27.11.2017

KIEW/BERLIN (Eigener Bericht) - Schwere Vorwürfe gegen mehrere teils einflussreiche Politiker aus der Ukraine, darunter unmittelbare Kooperationspartner der deutschen Außenpolitik, ergeben sich aus einer italienischen TV-Dokumentation über das Maidan-Massaker vom 20. Februar 2014. Demnach haben Anführer der Proteste, die heute in Kiew als Parlamentsabgeordnete tätig sind, die Scharfschützen, die damals wahllos Polizisten und Demonstranten erschossen, mit Waffen ausgestattet. Dies berichten drei Georgier, die angeben, selbst beteiligt gewesen zu sein. Offiziell wird das Massaker bis heute den ukrainischen Repressionsapparaten oder nicht näher bezeichneten Russen zugeschrieben. Die Georgier berichten auch, den heutigen Kiewer Parlamentssprecher Andrij Parubij oft in einem Hotel beobachtet zu haben, aus dem an jenem Tag Scharfschützen feuerten. Parubij war damals als "Kommandant des Maidan" für die Kontrolle bewaffneter Banden auf dem Platz zuständig. Der Mann, dessen tatsächliche damalige Rolle ungeklärt ist, war Gast auf einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung und spricht auf NATO-Veranstaltungen.

Die Eskalationsstrategie

Die TV-Dokumentation über das Maidan-Massaker vom 20. Februar 2014, die der italienische Sender Canale 5 unlängst ausgestrahlt hat [1], stellt Berichte dreier Georgier über den Verlauf der Maidan-Proteste und über die Gewalteskalation im Februar in den Mittelpunkt. Demnach wurden die Georgier, die über keine persönlichen Beziehungen zu den Demonstranten in Kiew, aber über eine militärische Ausbildung verfügten, Mitte Januar 2014 in der georgischen Hauptstadt Tbilisi angeworben und in die Ukraine geflogen. Einer von ihnen gibt an, gezielt aufgrund seiner Fähigkeiten als Scharfschütze ausgewählt worden zu sein. Wie aus ihren Berichten hervorgeht, bestand ihre zentrale Aufgabe zunächst darin, die ukrainischen Repressionskräfte zu provozieren, um sie zu einem brutalen Vorgehen gegen die Demonstranten zu veranlassen. Damit unterstützten sie die Eskalationsstrategie, auf die sich die Anführer der Proteste - unter ihnen Witali Klitschko, Schützling der deutschen Außenpolitik [2], heute Bürgermeister von Kiew - kurz zuvor geeinigt hatten. "Ich denke, wir haben den Weg für eine radikalere Eskalation der Lage geebnet", hieß es etwa in einer E-Mail mit Datum vom 9. Januar 2014, die wenig später online kursierte und Klitschko zugeschrieben wird. "Ist es nicht Zeit", fragte der E-Mail-Autor, "mit entschlosseneren Aktionen weiterzumachen?"[3]

Mit Waffen ausgestattet

Die drei Georgier beschreiben in der Dokumentation, wie sie am Morgen des 20. Februar 2014 in Stellung gebracht wurden - einer im Konservatorium, zwei im Hotel Ukraina; beide liegen am Maidan. Aus dem Konservatorium wurden an jenem Tag die ersten Schüsse abgegeben, denen Polizisten zum Opfer fielen. Scharfschützen im Hotel Ukraina brachten später Demonstranten mit gezielten Todesschüssen um. Die Schilderung der Georgier bestätigt nun, was seit Jahren durch Selbstbezichtigungen zweier weiterer Scharfschützen bekannt ist, die eingeräumt haben, ebenfalls an dem Massaker beteiligt gewesen zu sein (german-foreign-policy.com berichtete [4]): Die Scharfschützenmorde wurden im Auftrag der damaligen Regierungsgegner begangen; Ziel war es, Chaos zu säen und so den Sturz von Präsident Janukowitsch zu initiieren. Laut den drei Georgiern hatte dabei der damalige oppositionelle Parlamentsabgeordnete Serhij Paschinski eine zentrale Funktion inne: Er stattete die Scharfschützen im Konservatorium und im Hotel Ukraina mit den nötigen Schusswaffen aus. Diese Aussage lässt sich durch ein Videodokument erhärten, das zeigt, wie Paschinski in der Phase der Gewalteskalation den Transport eines Scharfschützengewehrs inmitten der Proteste deckt. Paschinski übernahm nach dem Umsturz Ende Februar 2014 zunächst die Leitung der Kiewer Präsidialadministration und steht heute als Abgeordneter der Regierungspartei Volksfront dem Parlamentsausschuss für Nationale Sicherheit und Verteidigung vor.

Auf der Maidan-Bühne

An der Überbringung der Waffen ist laut den drei Georgiern auch Wolodymyr Parasjuk beteiligt gewesen. Parasjuk hatte auf dem Maidan eine der faschistischen Kampfgruppen geführt; nach dem Umsturz beteiligte er sich zunächst in einer der ultrarechten irregulären Milizen (Bataillon Dnipro) am Bürgerkrieg im Osten der Ukraine, bevor er sich im Oktober 2014 ins Parlament wählen ließ. Parasjuk ist dadurch bekannt geworden, dass er am Abend des 21. Februar 2014 - einen Tag nach dem Massaker - auf der Maidan-Bühne dazu aufrief, Präsident Wiktor Janukowitsch, wenn er nicht umgehend zurücktrete, mit Waffengewalt zu stürzen. Videos zeigen Witali Klitschko unmittelbar neben ihm auf der Bühne stehend; mit Klitschko war Berlin damals regelmäßig in Kontakt. Janukowitsch, über das Massaker wohl genauestens im Bilde und daher Parasjuks Drohung ernst nehmend, floh unmittelbar danach aus Kiew.

Nationalheld der Ukraine

Wohl am schwersten belasten die Aussagen einen vierten Georgier namens Mamuka Mamulaschwili. Der Mann hat demnach die drei Georgier in Tbilisi angeworben und sie dann - gemeinsam mit einem US-Militär, dessen mutmaßlicher Tarnname mit Brian Christopher Boyenger angegeben wird - vor Ort in Kiew geführt. Mamulaschwili war Militärberater des langjährigen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili, dessen Umfeld auch die drei für den Kiewer Einsatz angeworbenen Männer entstammen. Er kämpfte nach dem Umsturz im ostukrainischen Bürgerkrieg in der "Georgischen Legion" und hat dafür den offiziellen Ehrentitel "Nationalheld der Ukraine" erhalten. Saakaschwili wiederum, der nach dem Ende seiner Regierungszeit Ende 2013 in die Vereinigten Staaten ging, weil er sich in Georgien vor Gericht verantworten muss, hat die Maidan-Proteste stets unterstützt und im Jahr 2015 eine neue politische Karriere in der prowestlich gewendeten Ukraine begonnen - zunächst als Präsidentenberater, dann als Gouverneur von Odessa und seit seinem Zerwürfnis mit Präsident Poroschenko als Oppositionspolitiker, der die Regierung stürzen will. Saakaschwili ist Ende 2003 in Georgien ebenfalls mit einem Umsturz an die Macht gelangt, der wiederum auf dem Maidan als Vorbild galt.

Der Kommandant des Maidan

Zumindest indirekt treffen die Vorwürfe der Georgier auch den damaligen "Kommandanten des Maidan", Andrij Parubij. Parubij entstammt der ukrainischen Faschistenszene; Anfang der 1990er Jahre gehörte er zu den Gründern der extrem rechten Sozial-Nationalen Partei der Ukraine. Von 1996 an führte er deren militanten Straßenkampf-Ableger "Patriot der Ukraine". Nach seinem Rückzug aus der Partei betätigte sich der protesterfahrene Aktivist Ende 2004 als einer der Hauptorganisatoren der "Orangenen Revolution"; im Jahr 2013 wurde er in gleicher Funktion auf dem Maidan aktiv. Dort ist er nicht zuletzt für die Security und die "Selbstverteidigungseinheiten" zuständig gewesen, bei denen es sich oft um schwer bewaffnete Schlägerbanden handelte. In der italienischen TV-Dokumentation wird berichtet, Parubij sei im Hotel Ukraina, aus dem zahlreiche Todesschüsse abgefeuert wurden, ein und aus gegangen. Parubij selbst hat behauptet, die Schüsse aus dem Hotel, das damals fest in der Hand der Maidan-Demonstranten war, seien von Tätern abgegeben worden, die "aus Russland" gekommen seien.[5] Die Rolle des Mannes, der laut dem damaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden in den Umsturztagen so gut wie stündlich mit dem US-Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, telefonierte, ist nie wirklich aufgeklärt worden. Nach dem Umsturz wurde er zunächst zum Leiter des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates ernannt; seit dem 14. April 2016 amtiert er als ukrainischer Parlamentspräsident.

Kooperationspartner Berlins

Dank dieses Postens kann Parubij inzwischen als Kooperationspartner der deutschen Außenpolitik gelten. Er leitete etwa eine Delegation ukrainischer Parlamentarier, die vom 22. bis zum 25. Mai 2016 im Bildungszentrum der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) im italienischen Cadenabbia mit CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten, einer Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und dem stellvertretenden Referatsleiter für Russland und die Ukraine im Berliner Kanzleramt, Matthias Lüttenberg, konferierte. Bei dem Treffen wurde vereinbart, Parubij solle im Sommer 2016 den Bundestag besuchen.[6] Als der damalige Bundespräsident Joachim Gauck am 29. September 2016 am ukrainischen Staatsakt zur Erinnerung an das Massaker an fast 34.000 Jüdinnen und Juden in Babi Jar teilnahm, gedachte er der Opfer deutscher Täter und ukrainischer Kollaborateure an Parubijs Seite. Ende Mai 2017 referierte Parubij auf der Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO in Tbilisi, an der auch deutsche Abgeordnete teilnahmen. Als NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 10. Juli 2017 vor dem Parlament der Ukraine sprach, diskutierte er mit dem ehemaligen Maidan-Waffenlieferanten Serhij Paschinski - und traf anschließend mit dem ehemaligen Maidan-Kommandanten Parubij zum Austausch unter vier Augen zusammen. Was sie miteinander besprochen haben, ist nicht bekannt.

Quelle: German-Foreign-Policy.com

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