Der verzweifelte Blick des Mitläufers: das Kernproblem der Demokratie

Gestern saß ich in einer angenehmen Runde als einer der Leute am Tisch etwas sagte das ihm wohl in den vergangenen Tagen an der Uni Zustimmung einbrachte. Ich muss es nicht wiederholen, es reicht es als „harsche Israelkritik“ zu bezeichnen. Seine Aussage war gefolgt von einem Wandern seiner Augen, von einem Gesicht zum anderen. Keiner nickte, keiner stimmte zu. Keiner verzog eine Mine. Ich schüttelte sanft den Kopf. Sein Kopf machte erneut eine Runde, seine Mundwinkeln gingen herunter und man konnte recht gut das „Was zum Teufel passiert hier gerade? Warum lobt mich keiner?“ in seinem Gesicht ablesen.

Ich verurteile ihn nicht. Er sagte nicht was er sich denkt, er wiederholt einfach nur Dinge von denen er dachte dass sie ihn beliebt machen. Das ist normal für Mitläufer und die meisten Menschen sind die meiste Zeit Mitläufer. Die Gruppe bringt Sicherheit, sich der Gruppe anzupassen ist wichtig und daher wird er so etwas in eben dieser Gruppe nie wieder sagen, weil er eben keine Gutpunkte damit sammeln konnte.

Das Problem an der Sache ist, dass es nichts bringt mit solchen Leuten zu argumentieren. Diese Leute sind nicht von dem was sie sagen überzeugt. Sie sagen eben einfach was sie für akzeptabel halten und wenn sich ihre Einschätzung ändert, ändert sich was sie sagen und sie werden darauf pochen, dass sie „eigentlich schon immer der Meinung waren, dass“.

Das passiert aber nicht weil sich ihre Weltsicht ändert, sondern weil alle rund um sie plötzlich andere Sachen sagen. Also sagen sie das Gleiche: die Welt habe sich dann "geändert".

Die Realität der Gesellschaft ist, dass zwar jeder eine Meinung vertritt aber nur ein Bruchteil der Menschen eine Meinung hat.

Dieser Umstand führt aber zu einem gesellschaftlichen Problem, wenn jeder wählen darf.

Als Faustregel kann man grob von 2/3 Mitläufern ausgehen. Wenn die Mitläufer in der Gesellschaft eine 2/3 Mehrheit haben bedeutet das, dass ein winziger Teil der Bevölkerung, jener Teil der die Masse lenken kann, bekommt was er will.

Wenn die „Stimmung kippt“ bedeutet das nicht viel mehr als dass die Mitläufer einem neuen Alphatier nachrennen. Warum dieser Wechsel passiert ist nicht immer völlig nachvollziehbar, es passiert eben.

Was bedeutet das für die Demokratie? Ist sie schlecht? Müssen wir sie durch etwas anderes ersetzen?

Nein.

Sie ist noch immer die beste Option.

Die Masse wird zwar immer wieder Idioten nachlaufen, sie hat aber die Möglichkeit aufhören auf die Klippe zu zulaufen indem sie einem anderen Büffel nachrennt, der nicht zur Klippe läuft.

Oftmals dreht der alte Alpha dann um (und reiht sich als Mitläufer ein) und hüpft nicht stur die Klippe herunter. Die Masse läuft zwar mit, die Entscheidung "wem laufen wir nach" hat aber Bedeutung.

Dass der Neue dann zur nächsten Klippe rennt ist keine Seltenheit und alle paar Generationen stürzt die Hälfte der Herde die Klippen herunter weil sie einem besonders charismatischen Idioten in den Abgrund folgen. Auch das ist normal.

Ist das beschriebene Problem lösbar? Nicht wirklich. Aber man kann es akzeptieren und in sein Weltbild integrieren. Vieles wird dann verständlicher, insbesondere die völlig Unfähigkeit der Mitläufer solche Zusammenhänge zu verstehen.

5
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Zaungast_01

Zaungast_01 bewertete diesen Eintrag 18.10.2023 15:01:20

Beate K.

Beate K. bewertete diesen Eintrag 17.10.2023 21:00:56

Matt Elger

Matt Elger bewertete diesen Eintrag 17.10.2023 20:51:18

invalidenturm

invalidenturm bewertete diesen Eintrag 17.10.2023 19:21:32

Aron Sperber

Aron Sperber bewertete diesen Eintrag 17.10.2023 08:29:52

3 Kommentare

Mehr von Angus