Ca. Ich will nicht, dass sie Nummer 21 wird und kann nichts tun. Er wird sie nicht "wirklich" umbringen, aber meiner Meinung nach kann man auf verschiedene Arten sterben, man muss nicht mal begraben werden.

Ich sehe zu, aus einiger Entfernung, wie eine wunderschöne Blume verwelkt. Wie ein liebenswerter Mensch seelisch verkrüppelt und kann absolut nichts tun. Es zerreisst mir das Herz. Ich weine. Ich weine um ein ungelebtes Leben. Sie ist eine wunderschöne Frau. Noch. Sie kann die Kurve kriegen. Noch. Ich bin da und höre zu. Noch.

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Tourix

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Petra vom Frankenwald

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