Stromausfall Ich atme tief ein und betrete das Restaurant. Hier geht es immer ziemlich hektisch zu. Kellner, voll beladen mit heißen Speisen rennen durch das Lokal. Verirrte Gäste suchen nach Toiletten (obwohl es überall angeschrieben steht). Lehrlinge versuchen zu helfen, erschweren die Arbeit jedoch manchmal genau dadurch. Es liegt viel Zigarettenrauch in der Luft, welcher die Konzentration beeinträchtigt und wegen lauten Unterhaltungen hört man seine eigenen Gedanken kaum. "Oh, du bist da. Zum Glück. Die Koreaner sitzen auf Tisch 37. Der Chef musste kurz weg. Beeil dich." Der Oberkellner deutet auf den Tisch und drückt mir die Reservierungsliste entgegen. Sie ist voll beschrieben (und kaum lesbar). Toll. Ich begebe mich durch die Küche in Richtung Garderobe. "Ohhhh da muss wohl jemand einspringen. Ich hoffe es leidet kein gebrochenes Männerherz darunter. Hahahah.", das Küchenpersonal bekommt nicht genug frischen Sauerstoff, da wegen den Nachbarn in diesem Bereich die Fenster nicht geöffnet werden dürfen, somit versuchen sie mit Witzen und Anspielungen bei Verstand zu bleiben (und sich so vor einer möglichen Ohnmacht zu retten). "Sehr lustig Leute!" Ich ignoriere und gehe weiter.

Die Garderobe (wenn man es überhaupt so nennen darf) besteht aus einem Raum welcher sich (neben einer alten Waschmaschine, vergessenen oder nicht mehr gebrauchten Kleidungsstücken und einer riesigen besitzerlosen und schon ewig herum liegenden Tasche) aus drei Spinden und einem kleinen Tisch mit Sessel zusammensetzt. Ich öffne meinen Spind (welchen ich mir mit vier anderen weiblichen Mitarbeiterinnen teile), ziehe mich um und verbleibe nicht länger als nötig. Wieder vorne an der Schank angekommen, erwartet mich schon einer der ausgelehrten Kellner. "Okay, die Koreaner essen gerade und sind im Moment beschäftigt. Kümmere dich jetzt mal um die Schank. Hast du die Liste?" er schaut mich fragend an. "Oh ja hab ich. Hier, bitte." Er überfliegt sie eilig und runzelt sie Stirn. "Ach das wird noch ein langer Abend. Ich hoffe du musst morgen nicht früh raus." Er verschwindet. Na klar. Kein Problem, ich habe eh kein Privatleben um das ich mich kümmern muss. Der Zustand der Schank ist eine Vergewaltigung für die Augen. Ich fange an zu ordnen und zu putzten. Nach einer Weile öffnet sich die Eingangstür und ein Stammgast spaziert herein. "Guten Abend mein hübsches Fräulein! Ein großes Bier, wie üblich bitte!" Ich bin nicht dein hübschen Fräulein. "Sehr gerne." Ich zapfe das Bier während er sich vor die Zapfsäulen hinstellt und eine Zeitung auspackt. Ich stelle ihm das Bier hin. "Danke, hübsches Fräulein." Immer schön lächeln.

Ich beobachte die Leute im Lokal. Müde, traurige, erschöpfte Gesichter. Erschöpft von einem Tag voller Gespräche und trostloser Tätigkeiten. Alle kommen sie am Abend hier zusammen und versuchen den Gesichtsausdruck zu verändern. Mit einer warmen Mahlzeit oder mit einem Glas Bier. Das Gesicht jedoch bleibt gleich. Die Augen schauen in die Leere des Restaurants. Sogar ein Gespräch mit dem grünäugigen Schankmädchen macht es nicht besser. Die Mimik bleibt gleich. Die Eingangstür geht wieder auf und der alte Chef stürmt herein. Auf dem Rücken trägt er (neben seinen Sorgen) einen großen Rucksack. "Nabend!" - eine Begrüßung ohne Bedeutung. Alle hier sind wir unsichtbar, aber doch ist es wichtig, dass er uns sieht. "Gut, dass du einspringen konntest." Ja, gut. Gleich wird der erste (von voraussichtlich elf weiteren) Spritzer gebracht. "Danke." -ein Wort welches so viel Kraft geben würde, wenn er mich dabei angesehen hätte. Ich brauche das Geld, denke ich mir und arbeite weiter. Ich putze und serviere - versuche mir nicht anmerken zu lassen wie frustrierend ich diese Umgebung finde. Der Chef reicht mir sein leeres Glas. Seine Finger zittern. Eine seiner Sorgen scheint gerade hoch zu kommen. "Noch einen Spritzer Louisa! Bitte, Danke." Wie eine Maschine. Ich tue wie befohlen. Bringe ihm den Spritzwein. Er streckt mir seinen Arm entgegen und greift nach dem Glas. Meine Lippen lächeln, aber meine Augen bleiben ausdruckslos. Er verschwindet zwischen den Gesichtern.

Ich begebe mich kurz in den sog. Office-Bereich hinter der Schank, wo fast alle Getränke ausgeschenkt werden. Ich schenke mir ein Glas Orangensaft ein und mache eine kurze Verschnaufpause. Meine Finger stinken nach Spülmittel. Serafina, eine der Kellnerinnen taucht im Office auf und zündet sich eine Zigarette an. Sie ist etwa in meinem Alter, arbeitet jedoch schon seit Jahren als ausgelehrte Kellnerin in der Gastronomie. "Hey, was geht ab? Bist immer noch rauchfrei ha?", sie grinst mich an. "Ja, also ich tue mein Bestes um es auch weiterhin zu bleiben." Ich nippe an meinem Saft. "Respekt echt, ohne Nikotin würde ich wahrscheinlich sterben. Ich bin einfach schon zu abhängig." Sie lacht. Ich lache mit. Ich kannte dieses Gefühl auch einmal. Sie zupft an ihrer Uniform herum. "Ach dieser BH schnürt mir die Luft ab und verdammt teuer war er auch noch. Aber er pusht so toll." Ich muss wieder lachen. "Hey Schankmädchen, Herr-Einmal-große-Käseplatte ist da!" ruft mir der Oberkellner im Vorbeigehen zu. Oh nein bitte nicht. "Hahaha viel Spaß, Süße!" Serafina raucht ihre Zigarette fertig und verschwindet. Ich gehe wieder zurück an die Schank. "Guten Abend Herr Santos!" ich beiße meine Zähne zusammen.

Am Tresen sitzt ein Stammgast, welcher mindestens so alt ist wie das Restaurant selbst. "Oh guten Abend Fräulein. Sie habe ich ja schon länger nicht mehr gesehen. Wissen Sie ich war in letzter Zeit öfters hier da meine Enkelkinder auf Urlaub sind und in meiner Wohnung ist es so still. Mein guter Freund Teodor ist auch zurzeit verreist und somit habe ich auch niemanden den ich besuchen könnte. Aber es ist ja auch mal ganz nett ein wenig Zeit für sich zu haben , wissen Sie ich habe nämlich...." ich reiche ihm eilig die Karte obwohl er sie bestimmt nicht brauchen wird. "Darf ich Ihnen vielleicht schon etwas zu trinken bringen, heute ist es ein bisschen voll hier." "Oh das ist wunderbar, ich nehme ein Achtel Rotwein. Wissen Sie dass, ein Glas Rotwein am Tag gesund ist? Mein Hausarzt hat mich einmal darüber informiert. Ich meine ich bin kein großer Weintrinker aber dennoch ist es eine interessante Information. Das erinnert mich an eine Geschichte...." "Oh bitte entschuldigen Sie mich kurz. Der Pager für die Küche vibriert. Ich bringe Ihren Wein." ich deute auf den (in Wirklichkeit nicht vibrierenden) Pager auf meinem Gürtel und verschwinde im Office. Dieser Mann macht mich fertig.

Der Oberkellner stürmt herein. "Oh da bist du ja. Ein alter Freund aus Schweden ist gerade mit seiner Frau eingetroffen. Machst du uns zwei kleine Vodka Stamperl und stellst sie auf Tisch 15. " Klar", als ob er einen Grund zum Vodka trinken braucht. "Natürlich." Ich schenke den Wein für Herrn Santos ein. "Bitte sehr der Herr. Wissen Sie schon was sie essen möchten?" So eine unnötige Frage. "Oh ja ich weiß es schon. Eine große Käseplatte bitte. Wissen Sie, Käse und Wein gilt in Frankreich als Delikatesse. Ich habe einmal eine Frau aus Frankreich gekannt. Ihr Name war Josephine aber ich nannte sie immer Choupette..." Ich nehme ein volles Reck Gläser aus dem Geschirrspüler und entschuldige mich. Bitte nicht wieder Geschichten aus Frankreich. Immer wenn er seine Käseplatte bestellt fällt ihm eine neue ein. Ich fing an die Gläser im Office in die Regale zu ordnen als der Chef herein stürmt. "Die Koreaner. Sie wollen zahlen. DRINGEND." Ich drucke schnell die Rechnung aus und gehe zu Tisch 37. "Do you want to pay seperate?"

Etwa acht Asiaten starren mich verwirrt an. "To pay seperate? The bill?" Immer noch nichts. Ich lege die Rechnung auf den Tisch und es beginnt eine heftige Diskussion in ihrer Sprache. Nach einer Weile hatten sie das Geld endlich beisammen gelegt und machten zum Abschied noch ein Foto von mir. Nun vibrierte mein Pager wirklich. Ich hole aus der Küche die nicht gerade ansprechend riechende Käseplatte für Herrn Santos und serviere sie ihm. Danach versuche ich die Schriften im großen Reservierungsbuch zu entziffern und schreibe eine Reservierungsliste für den morgigen Tag, welcher jetzt schon stressig zu werden schien.

Nach einer Weile bemerke ich, dass Herr Santos mit seiner Gabel in der Hand und schon mit seinem Kopf schon auf halben Weg Richtung Teller eingeschlafen war. Nicht schon wieder. Der Gestank des Camemberts verbreitete sich langsam aber sicher im gesamten Lokal. Ich wollte ihn gerade vorsichtig am Arm berühren als plötzlich das Licht ausging. Es wurde sowohl auf der Straße als auch im Lokal komplett dunkel und alle hörten auf zu reden. "Stromausfall. WIR HABEN STROMAUSFALL!" , die panische Stimme vom Chef ertönte und ich hoffte es handelt sich um einen Scherz. "Keine Panik meine Herrschaften, ich bin mir sicher, dass das Problem in Kürze gelöst wird. Bitte bleiben Sie ruhig." Ich konnte nichts sehen. Einige Gäste fingen langsam an zu lachen, andere wiederum zu schimpfen. "BERNADETTE WO BIST DUUU?!" Oh ja. Bloß keine Panik.... ...... Fortsetzung folgt.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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