"Abgeschluckte Fellteile reinigen den Hundedarm und halten Würmer fern", oder?

Derek Jensen (Tysto)

Menschen folgen neuen Trends in der Hundehaltung wie Lemminge. Weshalb ich grad Lemminge als Beispiel anführe?

Brehms Tierleben erklärte uns „Der Lemming ist unbedingt das rätselhafteste Tier ganz Skandinaviens. Noch heute glauben die Bauern der Gebirgsgegenden, dass er von dem Himmel herabgeregnet komme und deshalb in so ungeheurer Menge auftrete, sich später aber wegen seiner Fressgier den Magen verderbe und zu Grunde gehen müsse.“ Ein angeborener Instinkt soll Lemminge nach der Massenvermehrung zu Massenwanderungen treiben, und sobald sie das Meer erreicht haben, haufenweise von den Klippen springen lassen, um so kollektiven Selbstmord zu begehen. Wenn Lemminge wandern, treffen sie zwangsweise auf Flüsse, die sie überqueren müssen; da Nagetiere nicht unbedingt zu den allerbesten Schwimmern gehören, ertrinken die meisten. Auch hier gilt demnach: von Massenselbstmord keine Spur.

Schuld am Lemmingsterben ist eher der Klimawandel, denn milde Winter bieten keine dicken Schneedecken, unter denen die Nagetiere überwintern und sich vermehren können. Sie begehen also keinen Selbstmord, obwohl die Menschen dies gerne glauben. Menschen glauben solche Geschichten, weil Menschen Dinge einfach so hinnehmen, die man ihnen erzählt.

Und das führt uns zum eigentlichen Thema: den kollektiven Trends in der Hundebespassung.

Den Lemmingen zu folgen bedeutet, kollektiven menschlichen Wahnsinn nachzumachen, oder unüberlegt gerade angesagte Dinge zu tun, ohne diese gründlich zu hinterfragen.

Wie beispielsweise die neueste Modeerscheinung, Hunde mit ganzen Pelztieren (oder getrockneten toten Teilen selbiger wie pelzige Hasenohren u.ä.) zu füttern, „um den Hundedarm damit zu reinigen oder Wurmbefall zu verhindern.“ Dazu passend kann man im Onlinehandel auf diversen Tierbedarfsseiten für Hunde auch Reste der Pelzindustrie, nämlich Abfälle von Schaf-Fellen, kaufen, damit der Hund diese zerfetzen und fressen kann, offensichtlich als Ersatzbeute gedacht. Oder eben um „den Darm durchzuputzen“ .

Augenscheinlich kann man heutzutage wirklich mit allem Geld machen! Kommt man mit tierärztlichen Argumenten, die dagegen sprechen, erfährt man, dass „abgeschluckte Fell-Haare dem Hundemagen nicht schaden können, wenn die Felle vorher gefroren wurden“. Dies macht mich sprachlos. Was selten vorkommt! Vor allem weil es Unsinn ist. (Um mit dem vielzitierten Wolf zu argumentieren: der Wolf friert seine Opfer auch nicht vorher kurz ein. Abgesehen davon, dass er die Haare nicht mitfrisst.)

Die Geschichte vom Alphawolf und seinen angeblichen Ernährungsgewohnheiten sowie die Sache mit den Fellteilen, die dem leichtgläubigen Hundehalter als „Darmdurchputzer“ ans Herz gelegt werden sind übrigens der Hauptgrund, warum ich das Buch „Tipps vom Hundedoktor- Gesunde und glückliche Hunde müssen nirgends durch!“ geschrieben habe. Darin gehe ich so manchem Irrsinn nach, den Hundebesitzer und ihre selbsternannten Gurus anrichten. (Näheres dazu ganz unten.) Denn unsere Hunde müssen nirgends durch! https://www.amazon.de/Tipps-vom-Hundedoktor-gl%C3%BCckliche-nirgends/dp/3741238635/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1483889205&sr=1-1&keywords=bela+wolf

Zurück zum haarigen Thema: Aber selbst wenn der Hund die Fell-Beute aus dem Internet nicht frisst, sondern nur damit herumtobt und sie büschelweise voller Freude auseinandernimmt, bleiben doch Haare in seiner Maulhöhle, die er versehentlich abschluckt, einfach deshalb, weil er sie nicht mehr herauswürgen kann. Sollten Sie das nicht glauben, probieren Sie es aus. Ein Mund voller Haare macht keine Freude. Auch dem Hund nicht. Und kommen Sie mir nicht mit dem berühmten Würgereflex vom Wolf. Der Hund hat keinen so flexiblen Kehlkopf wie der Wolf. Hat er etwas versehentlich verschluckt, muss er es bestenfalls wieder erbrechen, um es aus dem Magen zu entfernen, bevor dieser Schaden nimmt. Geht das nicht, oder zu spät, ist die Misere schon da: die berühmte Magenverstimmung, die Gastritis. Der Hund mag plötzlich nicht mehr fressen und keiner weiß warum. Er erbricht dauernd oder nach dem Essen. Dann kommt der Durchfall. Oder beides. Es folgen Antibiotika, Antacida und Diätfutter, manchmal reicht das, oft aber nicht und dann sieht man im Röntgenbild: ein Bezoar! (Ein Bezoar sieht aus wie auf dem Bild oben) Oder ein abgeschluckter Riesenknorpel! Ein Teil vom Rehfusserl , ein Stück Huf von was anderem, ein Elchgeweih, eine Kastanie im Darm, ein Verschluss durch Knochenkot. Oder eine verschluckte Socke. Ein Aug vom Spielzeug. Und vieles mehr.

Weil, Sie wissen sicher schon worauf ich hinaus will: „Das macht meinem eh nix“. Nur deshalb. Oder weil:. „Aber der Wolf macht das ja auch!“. Beides schlimm, wenn Sie mich fragen.

Gerne erkläre ich nun die Folgen für den Hund, der Haare verschluckt hat (egal welche, vor allem aber von Fellen und anderem nicht hundetauglichen Spielzeug, wie zB. Stofftiere mit giftigem Plastikfaserinhalt). Haare verklumpen im Magen zu einem Haarballen, auch „Bezoar“ genannt. Oder im Darm.

Ich darf hier Wikipedia zitieren, um mir die Arbeit zu ersparen: „…Bezoare entstehen durch Verschlucken von Haaren. Selten werden Bezoare nicht nur im Magen, sondern auch im Dünn- oder Dickdarm gebildet und können hier zu einem Darmverschluss (Ileus) führen. Es wird auch von Bezoaren in der Bauchspeicheldrüse berichtet, die aus einer kaugummiartigen Masse bestehen. Ein Phytobezoar besteht aus ungenügend durchgekauten pflanzlichen Fasern. Ein Medikamentenbezoar kann sich im Rahmen einer Antazida-Therapie entwickeln.“ Heisst, wenn man dem Hund lange Zeit Magenschutz –Medikamente eingibt (z.B. bei andauernder Schmerzmittelgabe bei chronischen Schmerzen), kann ebenfalls ein Bezoar entstehen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob das Fell, welches man dem Hund zum „Spielen“ und „Zerreißen“ gibt, vorher ein paar Stunden tiefgefroren wurde oder nicht. Haare sind Haare. Die Folgen für den Hund: bestenfalls eine Magenwandentzündung (Gastritis) mit Erbrechen und Durchfall. Im Schlimmsten Fall versperrt der Haarballen den Magenausgang, wird nach einem langen Leidensweg endlich im Röntgenbild entdeckt und anschließend durch eine Magenoperation entfernt. Auch eine Magendrehung ist nicht auszuschliessen.

Warum? Weil Leute leichtgläubig sind. Oder lemminghaft beratungsresistent. Wer das Opfer in der Geschichte ist, kann man sich denken.

Dann kommen Menschen daher, mündige Bürger, die dem Tierarzt allen Ernstes glaubhaft machen wollen, dass das Verfüttern und Abschlucken ganzer Feldtiere (Hasen, Hamster,Krähen und was sonst noch so herumläuft oder flattert in Wald und Flur) oder wenigstens tote Teile von ihnen den Hundedarm reinigt und so Wurmbefall vorbeugt oder heilt. Heiliger Bimbam. Wo kommt das her?

Ich weiß es. Es kommt aus dem Netz. Wo man alles glaubt, was irgendwer erzählt, irgendjemand vormacht oder von irgendjemand empfohlen wird. Auch wenn’s der Erzengel Michael war. Oder der Betreiber eines Hundebedarfshops, der die Sachen an die Frau (oder den Mann) bringen will.

Nun zu diesem Thema müsste ich seitenlang schreibe, dazu reicht ein Blog nicht. Machen wir es kurz: Beutetiere sind Bandwurmträger, selbst die Vorfahren des Hundes, die Wölfe, fraßen nur den Darminhalt, nicht den Mageninhalt und auch nicht das Fell. Schon gar nicht verschluckten sie freiwillig gegerbte Fellreste, auch tiefgefrorene nicht. (Wölfe sind keine Idioten.)

Die neueste Mode, dem Hund von heute ganze getrocknete oder mit irgendwas konservierte Hirschbeine inklusive Huf dran hinzuknallen und ihn daran knabbern oder das Ding fressen zu lassen wird viele Tierärzte freuen, denn sie werden dadurch sehr reich. Darmoperationen sind aufwendig und kostenintensiv, ebenso die Nachbetreuung in der Tierklinik.

Nicht zu vergessen, die Würmer, gegen die angeblich auch Bernstein schützt (aber nur wenn Sie vorher dreimal verkehrt bei Vollmond übers Feuer gesprungen sind!) werden sich totlachen. Ich würde auch lachen, wenn’s nicht so traurig wäre für die betroffenen Hunde. Hier der neueste Artikel, der vielleicht auch den Bernstein-Fans die Augen öffnet: http://helpv2.orf.at/stories/1771636//index.html

Womit wir beim Mythos der durch das Abschlucken der Fellteile angeblich stattfindenden „Darmreinigung“ wären. Wir finden uns gerade eben wieder im tiefsten Mittelalter wieder: den Darm sanieren, das boomt wie nie zuvor (nach Aderlass und Detox), und macht auch leider keinesfalls vor dem Hund halt. Denn wie die meisten wissen, Gesundheit beginnt im Darm. Auch beim Menschen. Was ja stimmt.

Aber nicht weil der Darm womit auch immer „entgiftet" wurde, sondern schlicht und einfach, weil im Darm das Zentrum des Immunsystem sitzt, welches man unterstützen sollte, um Abwehrkräfte gegen Krankheiten zu entwickeln. 70 % aller Immunzellen befinden sich im Dünn- und Dickdarm; knapp 80 % aller Abwehrreaktionen laufen hier ab. Das macht den Darm zu einem großartigen Wächter unseres Immunsystems. Ist der Darm gesund, sind wir besser gegen viele verschiedene Krankheiten gefeit.

Damit kommen wir zum springenden Punkt der Geschichte: den Darm in irgendeiner Form zu „entgiften“ ist UNMÖGLICH! Der Darm entgiftet selbst, das ist seine Aufgabe, indem er wertvolles und brauchbares aus der ihm zugeführten Nahrung entzieht und verwertet, giftiges wurde bereits durch Leber und Nieren „entgiftet“. Von ganz alleine. Welch ein Wunder, in der Tat. Nebenbei völlig gratis. Nachzulesen unter: http://www.medizin-transparent.at/detox-der-mythos-vom-entgiften

Gelangt der Speisebrei vom Magen in den Dünndarm, wird er dort in seine Einzelbestandteile wie Wasser und andere Flüssigkeiten, Amino- und Fettsäuren, Vitamine und Zucker zerlegt, diese werden über die Darmschleimhaut aufgenommen und ins Blut weitergegeben. Erst dann ist die Nahrung verwertbar. Der Dickdarm spielt für das Immunsystem eine noch größere Rolle als der Dünndarm, denn neben der Darmflora beherbergt er Lymphfollikel. (Lymphfollikel sind ganze Kolonien von Lymphozyten, deren Hauptaufgabe darin besteht, Viren und Bakterien zu erkennen und zu eliminieren - etwa durch die Produktion von Antikörpern.)

Der Darm tut also von selbst was er kann um den tierischen (und den menschlichen) Organismus zu entgiften. Man kann ihn weder durch irgendetwas „entgiften“ noch darin befindliche Würmer mit Haaren erschrecken. Was man tun kann, ist die Darmflora gesund und aufrecht zu erhalten, die durch eine Antibiotikagabe zerstört wird oder durch Stress aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Dies funktioniert durch die tägliche Gabe von Naturjoghurt, im Fall laktoseempfindlicher Tiere mittels laktosefreiem Naturjoghurt, in welches man Probiotika (rezeptfrei in jeder Apotheke erhältlich) mischt. https://www.google.at/webhp?sourceid=chrome-instant&ion=1&espv=2&ie=UTF-8#q=probiotika&tbm=shop

Was der Darm hingegen nicht kann, ist feststeckende Teile wie Knochen, Bezoare oder sonstige Fremdkörper selbst zu beseitigen. Die holt dann der Tierarzt wieder heraus, mit dem Skalpell. Und selbst wenn Sie feststellten, dass der Hund nach so einem Unfall mit einem verschluckten Teil Kot absetzt, oft als sehr dünnflüssigen Durchfall, bedeutet das nicht, dass er keinen lebensbedrohenden Darmverschluss hat! Denn ganz dünnflüssiger Kot geht auch beim Verschluss durch. Und das macht die Sache so gefährlich. Der Hundebesitzer denkt, der Hund hat „nur“ starken Durchfall, dabei steht der Tod schon vor der Türe und klopft leise an. Das müsste nicht sein!

Im Sinne der Hunde: take care.

Herzlichst Bela Wolf,

Tierarzt, Autor und Tiergesundheitsjournalist

https://tierarztwolfblog.wordpress.com/

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