Vor etwa fünf Monaten schrieb ich hier, Russland habe den Krieg gewonnen. Ungefähr zu der Zeit unternahm die Ukraine ihre letzte bedeutsame Gegenoffensive, welche Hoffnungen einer Wende im Konfliktgeschehen hochkommen liess. Bei genauerer Betrachtung war allerdings offensichtlich, dass diese Wende extrem unwahrscheinlich war. Seither sind Monate eines brutalen Zermürbungskrieges sowie eines langsamen aber stetigen Vormarsches auf die wichtigsten ukrainischen Befestigungen in und um die Stadt Bachmut vergangen. Inzwischen ist die Stadt Bachmut, welche einstmals in den westlichen Medien als wichtigster strategischer Knotenpunkt in der Donbass-Region, und nun urplötzlich als "strategisch bedingt bedeutsam" eingestuft wird, praktisch umzingelt. Selenski lässt allerdings, entgegen jeder augenscheinlichen Logik, seine Truppen diese Stellung halten. Er selber spricht davon, dass Bachmut eine "offene Strasse durch die Ostukraine" darstellen würde.

Die ukrainischen Streitkäfte sind derweil allem Anschein nach weitgehend am Ende ihrer Kapazitäten. Im Internet kursieren zahlreiche Videos welche zeigen, wie aufgebotene, teils sehr junge oder auch betagtere Männer von den Musterungsoffizieren verschleppt werden. Ein solcher Volkssturm zeugt von kritischem Mangel an trainierten Truppen, oder gar Freiwillige mit militärischer Ausbildung. Auch bietet eine solche Situation keine Zeit mehr, um die Truppen auch nur grundlegend zu trainieren.

Ebenfalls fehlen, trotz der Waffenlieferungen durch westliche Staaten, welche aufgrund der Erschöfpung der Vorräte immer magerer werden, Waffen wie auch Munition. Selbst die pro-Ukrainischen Medien wie The Kiev Independent können diese Situation nur noch schwierig schönreden.

Dies bedeutet nicht, dass auszuschliessen sei, dass die Kampfhandlungen noch Monatelang andauern könnten, zumal die Ukrainische Führungsebene immer wieder unter Beweis stellt, dass sie kein Problem damit hat, wie eben hier in Bachmut, ihre Truppen der sicheren Niederlage auszusetzen, nur um das unvermeidbare zu verzögern; oder auch in den sukzessiven Mobilisierungen ihre Bevölkerung massenhaft gegen deren Willen an die Front zu schicken. Manch einer mag hier erwidern, dass Russland ja ähnlich agiere, was sicherlich sein mag, jedoch ein nichtiges Argument ist: Während ein Teil der westlichen opinion publique sich ganz und gar hinter die Ukraine stellt und verkündet dass unsere sog. "westlichen Werte" dort verteidigt werden, steht dieser Position nicht eine pro-russische Position gegenüber, sondern grösstenteils eine der Gleichgültigkeit, welche sich eben hinter keine der Kriegsparteien stellen möchte, und welche auch nur bedingt (wenn überhaupt) bereit ist, den eigenen Wohlstand für die nicht-kriegerische Unterstützung der Ukraine (Sanktionen, usw.) zu opfern.

Jüngst ist jetzt die Publizierung durch die New York Times eines Berichtes hinzugekommen, welcher dann von den deutschsprachigen mainstream-Medien aufgegriffen wurde, der behauptet, eine "Pro-Ukrainische" Gruppe habe den Anschlag an der Nordstream-Pipeline durchgeführt. Dass ein Bericht, welcher sich auf Informationen der US-Geheimdienste stützt, eine alternative Version präsentiert zu den Ausführungen in Seymour Herschs ausgiebigem Artikel, welcher die USA als Drahtzieher aufzeichnete, ist nicht gerade verwunderlich. Doch es lässt den Gedanken aufkommen, vor allem wenn man die darauffolgende deutsche Berichterstattung betrachtet ("Spuren führen in die Ukraine"), dass man die Ukraine nun zum Sündenbock für den Anschlag macht, und damit auch den Willen von Politik und Bevölkerung zur fortlaufenden Unterstützung untergräbt.

In der Ukraine selber ist die Gesamtsituation derzeit auch alles andere als rosig, etwas was gerne unter dem Kriegsgejubel vergessen geht. Die Ukraine ist faktisch bankrott und der wirtschaftliche Kollaps kann derzeit nur durch kontinuierliche finanzielle Unterstützung durch den Westen abgewendet werden. Hinzu kommt ein Schuldenberg, zumal viele der Waffenlieferungen durch die USA nicht umsonst getätigt wurden, sondern über das sog. "lend-lease programme", welches vorsieht, dass das Material entweder zurückgegeben wird oder, falls es zerstört werden sollte, zurückbezahlt wird. Dieses Programm wurde erstmals während des zweiten Weltkrieges angewandt, woraufhin die Sovietunion bis 1972 diese Schulden abbezahlte, und Grossbritanien bis 2006 Zahlungen tätigte.

Zu den Schulden hinzu kommt der Verlust der wirtschaftlich produktiven Regionen der Ostukraine, weitreichende Zerstörung der Infrastruktur durch Russische bombardierung über das ganze Land, der Verlust abertausender Männer im erwärbsfähigen Alter, wie auch die Flucht von Millionen ihrer Einwohner, von welchen sicherlich nicht all zu viele in das halb zerstörte und tief verschuldete Land, welches schon zuvor eines der ärmsten Länder Europas war, werden zurückkehren wollen. In den Medien wird zumal über die Möglichkeit eines "Marshall-Plans" für die Ukraine gesprochen, womöglich durch die beschlagnahmung eingefrohrener russischer Vermögen, was letztlich Piraterie gleichkäme. Ferner ist fraglich, wie viel Bereitschaft vor allem die angeschlagene EU-Wirtschaft zeigen, da sich hinter den Jubelparolen ein immer grösser werdender Unmut aufgrund der Wirtschaftsflaute und anhaltend hoher Inflation breit macht. Es ist sicherlich nicht auszuschliessen, dass eventuell, nach beendigung der Kampfhandlung, grosser Druck gemacht würde, die Rumpf-Ukraine in die EU einzuschleusen, um somit einen Garanten für die Schuldenbegleichung auf Kosten der onehin schon deprimierten EU-Wirtschaft zu finden. Dies ist zwar nur eine Hypothese, doch der Wunsch, die Ukraine in die EU Aufzunehmen, wurde mehrmals sowohl seitens der Ukraine wie auch der EU geäussert.

Selbst unter den glühendsten Verfechter der Ukraine sind die Stimmen, welche noch die Möglichkeit eines Ukrainischen Sieges aussprechen, rar geworden. Und wenn, dann schwadronieren sie über massenhafte hyptotetische Lieferungen von Kriegsmaterial, welche angesichts des inzwischen sehr begrenzten Willens für weitere Waffenlieferungen, wenig mehr als Wunschträume sind, zumal auch einfach das Personal fehlt, um welche Waffen auch immer Sinnvoll anzuwenden. Angesichts der Wahlen in den USA 2024 richtet dort die Politik nach und nach ihre Augen nach China, wo ein weiterer Stellvertreterkrieg zwischen China und Taiwan nur noch eine Frage von "wann" und nicht "ob" ist. Die Ukraine ist das kaputte Spielzeug, dass die sog. "War-Hawks" nicht mehr interessiert.

Die einzige grosse Frage, die sich derzeit realistischerweise noch bezüglich des Ukraine-Krieges stellt, ist wie sich das Ende von diesem gestalten wird. Politisch ist der Westen so sehr in den Konflikt investiert, dass Verhandlungen mit Russland, wie vor einem Jahr in Istanbul, schwer der Bevölkerung beizubringen wären. Ebensowenig wird Russland einen Waffenstillstand ohne klare Konditionen akzeptieren, nachdem Angela Merkel in einem Interview vor einiger Zeit bereits äusserte, dass die Minsker Abkommen nur eine Finte waren, um Zeit zu gewinnen, die Ukraine aufzurüsten. Solche Äusserungen erodieren das Vertrauen, welches für eine diplomatische Lösung notwendig wäre.

Doch letztendlich sind die Unterstützer der Ukraine im Westen auch nicht an einer diplomatischen Lösung interessiert, was womöglich auch einer der Gründe ist, warum die Ukraine weiterhin versucht, unhaltbare Stellungen zu halten. Es wird gekämpft bis zum letzten Ukrainer. Und dann... ja, was dann?

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