Musikalischer Minimalismus: Weniger ist mehr!

Von POMMES LEIBOWITZ | Schlichte Melodien in rudimentären Arrangements, die aber dennoch, womöglich sogar gerade deshalb, ins Ohr, unter die Haut, oder aber zumindest tierisch auf die Nerven gehen - manchmal alle 3 Varianten zugleich.

The Troggs - Wild Thing (1966)

Ein schlichtes 3-Akkord Gitarrenriff und ein "wildes Mädchen", mehr braucht es nicht, um glücklich zu sein. Der Song labert nicht rum, sondern bringt es auf den Punkt.

"Lieder, die die Liebe schreibt, sind keine Sinfonien"

Nana Mouskouri

Ende der 60er nahm eine zukünftige Revolution ihren Anfang, und zwar mit dem vermutlich ersten Synthesizer-Titel, der zum Hit wurde. Schlichte Melodik, noch schlichtere Begleitung, aber ein Klassiker, der inzwischen auch in zahlreichen Filmen als Hintergrund diente, vom Kinderfilm bis zum Porno.

Gershon Kingsley - Popcorn (1969)

Iggy Pop - The Passenger (1977)

Einer der simpelsten Popsongs aller Zeiten, aber auch einer der besten, unzählige Male gecovert. Die klassischen 3 Akkorde kommen zum Einsatz, nur Snobs brauchen mehr. Im Hintergrund, als Zweitstimme, kann man David Bowie hören, Entdecker und Förderer von Iggy.

Der Song ist übrigens eine Ode ans Autofahren. 1977 standen die Grünen ja noch in den Startlöchern. Heute würde Iggy natürlich das Fahrrad besingen.

  • Wer auf halsbrecherische Gitarrensoli, gläsersprengende Stimmen, sich totarbeitende Schlagzeuger, 100-Spuren-Soundmixe, alles erstickenden Streicherschmalz und 32 Takte umfassende Melodiebögen steht, wird hier sagen: Kinderlieder, bäh. Wer aber in der Reduktion auf das Wesentliche die wahre Originalität, oft sogar Genialität erkennt, wird es (zumindest teilweise) mögen.

Weniger ist mehr, weniger Töne, weniger Instrumente, mehr Musik!

Erstaunlich, dass die angeblichen Wegbereiter der Elektromusik, Kraftwerk, erst ca. 10 Jahre nach Popcorn auftauchten. Aber offenbar brauchte das Publikum seine Zeit, um sich an die neuen Klänge zu gewöhnen. Immerhin, im Gegensatz zu den deutschen "Götterdämmer-Elektronikern" (Schulze, Tangerine Dream) waren sie von Anfang an Genies der Reduktion auf das Wesentliche, und das sollte durchaus prägend sein für die weitere Entwicklung der Musik, nicht nur was Techno und Hip-Hop angeht.

Kraftwerk - Das Model (1978)

Jetzt wird es ein wenig rockiger. Eigentlich ein schlicht aufgebauter Popsong, nur Bass, Hammondorgel und Schlagzeug, und natürlich die genialen Stimm-Effekte der beiden Mädels, aber der haut rein. Was für ein Geniestreich. Öffnete den B52's die Tür zur Weltkarriere.

The B52's - Rock Lobster (1979)

Kate Bush - Army Dreamers (1980)

Einer der schlichtestens Songs von Kate Bush, aber gerade dadurch ein unwiderstehlicher Ohrwurm. Bei allem intellektuellen Anspruch hat Kate Bush nie die Kraft der einfachen Form aus den Augen verloren.

Trio - Da da da (1981)

Musik gewordener Dadaismus! Man hasst es entweder, oder findet es genial. Wie eigentlich jeden Dadaismus.

Das Einstiegswerk des genialsten österreichischen Musikers seit Mozart. Im Text nennt er es selber "Kinderlied".

Falco - Der Kommissar (1982)

Falco selber war sehr unzufrieden mit dem Titel, der eigentlich nur als Gag für eine Fernsehproduktion geschrieben worden war, bei der er selber mitspielte. Aber die Plattenfirma hatte den richtigen Riecher. Der Titel kam sogar in die amerikanischen Charts.

Eine Handschrift von Mozart

Guru Josh - Infinity (1989)

Wagner suchte die unendliche Melodie in Auflösung der Form und immer komplexerer melodischer Fortschreitung, Infinity aber findet die Unendlichkeit in 10 Tönen und 5 Takten, die permanent wiederholt werden. Das erscheint primitiv, aber es funktioniert. Unendlichkeit entsteht durch unendliche Wiederholung und nur dadurch ist sie erfassbar. Ob man Drogen braucht, um diesen Titel zu ertragen, soll jeder selber entscheiden ;)

Mazzy Star - Fade Into You (1993)

Musik wie ein Marihuana Rausch, so schlicht und doch so eindringlich. Kaum zu glauben, dass der Titel in den 90ern entstand und nicht in der Flower Power Ära.

The Verve - Bitter Sweet Symphony (1997)

Als hätte er sich aus den 70er Jahren ins neue Jahrtausend verirrt. Spindeldürr, mit unverkennbaren Spuren des Drogenmissbrauchs im Gesicht, aber was für ein genialer Titel. Das schlichte Streicherostinato zieht sich durch den gesamten Song und wurde aufgrund seiner Eingängigkeit inzwischen auch vielfach als Jingle verwendet. Auch die Melodie ist kaum komplexer. Aber selten wurde die urbane Anonymität anhörlicher erfasst.

Der Titel beruht übrigens auf einem Stones Song (The Last Time), von dem das Andrew Loog Oldham Orchestra eine stark vereinfachte Instrumentalversion herausbrachte, die wiederum von The Verve stark vereinfacht wurde. Konzentration auf das Wesentliche.

Manu Chao – Bongo Bong (1998)

So wenig Töne, die da einen unwiderstehlichen Sog in den Song bewirken. Möge er niemals enden. Ich liebe des Sängers Underground-Englisch mit französischen Akzent ;)

Kelis - Trick Me (2003)

Alizée - J'en ai marre ! (2003)

Alizée, das ist die kleine Französin von "Lolita". Der folgende Titel ist in D und A eher unbekannt, in Frankreich aber sogar der größere Hit. Irgendwie volkstümlich. Ich liebe ihre dunkle Stimme!

Lykke Li – I Follow Rivers [The Magician Remix] 2011

In der Originalversion ist dieses Lied sehr aufwändig und kompliziert arrangiert. Erst in diesem erheblich abgespeckten Remix eines D.J.s, der aus kaum mehr als Schlagzeug und Rhythm-Piano besteht, wurde es zum Welthit. Weniger ist mehr.

Lilly Wood & The Prick and Robin Schulz - Prayer In C (2014)

Auch wenn das hier mit Loveparade-Flair daherkommt, eigentlich sind es französische Folk-Musiker. Auch hier brachte der "glättende" Remix eines D.J.s den Erfolg.

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