Zwei Begriffe hört man in der aktuellen Debatte immer wieder und oft werden sie sogar synonym verwendet: Integration und Multikulturell. Dabei stehen beide Begriffe so weit auseinander wie Nord- und Südpol. Dieses Missverständnis basiert auf der Art, wie sich deutsche Auswanderer in der Vergangenheit – und Auswanderung aus Deutschland es gab bekanntlich in große Wellen – in ihren neuen Heimatländern einrichteten. Die Phase des „Fremdelns“ war meist sehr kurz, schon nach kurzer Zeit waren die Einwanderer nicht mehr von ihren genuinen Nachbarn zu unterscheiden. In Australien spricht man davon, dass Deutsche schnell zu 150%-Aussies werden, im Gegensatz zu Italienern, Griechen oder Chinesen, die sich zwar auch anpassen, ihre kulturelle Eigenständigkeit aber nie aufgeben. So stellt sich der Deutsche Integration vor, vollständige Assimilation, perfekte Sprachkenntnisse, religiös möglichst Neutrum oder Christ, so soll „gelungene Integration“ aussehen. Und da wir uns von staatlicher Seite offenbar nur immer auf ein einziges Thema konzentrieren können, gehen alle Zukunftsdebatten in diese Richtung. Integration über alles, das müssen wir schaffen – selbst wenn ein türkischer Ministerpräsident nach Deutschland kommt und seinen türkischen Landsleuten „integriert euch nicht“ zuruft.

Integration ist ein Hirngespinst, das nicht hinterfragt werden soll. Ginge es wirklich um Integration, wäre das deutsche Volk der falsche Adressat der Forderung unserer Politiker. Integration ist nämlich in erster Linie eine individuelle Entscheidung. Es besteht eine Holschuld, keine Bringschuld der Ziel-Gesellschaft. Was es seitens der Gesellschaft lediglich braucht, sind Rücksicht und Chancen – und die schwinden schon rein numerisch, wenn die Zahl der Neuankömmlinge die Gesellschaft überfordert. Dieses Naturgesetz lässt sich auch per Order und mit einem säuselnden „Wir schaffen das“ nicht überwinden.

Nun gibt es ja Staaten, die pfeifen auf Integration, weil sie seit ihrer Gründung einer Vielzahl verschiedener Völker zur Heimstatt wurden. Man denke an die USA, Kanada oder Australien. Was man dort praktiziert, könnte man zu Recht als „Multikulti“ bezeichnen, wenn deutsche biodynamisch ernährte Bildungseuropäer diesen Begriff nicht gänzlich anders belegt hätten. Für die ist Multikulti eine Art Selbstbedienungsladen der Kulturen, das Beste aus allen Welten, on demand verfügbar und beliebig zu mischen. Mentos mit Cola aber bitte ohne Kohlensäuregewitter. Als 2015 Mohammed und Jesus wegen des im Jahr beweglichen islamischen Kalenders am selben Tag Geburtstag hatten, fragten manche Leute allen Ernstes, warum wir das nicht immer so schön zusammen feiern können. Es ist der im Westen allgegenwärtige Konsumgedanke, pervertiert zur kulturellen Beliebigkeit und damit das krasse Gegenteil von Toleranz. Es ist pure Ignoranz, auch der eigenen Identität. Denn selektiert wird schon! Man möchte nicht alles im Angebot des „Multikulti-Weltladens“ haben. Kannibalen hätten es auch bei Multikulti-Anhängern schwer, Akzeptanz für ihre Ernährungsweise zu finden und wer in Berlin-Kreuzberg einen Passanten nach dem nächst gelegenen Sklavenmarkt fragt, wird auch auf Unverständnis treffen, Tradition hin oder her. Auch Dhimmi-Steuer möchte man nicht zahlen, selbst wenn man als Christ oder Jude in bestimmten Gegenden Berlins oder Düsseldorfs in der Minderheit sein mag. „Zum Teufel mit der Demokratie, wenn immer die Mehrheit bestimmt, was gemacht wird…wo kommen wir denn da hin!“ heißt es dann.

Der Mensch neigt zur Selbstorganisation, wenn er sein Milljöh nicht vom Staat repräsentiert und geschützt sieht. Es bilden sich zwangsläufig Parallelgesellschaften, sobald ein Milljöh eine „kritische Masse“ erreicht. Das ist zunächst mal nichts schlechtes, muss aber anders organisiert werden, damit es friedlich bleibt im Land. In einem mittelalterlichen Dorf, sagen wir mal in Franken, in dem ein paar Hundert Seelen nebst Hund, Katze, Vieh und Pastor lebten, fiel es den Menschen leicht, sich gegenseitig einzuschätzen. Man kannte sich, ging jeden Tag gemeinsam zur Kirche, glaubte im Wesentlichen an dasselbe, hatte ähnliche Ziele und Interessen. Es brauchte wenig Regeln, wenig Gesetz und „Staatsmacht“, man konnte schon am „Grüß Gott“ erkennen, wie das Gegenüber heuer gelaunt war und ob es eine gute Idee sein könnte, ihn gerade jetzt nach dem Geld zu fragen, das er einem noch schuldete. Je multikultureller eine Gesellschaft wird, umso schwerer wird diese Einschätzung. Das ist die Urangst vieler Menschen in Deutschland. Sie mag paranoid daherkommen und teilweise auch unbegründet sein, aber sie ist da. Angst muss man nicht begründen oder rational erklären. Man kann sie durch Schutz und Beispiel zerstreuen, sie kann sich aber auch durch Ignoranz und Beispiel verstärken.

Die Frage für die Zukunft wird sein, ob wir den Preis bezahlen wollen, den eine solche, andere Gesellschaft kosten wird. Einen Preis, den die Vereinigten Staaten zahlen, indem sie zum Beispiel ein anderes, sehr viel restriktiveres Rechtssystem und eine deutlich größere Exekutive haben. Und ja, das würde eine „Amerikanisierung“ Deutschlands bedeuten. Inclusive eines um etwa 12-15% vergrößerten Polizeiapparates. Aber da Deutschland ein so starkes Land ist, schaffen wir das. Sofern wir das wollen. Aber vielleicht wird uns Garnichts anderes übrig bleiben. Wir werden wahrscheinlich eine multikulturelle Gesellschaft sein, vielleicht noch eine freie, demokratische, aber auch keine offene mehr.

Neues aus dem Kanzlerinnenamt

Für Frau Merkel soll 2016 jedenfalls genauso weiter gehen, wie das Jahr 2015 endete. In ihrer Neujahrsansprache heißt es: "Wir schaffen das, denn Deutschland ist ein starkes Land." Der selbstherrlichen Floskel, die Merkel bei „Bob dem Baumeister“ geklaut hat, wird als erklärende Floskel eine unqualifizierte Behauptung angehängt. Wie stark ist Deutschland denn? Und worin? Dieser Spruch also soll der Nation als Motivation genügen? Zu mehr Zieldefinition lässt sich die Kaiserin nicht herab? "Es kommt darauf an, dass wir uns nicht spalten lassen. Nicht in Generationen. Auch nicht sozial und nicht in Alteingesessene und Neubürger." So spricht die Spalterin, die an anderer Stelle sagte, dass der Protest auf der Straße sie abstößt. „Dann ist das nicht mehr mein Land“ waren ihre Worte. Da haben Bürger eine andere Sicht auf aktuelle Probleme und die Kaiserin erklärt sie zu Außenseitern und Nestbeschmutzern – und die wird man ja wohl noch abspalten dürfen! Denn was konstruktiv ist und was Spaltung, bestimmt ihre Majestät „Angela die Einzige“.

„Es kommt darauf an, denen nicht zu folgen, die mit Kälte oder gar Hass in ihrem Herzen ein Deutschsein allein für sich reklamieren und andere ausgrenzen wollen, in dem wir selbstbewusst und frei, mitmenschlich und weltoffen sind“. Deutschsein, Frau Merkel? Das wollen die Flüchtlinge also eigentlich hier? Deutsch sein? Im Ernst? Am deutschen Staats-Wesen will die Welt genesen? Ist „Deutschsein“ nicht etwas zu nationalistisch, wo wir doch seit Jahren nur „Europa, Europa“ rufen und mit der Globalisierung Schritt halten sollen? Ist es das, was wir für ein friedliches Zusammenleben brauchen, ein paar Millionen mehr Deutsche? Sind die Protestler und Nestbeschmutzer nur eifersüchtig auf ihre Deutsche Nationalität oder fürchten die sich nicht vielmehr vor ganz anderen Dingen? Dabei hat die Kanzlerin gerade einen bemerkenswerten Paradigmenwechsel hingelegt, mitten im Satz! Wir helfen zukünftig nicht mehr syrischen Kriegsflüchtlingen sondern „Neubürgern beim Deutschsein“. Hat sie erkannt, dass aus dem syrischen Kriegsflüchtling durch dessen gefahrvolle Weiterreise nach Deutschland Wirtschaftsflüchtlinge wurden? Sicher hat sie das. Aber da wir in Deutschland Wirtschaftsflüchtlinge seit Jahrzehnten nur sehr selektiv aufnehmen, hat die Kanzlerin sie in ihrer Neujahrsansprache kurzerhand eingebürgert und damit schon wieder ihre Kompetenzen selbstherrlich überschritten. Leider nicht zum ersten mal in diesem Jahr, angesichts der vorgerückten Stunde aber sicher zum letzten mal.

Ausblick 2016

Opposition bildet sich in Politikfeldern, auf denen es überhaupt noch oppositionelle Sichtweisen gibt. Wenn ausnahmslos alle Parteien des Parlaments ihre Fähnchen unreflektiert in dieselbe Richtung schwenken, nährt das zwangsläufig den Populismus in Europa, rechten wie linken. Ob hinter dieser bedenklichen Bewegung auch wirklich immer eine Gesinnung steckt, steht zum Glück nicht fest. Gerade kann man in Polen sehen, dass die Wähler ein böses Erwachen haben und mit ihrer Wahlentscheidung zu hadern beginnen. Vielleicht ist es aber der überfällige Weckruf für die bürgerliche Mitte in Europa, deren Parteien uns allesamt seit Jahren nur Alternativloses verkaufen. Die Wähler in Österreich, Spanien, Frankreich und Polen sagten jedenfalls schon mal „Alternativlos? Das wollen wir doch mal sehen!“

Wenn im Frühling das Mittelmeer Schlauchbootpassagen wieder möglicher macht und das Wetter auf dem „Balkan-Carmino“ sich bessert, wird es die nächsten Wellen von Flüchtlingen an die Tore des gelobten deutschen Landes spülen. Hunderttausende Menschen, die 2015 bei uns angekommen waren und dann immer noch in provisorischen Unterkünften festhängen, werden spätestens dann unruhig. Ich mag mir nicht ausmalen, was dann alles passieren wird. Aber vielleicht wird sich ja Griechenland melden und uns ganz leise daran erinnern, dass es immer noch faktisch Pleite ist und viele seiner Bürger unter schlimmeren Bedingungen leben müssen, als jeder syrische Flüchtling in Deutschland. Vielleicht werden wir uns ja von den Finnen verabschieden müssen, die mittlerweile die Nase gestrichen voll haben vom Euro. Vielleicht wird Frau Merkel dann vor die Presse treten, ihre zehn Mittelfinger zur Raute formen und sagen, dass Finnland für Deutsche Urlauber zwar nie ein beliebtes Reiseziel war, aber wir nun wenigstens in Helsinki wieder mit der Mark bezahlen können, nämlich der Finn-Mark. Und Sigmar Gabriel wird vermutlich über den gelungenen Scherz lachen.

Vielleicht wird sich aber auch mal jemand an Merkels CDU-Parteitagsrede von 2015 erinnern, in der sie folgenden absurden Vergleich machte: „Politik ist wie Fahrrad fahren – wenn man stehen bleibt, fällt man um“ und ihr erwidern:

„Man kann ein Fahrrad abbremsen, aus dem Sattel steigen, ein Bein zur Seite stellen und anhalten, Frau Merkel. Und dann kann man zum Horizont blicken und entscheiden, wohin man eigentlich radeln möchte und fragen, ob den Mitradelnden Richtung und Geschwindigkeit passen. Wer ein Fahrrad nicht anhalten will, versucht zu vertuschen, dass er/sie es nicht fahren kann. Und wie beim Fahrrad fahren ist es auch in der Politik.“

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Sandra Schleicher

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