In längst vergangenen Zeiten lebte Rhea Silvia, die Tochter eines Königs, dessen Reich in der Mitte des italienischen Stiefels lag. Aus Gründen, die schon damals nicht recht klar waren, tat sie nicht das, was man von einer Königstochter erwartet: Einen König heiraten, Söhne und Töchter werfen, die dann wiederum König wurden oder Könige heirateten.

Rhea Silvia wurde stattdessen Priesterin der Göttin Vesta. Als Vestalin war ihr jeder intime Umgang mit wem auch immer verboten. Wie es in solchen Fällen manchmal geschieht, übertrat Rhea Silvia das Verbot und wurde schwanger.

Rhea Silvia beschrieb ihren Liebhaber später als einen großen, stattlichen Mann mit wirrem Haar und absolut abenteuerlicher Barttracht. Es habe sich um den Kriegsgott Mars gehandelt.

Wer ihn kennt, wird in Rhea Silvias Beschreibung unschwer den Georg Gsottmayer aus dem Oberen Chiemgau erkennen.

Die Gsottmayers sind seit vielen Generationen unstete Gesellen, die viel in der Welt herumkommen. Möglicherweise ist also Rhea Silvia einem Hörfehler erlegen und der sogenannte Kriegsgott Mars hat sich ihr in Wirklichkeit als Girgl Gsottmoar vorgestellt.

Wie auch immer: diese Schwangerschaft war für Rhea Silvia ein echtes Problem. Als Mutter wäre ihr Leben als Vestalin zu Ende gewesen, die Alternativkarriere als jungfräuliche Braut eines Königs kam aus den gleichen Gründen nicht mehr in Frage.

Rhea Silvia zog sich also in die Wildnis der latinischen Wälder zurück und gebar nach Ablauf der Frist zwei Söhne. Sie packte die beiden Winzlinge in einen Weidenkorb, setzte diesen in den Tiber und ließ das leise wimmernde Paket den Fluß hinab treiben. Dann ging sie, weinend oder erleichtert oder beides, zurück zum Tempel der Vesta.

Einige Meilen flußabwärts, an einer jähen Biegung des Flusses, verfing sich das Körbchen im Uferschilf. Marisa, eine große, dicke, rosafarbene Sau mit schwarzem Hut, welche in der Sonne einer Uferwiese gerade ihr jüngst geworfenes Ferkel namens Eberhard säugte, hörte das hungrige Wimmern der beiden Knäblein und ging zum Fluß, nach dem Rechten zu sehen.

Was sie sah, rührte ihr schwei­ner­nes Mutterherz. Vorsichtig, damit die beiden kleinen Würmchen keinen Schaden nähmen, zog es das Körb­chen ans Ufer und besah sich das merkwürdige Strandgut. Dann packte die gute, mitleidige Sau die Kleinen mit starker Hand und legte sie an ihre eige­ne Sauenbrust. Dort lagen sie nun und saugten sich satt, zu­sammen mit dem eigenen Ferkel des Schweins.

Marisa behielt die beiden Ziehsöhne, die sie Remus und Romulus nannte, und zog sie zusammen mit ihrem eigenen Sohn Eberhard groß. Alle drei Söhne Marisas gediehen prächtig, und als sie erwachsen geworden waren, zogen Remus und Romulus fort, um sich in der Welt umzutun. Eberhard aber blieb zuhause und lernte das Leben kennen.

Als Remus und Romulus sich in der Welt umgetan hatten, kamen sie zurück an ihren Heimatfluß Tiber, um dort eine Stadt zu gründen. Eberhard, der wußte, wie solche Dinge zu laufen pflegen, schüttelte sorgenvoll sein Haupt, half aber mit beim Bau der Stadt.

Bald schon entbrannte zwischen den Zwillingen ein heftiger Streit um den Namen der neuen Stadt. Remus wollte sie Remmelshausen nennen, während Romulus Romelsburg viel hübscher fand.

Und da sie sich nicht einigen konnten, baute jeder der beiden Brüder seinen Teil der Stadt an je einem Ende des vorgesehenen Geländes. Romulus legte Wert auf gute, zweckmäßige Häuser, während Remus noch vor den Häusern die Stadtmauer baute.

Eines Abends kam Remus, die Arbeit seines Zwillingsbruders zu besehen. Die Häuser machten etwas her, das mußte er zugeben. Die Mauer allerdings...

Remus lachte, als er das Mäuerlein sah. Über eine solche Mauer, meinte er, könne jeder springen. Und er machte einen Satz und war über der Mauerkrone drüben. Und lachte und hüpfte über die Mauer zurück.

Dem Romulus war schon den ganzen Tag lang nichts so gelaufen, wie er sich dies gedacht hatte und er war entsprechend geladen. Der Spott von Remus ergrimmte ihn so sehr, daß er sein Schwert aus dem Gürtel riß, den Schädel seines Bruders zu spalten.

Eine Ohrfeige, wie Romulus nie zuvor in seinem Leben eine so gewaltige und schweinsmächtige Ohrfeige bekommen hatte, riß ihn nach hinten. Das Schwert fiel ihm aus der Hand und die Wange brannte.

Es war die Pranke von Eberhard gewesen. Eberhard, der nun endgültig genug hatte von dem ganzen Geschiß um diese verfluchte Stadt und ob man erst die Häuser und dann die Mauer oder umgekehrt bauen sollte und wie das verfluchte Ding letztlich heißen sollte. Eberhard, der nun hinüber ging zum lachenden Remus und ihm eine Ohrfeige versetzte, die jener von Romulus weiß Gott in nichts nachstand.

Und dann schrie und brüllte er, daß die neue Stadt Rom heißen solle, während man zum Ausgleich deren Bewohner Remer nennen solle. Und wenn sie, Remus und Romulus damit nicht zufrieden seien, wäre der nächste Satz Ohrfeigen fällig.

Remus und Romulus waren damit zufrieden.

Eberhard aber packte seine Sachen und sagte, er gehe jetzt zurück aufs Land, seine Felder zu bestellen. Er habe genug von dieser Stadt.

Rom aber war geboren und die Welt genas nie wieder davon.

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