Ein Lied geht um die Welt. In über 300 Sprachen übersetzt gilt das Weihnachtslied „Stille Nacht“ als eines der meistinterpretierten Lieder überhaupt. Der Erfolg war und ist bahnbrechend. Das Lied zählt zum Unesco-Kulturerbe. Die Schöpfer des zu Weihnachten 1818 erstmals einem illustren Kreis dargebrachten musikalischen Meisterwerkes sind Josef Mohr, der für den Text verantwortlich zeichnet, und der die Melodie komponierende Franz Xaver Gruber.

Über dieses Lied ist schon sehr viel geschrieben worden. Umso bemerkenswerter, dass Titus Müller den Versuch gemacht hat, eine neue Sichtweise aufzutun. Im Mittelpunkt steht Josef Mohr, dessen Leben von vielen Entbehrungen, Kraftakten und doch auch einigen Glücksfällen durchzogen war. Er litt ein Leben lang darunter, das Kind einer ledigen Mutter zu sein, seinen Vater hat er nie kennen gelernt. Um überhaupt ins Priesterseminar eintreten und also Theologie studieren zu können, musste er beim Erzbischof um „Dispensation wegen Ermangelung der ehelichen Geburt“ ersuchen, die ihm schließlich gewährt wurde. Im Jahre 1815 wurde er 23-jährig zum Priester geweiht.

Die Schicksale von Josef Mohr und einer vom Autor fiktionalisierten Familie werden miteinander kunstvoll verwoben. Doch die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten, die Figuren des Großvaters, der Mutter, des Förderers Hiernle und natürlich Franz Xaver Gruber sind historisch verbrieft. Besonders berührend ist die Schilderung der Begegnung von Josef mit seinem 86-jährigen Großvater. Der Priester und musikalisch Hochbegabte lernte ihn erst kurz vor dessen Tod kennen. Möglicherweise hat er seine Liebe zur Musik von seinem ihm unbekannten Vater geerbt. Die harte Arbeit der Schiffer, die Auseinandersetzung mit Krieg, Plünderungen, Liebe und Tod sind Hauptmerkmale der Erzählung.

Aber alles läuft auf die Entstehung von „Stille Nacht“ hin. Warum dieses Lied ausgerechnet Weihnachten 1818 zur Uraufführung gelangte, hat Titus Müller in einen der dichterischen Freiheit geschuldeten Kontext gebracht. Tatsache ist, dass in dieser Zeit Priester, die nicht genau nach vorgegebenen Strukturen agierten, schnell ihren Arbeitsplatz verlieren konnten. Die Priesterweihe freilich blieb unangetastet. Josef Mohr ist, indem er gemeinsam mit dem Organisten und Lehrer Franz Xaver Gruber seiner Gemeinde „Stille Nacht“ vorstellte, das hohe Risiko eingegangen, dafür von vorgesetzten Stellen bestraft zu werden. Doch er ist zum Glück seinem Herzen gefolgt. Die Geschichte von „Stille Nacht“ ist also auch eine Geschichte davon, wie wichtig es ist, den eigenen Weg zu gehen, ganz egal, was immer das für Konsequenzen haben mag. Auch daran sollten wir denken, wenn wir dieses einmalige Weihnachtslied anstimmen und Freude in uns aufsteigt.

Der in der Erzählung von Titus Müller nur als Nebenfigur agierende Franz Xaver Gruber hat 28 Jahre in Hallein als Organist und Chorregent gewirkt. Seine Grabstätte befindet sich in unmittelbarer Nähe der Pfarrkirche. Seit 1993 gibt es in Hallein das Stille Nacht – Museum, das sich mit dem Leben und Wirken von Franz Xaver Gruber beschäftigt. Ein Besuch dieses kleinen, feinen Museums ist sehr zu empfehlen. Es ist auch die Gitarre von Josef Mohr ausgestellt, die er 1818 zur Uraufführung spielte. Herzstücke sind Autographen von „Stille Nacht“.

Die Lektüre der Erzählung von Titus Müller eignet sich freilich in der Weihnachtszeit besonders gut. Als Leser können wir uns in eine Zeit hineinversetzen, die für die Menschen sehr hart war. Weihnachten 1818 muss etwas passiert sein, das ein helles, warmes Licht in den Herzen der Menschen entfacht hat. Möge dieses Licht uns auch fast 200 Jahre später nicht verborgen bleiben.

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