»Zwei Dinge sind unendlich«, beginnt ein Zitat, das gemeinhin Albert Einstein zugeschrieben wird, »das Universum und die menschliche Dummheit, aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher«. Wie treffend dieses Bonmot auch heute noch ist, zeigt nicht zuletzt so mancher Kommentar zu den European Maccabi Games, einem jüdischen Sportfest, das in diesen Tagen in Berlin stattfindet. Und damit sind nicht nur die widerwärtigen Sprüche und Drohungen deutscher Neonazis gemeint, sondern auch Äußerungen, die von eher im Spektrum der Linken zu verortenden Dichtern und Denkern stammen. »Makkabi = GroßJüdische Weltfestspiele, Nicht-Juden bitte draußen bleiben? Was soll das? Hört sich irgendwie rechtsradikal an«, tat beispielsweise einer aus dem Umfeld der Piratenpartei via Twitter vor Kühnheit zitternd kund – und bewies damit auch aufs Schönste, dass man keine Ahnung zu haben braucht, um zu allem eine Meinung in die Welt zu plärren.

Nicht viel besser ist das, was die ungleich bekanntere Silke Burmester, Kolumnistin für die taz, die Zeit und die Journalisten-Fachzeitschrift Medium Magazin, über den gleichen Kanal von sich gab. »Was bitte sind ›jüdische Sportfestspiele‹? Haben Juden seit 36 ein eigenes Olympia?« – das war es, was ihr zu der Nachricht einfiel, dass die geistigen Nachfolger der deutschen Judenfeinde, die vor 79 Jahren die Olympischen Spiele in der deutschen Hauptstadt zur nationalsozialistischen Propagandashow machten, heute die Makkabiade bedrohen, die im Sportpark am Berliner Olympiastadion ausgetragen wird. In einem weiteren Tweet schrieb sie: »›Der jüdische Sport ist in Berlin wieder angekommen‹, heißt es in @ZDFheute. Was soll das sein? Hakenkreuzweitwurf?« Ein Brüller, ein echter Schenkelklopfer, ein Judenwitz von links, sozusagen. »Ich verstehe, wenn nicht alle meinen Tweet zum ›jüdischen Sport‹ gelungen finden«, versuchte Burmester ihre Kritiker später großmütig zu beschwichtigen. »Ich hätte nur gern eine Welt jenseits der Zuordnungen.« Und mit der Verwirklichung dieser Sehnsucht fängt man, na klar, am besten bei den Juden an.

Was die Lehrerin für »Kreatives Schreiben« geflissentlich ignoriert, ist, dass es just solche »Zuordnungen« waren (und sind) – antisemitische nämlich –, derentwegen es zur Gründung jüdischer Sportvereine und schließlich zur Makkabiade kam. Denn bereits Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Juden immer stärker aus den Turn- und Sportvereinen gedrängt oder gar ausgeschlossen, was die Notwendigkeit eigener Vereine zunehmend dringlich machte (wie auch die Gründung eines jüdischen Staates – also jüdische Souveränität – angesichts des nicht enden wollenden Antisemitismus mehr und mehr an Dringlichkeit gewann). So entstanden Klubs mit Namen wie Hagibor (Held), Hakoah (Kraft) oder Bar Kochba (nach dem Anführer eines Aufstandes gegen die Römer im ersten Jahrhundert). Die Vereinsbezeichnungen und das damit verbundene Selbstverständnis spiegelten jüdisches Selbstbewusstsein wider, sie machten deutlich, dass man sich vom zunehmenden Hass nicht unterkriegen lassen würde – und dass man nicht länger bereit war, sich den Launen der Mehrheitsgesellschaft auszuliefern.

Es blieb nicht bei der sportlichen Selbstorganisation auf nationaler Ebene: 1921 wurde auf dem zionistischen Weltkongress die Gründung einer weltweiten Makkabi-Bewegung beschlossen, die fortan alle vier Jahre sportliche Wettkämpfe für Juden aus aller Welt in Palästina ausrichten sollte. Vom 28. bis zum 31. März 1932 – exakt 1800 Jahre nach dem Beginn des Aufstandes von Bar Kochba – fand die erste Welt-Makkabiade in Tel Aviv statt, mit 390 Teilnehmern aus 18 Nationen und 20.000 Besuchern. Die europäischen Makkabiot gibt es schon seit 1929, die Premiere ging in Prag über die Bühne. Nach der Shoa dauerte es jedoch bis 1959, ehe es wieder zu den jüdischen Sportfestspielen in Europa kam. Dass diese Spiele nun in Deutschland stattfinden, ist ein Novum und war in der Makkabi-Bewegung nicht unumstritten. Es habe Skepsis gegen den Veranstaltungsort Berlin gegeben, sagt Alon Meyer, der Präsident des Dachverbands Makkabi Deutschland. Ältere Makkabi-Aktive hätten es für verfrüht gehalten, nach Deutschland zu gehen, solange es Holocaust-Überlebende gebe.

Für Vorbehalte hätten jedoch auch ganz aktuelle Gründe gesprochen. Allein im vergangenen Jahr gab es in der deutschen Hauptstadt fast 200 antisemitische Straftaten. Die Eröffnungsfeier der Maccabi Games, die eigentlich am Brandenburger Tor geplant war, wurde aus Sicherheitsgründen nach Charlottenburg auf die besser zu schützende Waldbühne verlegt, wie Die Welt berichtet. Die Sportler sind in einem Hotel in Neukölln untergebracht, das sich zwar gut abschirmen lässt, aber nur wenige hundert Meter von der Al-Nur-Moschee, einem Treffpunkt von Islamisten, entfernt liegt. Den Teilnehmern der Makkabiade wurde daher ein Katalog mit Verhaltensregeln in die Hände gedrückt. Darin heißt es unter anderem, die Athleten sollten »nicht als jüdische Gruppe erkennbar« durch »sensible Gebiete Berlins« laufen, keine Kippot tragen und am besten das Taxi benutzen. Kurz: Sie sollen sich in Deutschland anno 2015 am besten unsichtbar machen. Kein Wunder deshalb, dass sich die Organisatoren nicht auf die deutsche Polizei verlassen, sondern einen Sicherheitsdienst engagiert haben, der vom israelischen Geheimdienst Shin Bet unterwiesen wird.

Für die jüdischen Sportvereine in Deutschland gehört der Antisemitismus zum Alltag. Mal kommt er von Neonazis, mal von Muslimen, mal aus der vielbeschworenen Mitte der Gesellschaft, beispielsweise, wenn Sportfunktionäre behaupten: »Die Juden haben doch Geld, für euch ist es doch einfacher als für andere Vereine«, wie Alon Meyer berichtet. Und dann sind da eben noch Linke wie Silke Burmester, die bei Angriffen gegen ein jüdisches Sportfest im postnazistischen Deutschland nicht etwa den Antisemitismus kritisiert, sondern vielmehr, dass Juden eigene Wettkämpfe austragen, dort etwas anderes veranstalten als »Hakenkreuzweitwurf« und überhaupt Burmesters schöner »Welt jenseits der Zuordnungen« im Weg stehen. In einer nachgeschobenen Erklärung beteuert die Kolumnistin, es tue ihr leid, nicht »beachtet« zu haben, dass »der Verbund von SportlerInnen jüdischer Herkunft ein Ergebnis der Diskriminierung« sei. »In der Welt, wie ich sie anstrebe, sind die Maccabie [sic!] Games nicht nötig«, schreibt sie. Und sagt damit in der Konsequenz nichts anderes, als dass in ihrer Welt kein Platz für jüdisches Selbstbewusstsein und jüdische Souveränität ist.

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