Innerhalb kürzester Zeit werden in Wien zwei katholische Geistliche tot aufgefunden, die furchtbare Qualen überstanden haben müssen. Schließlich dehnt sich das Geschehen auf München aus, wo eine geistliche Schwester ermordet wurde. Offensichtlich scheint ein Serienmörder hierfür verantwortlich zu sein.

Die Kriminalbeamtin Jutta Stern bekommt Verstärkung durch den FBI-geschulten Thomas Neumann. Was zunächst wie ein klassischer Krimi daherkommt, entwickelt sich rasch zu einem beklemmenden Thriller, der als schwere Kost bezeichnet werden kann. Das Motiv für die Morde ist einige Zeit unklar. Dem Leser wird durch Aufzeichnungen aus dem Tagebuch eines in einem katholischen Kinderheim untergebrachten Mädchens, die mit der Aufklärungsarbeit der Kriminalisten changieren, jedoch bald bewusst, wie die Dinge miteinander zusammen hängen könnten. Diese Einträge führen bis an die Grenzen des Erträglichen. Das Mädchen musste Dinge erdulden, die im Grunde unaussprechlich sind.

Jennifer B. Wind schrieb diesen Roman, weil sie das Thema Missbrauch von Schutzbefohlenen in katholischen Kinderheimen und ähnlichen Einrichtungen nicht los ließ. Die Dunkelziffer der Opfer geht in die Zehntausende. Waren es zunächst die U.S.A. und Irland, wo die Untaten zu Tage kamen, dehnte sich diese Erkenntnis schließlich bis nach Deutschland und Österreich aus. Die sogenannte Klasnic-Kommission, die 2010 ins Leben gerufen wurde, ist hierzulande ein Begriff. Es gibt allerdings Skepsis insbesondere in Zusammenhang zur erklärten Unabhängigkeit. Ob den Opfern tatsächlich jene Hilfe und Unterstützung zuteil wird, die zugesichert wurde, bleibt offen.

Die Autorin legt viel Wert darauf, die grausamen Verbrechen an den Kinderseelen auch in ihrer drastischen Ausprägung nicht auszusparen. Vergewaltigung, schwere Prügel, Kerker und Psycho-Terror sorgten dafür, dass jedes der Opfer ein Leben lang an den Folgen zu leiden hat. Viele müssen in psychiatrischen Kliniken versorgt werden, Neurosen extremer Dimension und ständige Angstzustände sind täglicher Begleiter. Auch Suizide kommen immer wieder vor. Jennifer B. Wind hat im Zuge ihrer Recherchen einige Betroffene getroffen und deren Lebensgeschichten gehört.

Als Gott schliefzeichnet sich durch den realistischen Blick aus, der auf das unfassbare Szenario geworfen wird. Um zwischendurch für Entlastung zu sorgen, kommen humorvolle Momente nicht zu kurz. Anders wäre diese Geschichte kaum auszuhalten.

Die Figuren der Ermittler sind gut getroffen. Jutta Stern ist gerade in einer schwierigen Lebensphase, weil das Schicksal voll zugeschlagen hat. Trotzdem stürzt sie sich in diesen Fall mit aller Energie, die ihr zur Verfügung steht. Thomas Neumann, dessen Belesenheit und Intelligenz fast schon unheimliche Ausmaße haben, ist ein kongenialer Partner, der Jutta emotional zu unterstützen sucht. Bis sie dorthin gelangen, wo die Puzzlesteine des kriminalistischen Rätsels ineinander zu passen scheinen, vergeht einige Zeit. Als die Geheimnisse aufgedeckt sind, stellt sich für mich als Leser keineswegs Beruhigung ein. Zu wissen, welche unfassbaren Verbrechen von katholischen Geistlichen begangen worden sind, vermag immer wieder mulmige Gefühle hervor zu beschwören. Doch das muss der Leser aushalten. Die Opfer aber bleiben ihr Leben lang traumatisiert und es mag nur in wenigen Fällen gelingen, das Erlittene aufzuarbeiten und ein neues Leben zu beginnen.

Jennifer B. Wind ist ein großes Kompliment dafür auszusprechen, dass sie sich dieses schwerwiegenden Themas angenommen hat. Es war mit Sicherheit nicht leicht, in diesem Kontext zu recherchieren und einen Roman zu verfassen. Doch es ist von enormer Bedeutung, sich vor Augen zu führen, welch schreckliche Dinge sich in unserer unmittelbaren Nähe ereignen können. Als die Untaten katholischer Geistlicher immer mehr ans Licht kamen, hatte dies zunächst eine Austrittswelle aus der katholischen Kirche zur Folge. Diese Entscheidung vieler Menschen ist voll und ganz zu respektieren. Doch es soll nicht vergessen werden, dass physischer und psychischer Missbrauch an Kindern – leider – keine Grenzen kennt. Sie fanden und finden ebenso in anderem Kontext statt, ob in Sportvereinen oder anderen Organisationen. Nicht zu vergessen die zahlreichen Opfer, die von Verwandten, oft Vätern, Onkeln und Geschwistern missbraucht werden. Dass die katholische Kirche lange dazu geschwiegen hat, was für eine schwere Schuld sie auf sich lud, ist nicht schönzureden. Nur das Eingeständnis von Verfehlungen kann eine Voraussetzung sein, voran zu schreiten und eine Weiterentwicklung zu ermöglichen. Dies mag noch lange dauern. Aber es gibt auch Geistliche und Seelsorger, die ihren Glauben im Sinne Jesu leben, und weiterzugeben suchen. Das macht Hoffnung.

Den Opfern von Gewalt schwersten Ausmaßes in kirchlichem Kontext ist zu wünschen, dass sie Menschen an ihrer Seite haben, die ihnen glückliche Stunden bescheren und ein Stück weit Vertrauen zurück geben, das sie einst verloren haben.

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