Planet der Affen: Wenn ich all meine Gedanken und Gefühle der letzten Tage destilliere, dann bleibt vor allem eines übrig: Absolutes Unverständnis.

Ich kann und will einfach diesen Wahnsinn nicht glauben, der mittlerweile fast tagtäglich über uns herein bricht. Und vermutlich geht es Ihnen nicht anders. Eine Schockmeldung jagt die nächste: In Asien ist schon wieder ein Flugzeug verloren gegangen, islamische Terroristen stürmen in Paris die Redaktion eines Satiremagazins und erschießen zwölf Menschen, weil das Blatt Karikaturen von Mohammed abgedruckt hat, auf die Hamburger Morgenpost wird aus demselben Grund ein Brandanschlag verübt, in Nigeria wird ein 10-jähriges Mädchen als Selbstmordattentäterin missbraucht und auch hierzulande passiert unfassbares, wenn auch weniger drastisches: Das Cafe Prückel in Wien verweist ein lesbisches Paar wegen eines öffentlichen Kusses.

Darf das wirklich wahr sein? Wir befinden uns nun schon im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert nach der Geburt Christi (der übrigens bestimmt nicht im Jahre null geboren wurde, aber sei’s drum). Die Geschichte der Menschheit dürfte vor rund 200.000 Jahren begonnen haben. Zumindest stammen die ältesten fossilen Funde aus dieser Zeit. Davor hat sich der Homo sapiens irgendwie von der Amöbe zum Säugetier geturnt, was an sich schon recht beachtlich ist. Doch dann ging es erst richtig rund: Die Nomadenstämme organisierten sich in immer größeren Gruppen, wurden sesshaft und begannen Ackerbau zu betreiben, mit der Zeit wuchsen die ersten Städte. Die Wissenschaft nimmt heute an, dass der Homo sapiens spätestens vor 120.000 Jahren begann, ernsthaft über seine Existenz zu grübeln. Und somit entstand die Religion, oder besser gesagt die Religionen. Denn angebetet wurde vieles, da war der Mensch schon damals sehr kreativ, von der Sonne bis zum Mond, über das Tier- und Pflanzenreich bis hin zu einfachen Steinen – und natürlich übersinnlichen Geschöpfen. Rund 100.000 Glaubenskonzepte dürfte es mit der Zeit gegeben haben.

Wir können es unseren Vorahnen nicht verübeln: Irgendwie mussten sie sich doch diese wundersame Welt mit all ihren Geschöpfen erklären. Und mehr noch: Die Religion dürfte sogar mit ein Grund für das Erfolgsmodell Homo sapiens sein. Die Forschung geht davon aus, dass das Zusammenleben in immer größeren Menschenansammlungen nur durch den Glauben an etwas höheres Gemeinsames möglich war. Die Religionen waren also so etwas wie eine erste Gebrauchsanweisung für ein geregeltes Miteinander (Du sollst nicht töten!).

Doch dann schuf der Homo sapiens Gesetze und regelte das Zusammenleben immer professioneller. Er lernte die Welt, in der er lebte und auch sich selbst immer besser kennen. Er erfand den Strom, Autos, Flugzeuge und Schiffe, flog zum Mond, entwickelte das Internet und entschlüsselte sogar seine eigene DNA.

Charles Darwin hat uns bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Evolutionstheorie erklärt – und trotzdem sind fast 50 Prozent der Amerikaner heute überzeugt, dass der liebe Gott das Universum und die Erde geschaffen hat.

Warum wollen Menschen diese wissenschaftlichen Fakten noch heute einfach nicht wahr haben? Kränkt es sie zu sehr, vom Affen abzustammen? Ich kann es nicht verstehen. Skurril finde ich immer wieder, dass die angeblich so bescheidenen Gläubige wirklich davon überzeugt sind, die Krone der Schöpfung zu sein. Sind wir leider nicht. Wir sind ein „evolutionärer Pfusch“, wie es der Evolutionsbiologe gerne ausdrückt. Der Mensch ist wie ein alter, kubanischer Cadillac –– dort haben die Mechaniker schließlich auch keine neuen Ersatzteile zur Verfügung. Und auch die Evolution muss sich mit dem begnügen, was sie hat. Und sie werkelt munter weiter an uns herum.

Noch weniger leuchtet mir ein, warum wir heute überhaupt noch über Rassismus sprechen müssen. Ebenso haben wir es der Wissenschaft zu verdanken, dass wir heute wissen, dass eine Gruppe Homo sapiens schon früh aus Afrika in den Norden – das heutige Europa – auswandert ist und als einfache Adaption auf diese neuen Lebensverhältnisse eine weiße Hautfarbe entwickelt hat. Denn so konnten unsere Vorfahren trotz der schlechteren Wetterbedingungen genügend Licht aufnehmen, um das lebenswichtige Vitamin D zu produzieren. Diese Entwicklung ging übrigens mit einem höheren Hautkrebsrisiko einher – auch so ein Pfusch der Evolution.

So einfach die Erklärung, warum es Menschen mit weißer und schwarzer Hautfarbe gibt. Und daher will ich es einfach nicht kapieren, warum in den USA noch immer diesbezüglich die Fetzen fliegen, Stichwort Ferguson.

Weiter geht’s zur Homosexualität: Wieso ist die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare eigentlich nicht schon längst zumindest gesetzlich erfolgt? Wissenschaftlich wissen wir schon lääängst, dass es sich nicht um eine Krankheit handelt. Und das Argument „Wider die Natur“ kann auch nicht mehr gelten, schließlich haben wir den Fortpflanzungsprozess vom Sexualakt getrennt. Dank der modernen Medizin können heute Sperma und Eizellen eingefroren werden – sie können also noch lange nach ihrem Ableben noch putzmuntere Babys zeugen. Auch sollen lesbische und schwule Paare endlich Kinder adoptieren dürfen – dass dies der Psyche des Nachwuchses in keinster Weise schadet, wurde bereits in zahlreichen Untersuchungen festgestellt.

Daher frage ich: Warum muss ein lesbisches Paar heute in Wien ein Kaffeehaus verlassen? Und warum muss eine Dame mit Bart unglaubliche Beleidigungen hinnehmen, obwohl sie für unser Land eigentlich einen sehr netten Sieg errungen hat?

Oder warum erhält die österreichische Frauenministerin öffentliche Morddrohungen, nur weil sie darauf hinweist, dass in der österreichischen Bundeshymne mittlerweile auch die Töchter besungen werden sollen? Knallhart biologisch argumentiert könnte ja die Unterdrückung der Frau vielleicht noch damit gerechtfertigt werden, dass das Männchen doch so vorgehen muss, um sicher gehen zu können, dass das Weibchen auch wirklich seinen Sprössling austrägt – und er nicht Unmengen an Zeit und Ressourcen in genetisch fremdes Material investiert. Doch auch hierfür haben die Menschen längst eine Lösung gefunden: Schwangerschaftsverhütung und Vaterschaftstest.

Und dann gibt es noch immer diese Religionen, die heute noch eine für mich völlig absurde Machtstellung genießen. Als spiritueller Anker sollen sie ruhig existieren. Mir ist völlig egal, ob jemand an die unbefleckte Empfängnis, Allah oder das Spagettimonster glaubt. Doch Religion muss Privatsache bleiben. Ich will mich weder am Wochenende um sieben Uhr morgens von Zeugen Jehovas an meiner Wohnungstüre belehren lassen (die übrigens ihren Schöpfer früher kennen lernen werden, als ihnen lieb ist, sollten sie das noch einmal versuchen) und schon gar nicht von Terroristen unter Druck setzen lassen.

Ich selbst bin Atheistin und glaube an kein Leben nach dem Tod. Ich glaube nicht an das Paradies, noch an die Hölle. Ich glaube an die Evolution und dieser ist nun einmal der Fortschritt immanent.

Doch vorwärts bewegt sich im Moment nichts. Wir scheinen am Stand zu laufen. Wir hängen in Debatten fest, die wir im letzten Jahrtausend längst abschließen hätten können, wie eben Frauenrechte, Rassismus oder diese schrecklichen Glaubenskriege.

Das wirklich tragische daran ist, dass wir uns längst um ganz anderes kümmern sollten. Denn schließlich haben wir mit genug „neuen“ Problemen zu kämpfen: Da wären etwa der Klimawandel und die Finanzkrise, die überalternde Gesellschaft, das weltweite Verteilungsproblem, um nur einiges zu nennen.

Anstatt uns endlich um die Aufgaben des 21. Jahrhunderts anzunehmen, müssen wir um Mitmenschen trauern, die wegen Mohammed-Karikaturen erschossen wurden. Wegen Zeichnungen! Ich kann mir diesen Satz noch so oft vorlesen, mein Kopf will ihn einfach nicht verstehen.

Mir kommt es so vor, als würden wir den Evolutionshügel wieder langsam rückwärts hinunter rollen. Das wäre schrecklich. Denken Sie nur an den Science-Fiction-Klassiker „Planet der Affen“. Wollen wir wirklich alle wieder Haare unter den Achseln tragen? Ich hoffe nicht.

P.S.: Sollte es Ihnen so ergehen wie mir, so sei Ihnen der australische Musiker und Comedian Tim Minchin ans Herz gelegt. Kaum jemand bringt sein religiöses Unverständnis so herrlich auf den Punkt. Und es gibt wohl kaum einen glühenderen Atheisten, der sogar als Darsteller im Musical Jesus Christ Superstar brilliert: https://www.youtube.com/watch?v=zB8wNjmHwRc

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