Ich hab jetzt einen Job. Ich hab mir eure ständigen Vorwürfe zu Herzen genommen und will ab sofort nicht mehr von der Stütze leben. Die Jobsuche war ganz einfach. Einfach zum Arbeitsamt und schupps hatten sie mich eingestellt. Ja Leute, ich arbeite jetzt beim Arbeitsamt und es kann sein, dass ich in Zukunft eure Fälle bearbeiten werde, euch das Geld kürzen werde, wenn ihr nicht mit niedergeschlagenen Augen demütigt in mein Büro rutscht.
Ich bin jetzt ganz frisch im Amt, gerade ein paar Tage, direkt aus der freien Wildbahn in die Welt der Formulare, Akten und Diagnosen und habe dort eine neu geschaffene Stelle bekommen. Meine psychologische Expertise aus vielen Jahren in den sozialen Medien ist da sehr hilfreich. Denn laut schwarzroter Bürgergeldreform sollen Jobcenter-Mitarbeitende künftig auch den psychischen Zustand der Bedürftigen beurteilen. Wunderbar – offenbar braucht’s kein Psychologiestudium mehr, nur ein bisschen Menschenkenntnis und ein Formular mit Kästchen zum Ankreuzen.
Ich nehm das sportlich. Schließlich hab ich jahrelang auf Fuf trainiert, jener Online-Selbsthilfegruppe ohne Therapeuten, wo jede zweite Diskussion zwischen Größenwahn, Paranoia und manischem Sendungsbewusstsein pendelt. Wenn das keine ideale Vorbereitung ist, weiß ich auch nicht. Meine ersten “Übungspatienten” durfte ich dort kennenlernen – Diagnose: kollektiv verwirrte Persönlichkeitsstruktur bei akuter Kommentarfrequenz.
Cool übrigens, dass man jetzt Diagnosen stellen darf. Vielleicht könnte man den nächsten Schritt gehen und gleich Therapieplätze anbieten. Aber klar, das wäre ja zu menschlich. Stattdessen werf ich künftig mit Fachbegriffen um mich, bis jemand klagt – hoffentlich alle. Prozesskostenhilfe sei Dank zahlt der Staat am Ende für den Unsinn, den er selbst beschlossen hat und eure Krankenkasse sorgt für meinen Nebenverdienst.
Aber Überstunden? Nein danke. Ich geh sehr pünktlich nach Hause – schließlich muss man sich auch um die eigene psychische Gesundheit kümmern.