Warum wir den Ärzte-Protest unterstützen müssen

Manchmal ist man aber auch wirklich naiv. Vor allem wir Journalisten erliegen gerne dem Glauben, mit unserer Arbeit die Welt verändern zu können. Nach mittlerweile zehn Jahren in diesem Business bin ich da schon sehr desillusioniert. Doch als ich vor rund einem Jahr die profil-Titelgeschichte „Todesfalle Krankenhaus“ schrieb, war ich tatsächlich überzeugt, mit diesem Beitrag etwas bewirken zu können.

Denkste!

Bereits damals gab es Demonstrationen der Ärzteschaft, die sich gegen weitere Einsparungen und eine Änderung der Arbeitszeit auflehnten. Ich konnte zudem anhand einiger schockierender Bespiele belegen, dass es durch die Engpässe in österreichischen Spitälern bereits zu Todesfällen kam.

Und was hat sich seither getan? Zum Positiven hat sich nichts geändert, im Gegenteil: Die Situation, die damals bereits dramatisch war, hat sich derart zugespitzt, dass heute 2.000 Ärzte in Wien demonstrieren werden.

Zu Recht, viel zu lange haben sie diese untragbaren Zustände geduldet.

Seit der Coverstory von damals habe ich unzählige Zuschriften bekommen. Ein Notarzt etwa berichtete, dass er in den Nachtdiensten regelmäßig durcharbeiten müsse, obwohl Ruhezeiten vorgesehen sind: „Ich war einmal tagelang fast ununterbrochen auf den Beinen. Als ich mich im Nachtdienst endlich schlafen legen wollte, wurde ich nach nur zwanzig Minuten wieder geweckt. Ich war so durcheinander, dass ich nicht einmal meinen Namen wusste. Nur anhand meiner Kleidung war mir irgendwie klar, dass ich hier eine wichtige Funktion habe.“ Erst nach einigen Minuten Minuten war er wieder völlig bei Sinnen.

Ein anderes Mal fuhr er völlig übermüdet nach dem Nachtdienst nach Hause und war verwundert, als sich die Wohnungstür nicht aufsperren ließ. Erst nach einigen Minuten bemerkte er, dass er an der falschen Adresse stand – er war zu jener Wohnung gefahren, von der er vor Jahren ausgezogen war.

Mit solchen Erlebnissen steht der Notarzt nicht alleine da. Und ich brauche wohl nicht näher ausführen, was es für Patienten bedeuten kann, wenn sie von solchen erschöpften Medizinern behandelt werden.

Am eindrücklichsten blieb mir jedoch das Mail einer jungen Ärztin in Erinnerung, die vor rund einem Jahr ihren Turnus abschloss. Die praktische Ausbildung in Österreich sei ein Witz, meinte sie unter anderem darin: Die Jungärzte würden kaum etwas lernen und dürften zum Großteil nur Arbeiten verrichten, die in anderen Ländern von Krankenschwestern übernommen werden.

Am Ende ihres Mails legte sie eine Art schriftliche Beichte ab: „Wir sind Ärzte geworden, weil wir Menschen helfen wollten. Aber irgendwann waren wir so ausgelaugt, dass wir kein Verständnis mehr für deren Leid hatten. Wir sind sogar so sadistisch geworden, dass wir als Rache besonders fordernden Patienten extra dicke Nadeln in die dünnsten Venen gestochen haben.“ Sie selbst hätte dies nicht auf Dauer ertragen und sei in eine Depression geschlittert und musste deshalb ihren Turnus unterbrechen.

Angesichts dieser Zeilen wird es wohl niemand mehr wundern, warum es in Österreich bereits einen Mangel an Turnusärzten gibt und sich langsam ein genereller Ärztemangel einstellt.

Der Ärzteprotest ist also völlig gerechtfertigt. Ich verstehe nur nicht, weshalb sich diesen Demonstrationen nicht viel mehr Menschen anschließen. Bislang haben sich nur einige Patienten-Selbsthilfegruppen engagiert.

Denn stellen Sie sich vor: Morgen Nacht hat ihr Ehemann, Großvater oder Bruder ein lebensbedrohliches Aorten-Aneurysma und wird mit diesem Kreuz und Quer durch die Stadt kutschiert, da in den ersten angefahrenen Krankenhäusern kein Gefäßchirurg verfügbar ist (genau so ein Fall hat sich vergangenes Jahr tatsächlich so zugetragen).

Oder ihre Tante, Mutter oder Schwester ist in einer ebenso gefährlichen Lage – doch kein OP-Saal ist frei. Sie sitzen an ihrem Bett und können ihr nur noch die Hand halten, als sie zunächst noch nach Luft schnappt, dann bewusstlos wird und wenig später verstirbt (eine leider ebenso wahre Geschichte).

Höchste Zeit, dass wir uns endlich mit den Ärzten solidarisieren – und sei es nur unserer eigenen Gesundheit wegen.

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