Jeder kennt Twitter aber kaum jemand benutzt es aktiv. Dennoch übersetzen sich Trends auf Twitter unmittelbar in Konsequenzen in der wahren Welt. Der Mechanismus dahinter ist interessant.

Menschen suchen Quellen die sie in ihren Ansichten bestätigen und diese Suche war noch nie so einfach wie in unserer Zeit. Es gibt für mehr oder weniger jede Ansicht einen Platz im Internet und egal was für haarsträubende Dinge man glaubt, man wird Menschen finden die einem zustimmen. Aus dieser Zustimmung entsteht die feste Überzeugung dass die restliche Welt einem ohnehin zustimmt und man Teil einer soliden Mehrheit ist. Fast jeder in einem Pferdeforum wird daher glauben dass alle Menschen auf der Welt Pferde lieben oder dazu gebracht werden können diese wunderbaren Geschöpfe so zu sehen wie sie selber. Welche Menschen angezogen werden definiert derjenige der das Forum macht.

„IchliebePferde.at“ wird Menschen anziehen die Pferde mögen und Menschen denen Pferde egal sind werden sich dort nicht einfinden.

Twitter ist genau so etwas nur in einem deutlich größeren Umfang. Twitter lockt in erster Linie Menschen an die in Schlagworten und Phrasen kommunizieren und eine Aversion gegen langgezogene Argumentationen haben. Dazu kommt ein klar sozialistischer Einschlag, vorwiegend durch den Gründer und CEO Jack Dorsey der aus seiner Überzeugung „für das Richtige zu kämpfen“ noch nie ein Geheimnis gemacht hat.

Und das ist, wohlgemerkt, sein gutes Recht, genauso wie es das Recht eines Pferdeliebhabers ist eine Seite für Pferdeliebhaber zu machen und jeden rauszuwerfen der Pferde lieber am Teller als unter dem Sattel hat.

Twitter macht also grundsätzlich nichts Falsches wenn die eine politische Seite unterstützen und die andere hindern, etwa indem man Trump sperrt aber der linken Gruppen gestattet die nächste Runde Brandschatzung zu koordinieren.

Und wie gesagt: das ist ihr gutes Recht. Das Resultat ist eben dass der nicht-linke Flügel zu Alternativen abwandert.

Die Benutzer von Twitter sehen aber Twitter als den modernen Speaking Corner, einen Platz an dem jeder sagen kann was er möchte und damit als eine akkurate Repräsentation der Welt, genauso wie Wikipedia die Summe allen Wissens wäre (was genauso falsch ist).

Wenn etwas passiert, dann landet es ja auf Twitter. Oder?

Journalisten erkannten vor etwa 10 Jahren dass sie niemals rechtzeitig einen Reporter vor Ort haben konnten und so wurde begonnen einfach Twitter als eine Form von Vorortreporter zu akzeptieren.

Damit wurde der Journalismus, ironischerweise, zunehmend zu einem Sprachrohr von Twitter. Die Massenmedien hingegen werden von der Politik als akkurate Darstellung der Welt verstanden und so bestimmen heute Twitteruser was die Weltpolitik macht.

Blöderweise sind die meisten Menschen nicht auf Twitter und wenn sie sich anmelden und sagen was sie sich wirklich denken sind sie rasch nicht mehr auf Twitter.

Eine interessante Casestudie stellt die amerikanische Comicbuch Industrie dar.

Seit eben etwa 10 Jahren versuchte die Industrie Twitter zu begeistern und ist nun an einem Punkt an dem keiner der Top 10 Comics für Erwachsene mehr ein amerikanisches Produkt ist. Die Comicbuchleser kaufen die hochgepriesenen Bücher nicht. Die kaufen jetzt Manga. Aber warum?

Eine Studie fand heraus dass nur 10% der Leser von Comics einen Twitteraccount haben und nur die Hälfte davon diesen Account überhaupt benutzen. 95% ihrer Kunden benutzen also Twitter nicht und das legt nahe dass diese Mehrheit eben die dort vorherrschende Meinung nicht teilt.

Das war für den Verlage der diese Studie in Auftrag gab ein Schock, dachte man doch dass es in Ordnung wäre „die alten Kunden“ zu verlieren um die „breite Masse“ die sich auf Twitter manifestierte zu erobern. Blöderweise ist diese vermeintliche Mehrheit eine kleine, aber sehr laute, Minderheit. Und diese Minderheit kauft keine Comic Bücher, sie feiern nur wenn die Macher eben wieder einen Jahrzehnte alten Superhelden demütigen oder in einer Art verändern die den Twitterusern gefällt. Aber wie gesagt: das übersetzt sich nicht in Verkaufzahlen sondern in rote Zahlen.

Ebenso übersetzt sich die von Twitter geprägte Politik nicht in Zustimmung beim Wähler.

Twitter ist eine Echkammer in der man seine eigene Meinung bestätigt bekommt. Das Gleiche gilt für Gab oder Mastodon, nur eben anders.

Das wirkliche Problem ist nicht Twitter. Das Problem ist der Fokus des Journalismus auf Twitter und die damit verbundene Reduktion der Qualität, sowie der hartnäckige Glaube der Politik dass man aus der Zeitung ablesen kann was in der Welt passiert und die Menschen wollen.

Es scheint aber ein langsames Erwachen zu geben, zuerst in den Firmen und irgendwann vermutlich auch in der Politik dass Twitter eben genauso repräsentativ für die Welt ist wie www.Ichliebepferde.at

PCMag PCmag.com

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Tourix bewertete diesen Eintrag 23.06.2021 00:00:57

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