susi blue

Man kommt ins Sinnieren, wenn man vor dem eigenen Apfelbaum steht und die lachenden Früchte betrachtet. Schämen sie sich denn nicht, besonders die roten von ihnen, weil sie so unverfroren gewachsen sind, während die Welt jenseits des Gartens in Schmerzen und Wehen darniederliegt?

Ich habe den Baum vor drei Jahren gekauft, als er ein halbverdursteter, mickriger Stock mit ein paar kleinen Zweigen war, kaum höher als einen Meter, mehr tot als lebendig, nicht der Rede wert; andere gingen achtlos an ihm vorüber. Man hat ihn mir um wenig Geld 'nachgeschmissen', war froh, ihn loszuwerden, drei oder vier Euro hat er gekostet, weit weniger als ein anderer, junger Apfelbaum, der noch üppiges Leben und Früchte versprach.

Ich habe ihn gekauft, um ihn zu retten. Ich kaufe öfters Pflanzen, um sie zu retten. :) Ja, das ist eine furchtbare Marotte von mir - furchtbar für meine Mitbewohner, die über die Töpfe mit zerrupften und vergammelten Pflanzen stolpern. Ich musste mir auch schon sagen lassen, ein Pflanzen-Messie zu sein. ;) (Irgendein Messie ist jeder, oder?)

Nun, der einst so verächtlich Behandelte hat sich prächtig gemausert. Ich habe ihn nie geschnitten und ich habe ihm auch bis zum heutigen Tag nie eine Frucht gestohlen. Ich vertrete leider die spleenige Auffassung, dass die Äpfel dem Apfelbaum gehören und der Apfelbaum in der Landschaft steht, um Vögel und Insekten zu ernähren, nicht mich. Aus diesem Grund habe ich nie nach den Früchten gegriffen. ;)

In diesem Jahr ist aber alles anders und ich dachte mir: Warum nicht einmal probieren? Nur einen einzigen Apfel? Was kann schon passieren? Giftig würde er ja nicht sein?

Zuerst habe ich den jungen Schönling fotografiert und dann habe ich einen Apfel ausgewählt, was eine halbe Stunde dauerte. ;)

Ich gebe zu, ich stand vor dem Baum, als stünde ich vor einem Weltwunder, obwohl ich doch mehrmals täglich an ihm vorüberrenne und mir die tiefhängenden Früchte regelmäßig an den Kopf knallen. Mit Brille kann das gefährlich werden, denn manchmal schlägt ein Apfel auch auf das Auge, speziell nachts, wenn ich die Igeln füttern gehe und der Scheinwerfer nur den Boden ausleuchtet. Dann kann es schon mal passieren, dass mir ein Apfel aufs Auge knallt.

Ich sah ihn heute in einem ganz anderen Licht. Quantensprung des Bewusstseins? Der Baum war plötzlich ein Held für mich. Endlich habe ich kapiert, was er mir sagen wollte, wenn mich seine Früchte schlugen! Er sagte dann immer: Schau her, wie ich gewachsen bin! Bist du nicht stolz auf mich? Ich war doch so ein Schwächling in deinen Augen? Retten musstest du mich, weil du sonst ein schlechtes Gewissen gehabt hättest! Und jetzt verachtest du mich so sehr, dass du blind an mir vorüber läufst? Nicht eine einzige Frucht von mir hast du bisher gekostet, auch im Vorjahr nicht, dabei bin ich doch auch für dich gewachsen! Ich bin für alle gewachsen, die in diesem Garten leben.

Das hat der Apfelbaum heute zu mir gesagt.

Bäume können nicht reden? Und ob sie sprechen können! Die ganze Natur kann sprechen, wir können es nur nicht hören.

Von einem Bekannten, der auch die Bäume reden hört, weiß ich, dass Bäume verschiedene Stimmen haben. Kleinere Bäume haben hellere Stimmen, große Bäume haben tiefere Stimmen. Es gibt freundliche und wütende Bäume, Bäume, die sich mit ihren Ästen gegenseitig liebkosen und Bäume, die sich unterirdisch treten. Ein Baum will dann den anderen loswerden.

Und so aß ich heute ein Stück Apfel aus dem eigenen Paradies. Ich teilte mir den Apfel mit den Mitbewohnern und wir waren alle derselben Meinung: Ja, dies sind Äpfel aus dem Paradies!

Ich habe schon lange nicht einen solch saftigen, natürlichen, lebendigen Apfel gegessen. Habe ich das überhaupt schon? Im früheren Garten hatten wir auch einen Apfelbaum, eigentlich zwei Bäume, doch der eine war schon recht altersschwach und hat kaum noch Früchte produziert.

Der andere Baum hatte viele Früchte, wir aßen sie natürlich auch, doch nie erschien mir ein Apfel so heilig, gut und saftig wie dieser heute.

Die Sorte heißt Jonathan. (Nein, das ist keine Werbung für die Marke. ;)) An und für sich sind Jonathan saftige Äpfel, aber so gut schmecken jene aus dem Handel nicht. Der Apfel im Garten kann bei voller Sonne ausreifen und Pestizide sind ihm fremd. Ich kann nur jedem Menschen empfehlen, so viel Obst und Gemüse wie nur möglich aus dem eigenen Garten oder dem Garten von Freunden zu essen - es ist ein haushoher Unterschied im Geschmack!

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