Wie ein Paukenschlag dröhnte die Nachricht am Montagabend durch die Presse: Deniz Yücel, Auslandskorrespondent der „Welt“ und bereits seit knapp zwei Wochen in Polizeigewahrsam, wird nun auf unbestimmte Zeit in der Türkei in Untersuchungshaft verbleiben. Bis zu fünf Jahre kann es dauern, bis es zu einem ordentlichen Prozess kommt. Bis zu fünf Jahre Haft ohne klare Verurteilung, dafür aber mit dem üblichen Vorwurf, der dieser Tage allen Oppositionellen wie auch kritischen Journalisten droht: „Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung“. Bis zuletzt hatten Familie, Freunde und Kollegen auf eine Freilassung gehofft, zumal die Vorwürfe aus der Luft gegriffen waren und Yücel sich, angesichts der Tatsache, dass nach ihm gefahndet worden war, selbst gestellt hatte. Wie Yücel erging es in der Vergangenheit bereits vielen anderen Journalisten. Vor allem die Festnahme von Can Dündar, Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“, erregte auch hierzulande die Gemüter.

Bereits im Dezember letzten Jahres wurden sechs Journalisten in Gewahrsam genommen, die ebenfalls über die „RedHack-Leaks“ berichtet hatten. Deren Inhalt: u.a. den Aufstieg von Berat Albayrak, den Schwiegersohn Erdogans, vom einfachen Betriebswirt zum CEO eines 8 Milliarden Dollar Konglomerats, Çalık Holding, und schließlich ins Kabinett Erdogans. Unzählige Email Albayraks wurden öffentlich (nicht zuletzt, weil er Regierungsgeschäfte auch über private Email-Accounts regelte). Aus ihnen ging hervor, dass sein Erfolg die Summe aus engen Verbindungen zur Regierung, zu den türkischen Eliten und nicht zuletzt den Medien war. So kaufte die Çalık Holding den bekannten Fernsehsender ATV und die Tageszeitschrift Sabah für $1.1 Milliarde U.S. Dollar. Auch zeigten diese Emails auf, dass der Einfluss Erdogans auf die Medien die seines Schwiegersohns noch übertrumpfte. Regelmäßig sollen Nachrichten eingegeganen sein mit dem Hinweis, diese „sollten veröffentlicht werden.“ Neben den Emails Albayraks veröffentlichte die Hacker-Gruppe „RedHack“ auch Daten über die geheimen Angriffe der türkischen, regierungsfreundlichen Twitter - Armee auf Oppositionelle mit dem Ziel, diese mundtot zu machen. Zudem stellte sie die Regierung bloß, machte öffentlich, wie angreifbar die türkische Cyber-Sicherheit ist. (Detailliertere Informationen finden sich hier. Es war übrigens erstaunlich schwer, überhaupt deutsche Informationen darüber zu finden, so dass eine englische Quelle herhalten muss. Sollten sich ausreichend Interessenten finden, setze ich mich gerne an eine Übersetzung des kompletten Textes.)

Seit den ersten Veröffentlichungen tut Erdogan alles, um diese Informationen aus dem Verkehr zu ziehen. Und mit ihnen diejenigen, die getreu journalistischen Prinzipien darüber berichteten. Es ist das Wesen des Autoritarismus, keinen Meinungspluralismus mehr zulassen zu wollen, um die eigene Macht zu zementieren. Gerade in solchen Zeiten braucht es engagierte Journalisten, die den Mut nicht verlieren, am Thron der Despoten zu rütteln.

Die Reaktion der hiesigen Politiker war zwar kritisch doch weitestgehend zurückhaltend.

Deniz Yücel, dem als Bürger mit zwei Staatsbürgerschaften, der deutschen wie auch der türkischen, von vorneherein kein konsularischer Beistand zustand, kann angesichts des Flüchtlingspaktes mit der Türkei und der Hoffnung Merkels, sich nicht selber die Hände schmutzig machen zu müssen an einer Regelung, die zwar europäische Autonomie gewährleisten würde, die aber die Drecksarbeiten dann auch auf dem eigenen Hoheitsgebiet beließen, wohl kaum auf ein beherztes Eingreifen der Kanzlerin hoffen.

Dafür aber (zum Glück) auf kommende Diskussionskreise der Linken, die heute ankündigten, den Fall „diskutieren zu wollen“. Man hört innerlich bereits alle Beteiligten erleichtert aufatmen.

Frau Merkels Hinweis im Vorfeld jedenfalls, Yücel möge „rechtsstaatlich behandelt“ werden, entbehrte ganz offensichtlich jedes (gewollte) Wissen um die derzeitigen Zustände in der Türkei. Und auch ihr Nachtrag liest sich lau: „Bitter und enttäuschend“ sei die weitere Inhaftierung. Man „hoffe, dass Yücel bald seine Freiheit wiedererlange“. Wer hofft, muss nicht mehr handeln. Wer „rückführt“ muss nicht abschieben. Wer drei Milliarden und mehr in die Türkei schiebt, der muss die Gelder nicht in Europa für eine bessere Koordinierung der Flüchtlingskrise nutzen. Alles wie gehabt.

Wie gehabt fallen auch die Reaktionen einiger Leute auf die unrechtmäßig lange Inhaftierung aus. Wie mein lieber Freund Bernhard Torsch, Journalist und Blogger, in seinem neuesten Beitrag festhielt, gab es nicht wenige, die ihrem braunen Gedankengut freien Lauf ließen. „...Der arme, Deutschland verhetzende, Kümmeltürke. Hoffentlich verrotet er.“ Nur einer von vielen unsäglichen Posts dummer Menschen.

Und bezeichnend, dass ein kritischer Geist, der eben überall kritisch ist, hierzulande als „Deutschlandfeindlich“ bezeichnet wird, in der Türkeit dann wieder als „Türkeifeindlich“. Kritik, egal wie sachlich, kommt bei braunen Ohren, seien sie nun türkisch oder deutsch, ganz offensichtlich immer nur in leeren Kammern an und erzeugt Zorn ob des eigenen Unverständnisses.

Für mich persönlich war Deniz Yücel in den letzten Monaten und Jahren eine Bereicherung. Während er noch für die TAZ arbeitete, las ich hin und wieder einen seiner Beiträge. Er konnte polemisch, er konnte sachlich. Aber ich genoss die Tatsache, dass er ein Querkopf war und zumindest eigene Gedanken äußerte. Regelmäßig gelesen habe ich ihn erst mit seinem Weggang zur „Welt“. Er war eine Bereicherung für dieses Blatt, schaffte es, mich für die Türkei zu interessieren und zu begeistern. Als ich begann, seine Berichte zu lesen, war ich noch weitestgehend ahnungslos. Mal mit Erfahrungsberichten der Menschen vor Ort, mal mit allgemeinen Informationen, legte er bei mir einen Grundstein für Verständnis, dass hier wie dort viele Menschen für dieselben Ideen und Werte einstehen. Den Kampf für Demokratie und Meinungsfreiheit, den Kampf für Minderheitenrechte. Uns eint mehr als uns trennt, lernte ich so. Und: Ich sah den langsamen Zerfall der Bürgerrechte in der Türkei, den Demokratieabbau, der zu viele jubeln ließ, andere aber dazu brachte weiterzukämpfen, nicht aufzugeben. Ich hörte auch in den Beiträgen Yücels immer wieder die Leidenschaft und gelegentlich auch Verzweiflung über diese Entwicklung. Als es dann zum Putsch kam, waren mein Interesse und meine Anteilnahme mittlerweile so groß, dass es mich Stunden vorm Fernseher hielt und ich innerlich ebenfalls zwischen Schock und Hoffnung wankte.

Und das ist wohl das beste, was man über einen Journalisten sagen kann:

Dass er Interesse geweckt und informiert hat, Wissenslücken gefüllt und bereichert hat.

Seine Stimme fehlt und ich hoffe, dass sie nicht lange fehlen wird.

Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich all denen, die sich solidarisch zeigen. All den Journalisten, die das Thema aufgegriffen haben und aufgreifen. All denen, die der Pressefreiheit hier und anderswo noch ihren verdienten Wert beimessen.

blu-news.org https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Deniz_Yücel.jpg

11
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

bianka.thon

bianka.thon bewertete diesen Eintrag 01.03.2017 14:39:23

Lotte Lehmann

Lotte Lehmann bewertete diesen Eintrag 01.03.2017 12:26:28

polyopini

polyopini bewertete diesen Eintrag 01.03.2017 11:56:45

Grummelbart

Grummelbart bewertete diesen Eintrag 01.03.2017 08:31:42

Jake Ehrhardt

Jake Ehrhardt bewertete diesen Eintrag 01.03.2017 07:14:06

Gescho

Gescho bewertete diesen Eintrag 28.02.2017 23:10:04

pirandello

pirandello bewertete diesen Eintrag 28.02.2017 22:47:22

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 28.02.2017 21:42:46

baur peter

baur peter bewertete diesen Eintrag 28.02.2017 19:42:23

Matt Elger

Matt Elger bewertete diesen Eintrag 28.02.2017 18:14:43

anti3anti

anti3anti bewertete diesen Eintrag 28.02.2017 16:37:19

164 Kommentare

Mehr von Susannah Winter