Die Party ist vorbei: Über die Diktatur der Angepassten

Unlängst verschlug es mich zu fortgeschrittener Stunde auf eine Festivität, bei der alkoholische Erfrischungsgetränke ausgeschenkt und rhythmische Musikstücke aus der Konserve gespielt wurden. Das Gros der Gäste war zwischen 20 und 27 Jahre alt, also sehr jung, freundlich aussehend und würde sich selbst wohl als kulturinteressiert und politisch unscharf als „linksliberal" bezeichnen. Sie mögen Bioläden und Wochenendtrips. Außerdem finden sie Toleranz und Gerechtigkeit ziemlich gut. Wahrscheinlich wählen 90 Prozent grün. Eine typische Abendveranstaltung an einem Freitag der mittleren Zehnerjahre in einer Großstadt irgendwo in Europa. Und dennoch: Nach einiger Zeit beschlich mich ein seltsames Gefühl: Hier stimmte doch etwas nicht.

Da war zum einen die Mode. Fast alle anwesenden Frauen trugen asymmetrische Haarschnitte und Kleider, die nur scheinbar aus einem Second Hand-Shop zu stammen schienen. Auch die Männer waren zeitgenössisch uniformiert. Der Fachmann weiß: Hipster-Look. Wobei dieser schwammige Begriff das normierte Elend nur ungenau beschreibt. Eher sahen die Jungs aus wie Laiendarsteller, die sich als Hipster verkleidet hatten, um bei einem RTL-Casting für eine Hipster-Reality-Doku-Soap vorstellig zu werden. Babyface, Vollbart, Hornbrille, Karohemd, Vorne-lang-hinten-kurz-Haarschnitt, ironisch gemeinte Tätowierungen und zu eng geschnittene Hosen. Ein junger Vollbarträger trug über der Schulter sogar einen weißen Stoffbeutel auf dem in schwarzen Blockbuchstaben „SELBER HIPSTER!" stand. Sozusagen die Parodie von der Parodie der Parodie.

Erstaunlicherweise widersprach die Uniformierung komplett dem nach außen getragenen Selbstbild des selbstbestimmten Weltenbürgers. In einigen beiläufig geführten Gesprächen erfuhr ich, dass man an „spannenden Projekten" arbeitete. Meistens „irgendwas mit Medien" zu tun habe. Wichtig sei „das eigene Ding durchzuziehen", hörte ich. Welches genau, weiß ich aber nicht mehr, da die gnadenlose Nettigkeit der Gespräche schnell meine Aufmerksamkeit verwelken ließ. Zu allem Überfluss gelang es mir auch nicht, diversen Gesprächsfetzen aus meinem unmittelbaren Wahrnehmungsradius auszuweichen. Da waren etwa zwei Mittzwanziger, die sich zuerst über Laufbekleidung unterhielten und anschließend noch vegetarische Kochrezepte austauschten, während sie gleichzeitig irgendwas am Handy machten. In diesem Moment zog mein Gehirn endgültig die Reißleine und schaltete auf Stand-by. Und nur damit kein Missverständnis aufkommt: Ja zur passenden Funktionskleidung bei körperlicher Ertüchtigung! Ja zur fachgerechten Zubereitung von fleischlosen Speisen! Aber nein zu jungen Selbstoptimieren, die sich ohne Not und 15 Jahre zu früh ins Neo-Biedermeier katapultieren.

Das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, verstärkte sich, je länger der Abend dauerte. Hier ist auch niemand betrunken, dachte ich irgendwann erschüttert, blickte schnell auf meine Armbanduhr und vergewisserte mich, dass es schon 1.30 Uhr früh war. Ein spärlich ausgeleuchteter Raum weit nach Mitternacht voll junger Menschen, lauter Musik und bewusstseinsverengenden Getränken? Die idealen Rahmenbedingungen also für gepflegte Ausschweifungen, möchte man als Mitglied einer eher erlebnisorientierteren Generation meinen. Doch weit gefehlt. Statt naivem Lebenshunger war hier nur abgeklärte Gleichgültigkeit. Statt sexueller Aufladung nur ausladende Unverbindlichkeit. Statt galoppierendem Kontrollverlust nur schaumgebremste Harmlosigkeit. Die Armen, dachte ich mir. Müssen morgen wahrscheinlich früh raus. An ihren Projekten weiterarbeiten. Einen drohenden Abgabetermin einhalten und so weiter.

Zugegeben, ein paar Anwesende tanzten zu aktueller Musik. Diese klang aber sehr bemüht so, als wäre gerade 1981 und nicht 2015. Aber nicht nur die Musik, auch die Tanzenden waren fake. Zu angestrengt bemühten sie sich, den anderen Gästen gestenreich zu vermitteln, dass ihnen das alles eigentlich irgendwie peinlich ist. Die ironische Distanz als kleinster gemeinsamer Nenner einer ganzen Generation? Zumindest ist sie – zwinker, zwinker! – tanzbar. Und dann dämmerte es mir: Nein, das hier ist keine Party. Das hier ist die Simulation einer Party. Eine Simulation, die wohl den einzigen Zweck hat, später die Social Media-Accounts der Gäste fototechnisch zu befüllen.

Irgendwann wurde ich dem blutleeren Nicht-Spektakel überdrüssig  und ging nach Hause. Am Heimweg ließ ich den Abend noch einmal Revue passieren. Das war sie also, die neue Langeweile. Die früh gealterten Jungen. Die Generation Nett. Oder irrte ich mich? Blickte ich mit derselben ärgerlichen Ignoranz auf die Jungen, wie es Ältere seit jeher tun? War diese aufreizende Harmlosigkeit der Jungen gar nur vorgeschoben. War sie vielleicht so etwas Ähnliches wie eine kulturelle Strategie, mit der das System geschickt unterwandert werden kann? Schafft eins, zwei, drei viele Einpersonen-Unternehmen?

Ich wischte diese absurden Gedanken rasch vom geistigen Tisch und fällte mein Urteil: Die Diktatur der Angepassten hat gesiegt. Huxleys brave, neue Welt ist Realität. Den Affirmationsfanatikern gehört der Morgen. Und morgen beginnt die große Leere.Als ich meine Wohnungstür aufsperrte, begann sich der strenge Geruch des Kulturpessimismus zu verflüchtigen. Und plötzlich umschmeichelte mich ein tröstlicher Gedanke: Wird schon nicht so schlimm werden. Und überhaupt: Mir kann das alles sowieso egal sein! Mich kriegen sie nicht mehr! Dann ging ich rasch ins Bett. Denn am nächsten Tag musste ich früh raus. Noch was fertigschreiben. Abgabetermin übermorgen. Sie kennen das ja.

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