Ich muss gestehen, dass ich einige Jahrzehnte gebraucht habe um Sport im Fernsehen zu verstehen. Warum sieht man Leuten zu die einen Ball herumtreten? Fußball selber zu spielen ist witzig aber warum sollte ich jemanden dabei zusehen anstatt die gleiche Zeit mit einem Film oder einer Serie zu verbringen der mein Gehirn etwas mehr kitzelt? Ich fand das eben immer eher langweilig.

Die Erkenntnis erwischte mich nachdem ich gut 60 Stunden drei Teams beim Computerspielen zugesehen habe. Sowas macht die Zugfahrt etwas erträglicher. Das nämliche Spiel nennt sich Space Engineers und ist recht komplex aber für uns reicht zu verstehen, dass Leute Materialen sammeln, Raumschiffe damit bauen und dann mit den Raumschiffen aufeinander schießen.

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Der Witz an der Sache ist, dass in diesen 60 Stunden grob 5% der Zeit geschossen wurde. Das Kämpfen war nicht der Teil der mich motivierte auf [Next Video] zu klicken, sondern die absolute Ungewissheit wie die Sache ausgeht.

Bei drei Teams denen man über die Schulter schauen kann liegt die Chance, dass man auf den Verlierer setzt bei 67%. Sieht man hingegen Captain Kirk dabei zu wie er sich einer Herausforderung stellt ist die gleiche Chance relativ genau 0%.

Im Film und in der Serie gibt es Setbacks, Verluste aber am Ende gewinnt dann doch fast immer der Hautdarsteller beziehungsweise die Gruppe oder Fraktion die als die „Guten“ gelten.

In Battlestar Galactic sterben zwar 99% aller Menschen in der Galaxie bereits im Pilotfilm und die Sache sieht durch die Serie stets düster aus aber es ist völlig klar, dass die Serie nicht damit enden kann, dass ein Zylone dem letzten Menschen das Genick bricht. Wir wissen, vom Pilotfilm angefangen, dass die Sache gut ausgeht. Sie ist dennoch spannend, weil unklar ist wer es bis zur Ziellinie schafft, aber dass das Team es schafft ist garantiert.

Diese Gewissheit existierte weder im Fußball- noch im kompetitiven Computerspiel.

Nachdem ich mein Team gewählt hatte mit dem ich mitfiebern wollte wusste ich, dass die Chance, dass sie verlieren extrem hoch war. Im Film bahnt sich die Katastrophe an, wir haben Vorschatten, Musikuntermalung, dezente Hinweise die den Zuseher vorbereiten und dann passierts!

Aber irgendwann kennt man diese Stilmittel und kann Vorhersagen was passieren wird. Im Stream ist das nicht so. Schlachten im Spiel sind nicht aufregend und voller Wendungen, sie sind überraschend, rasch und oftmals vernichtend. Persönliche Differenzen sind echt und müssen wirklich gelöst werden. Timing ist entscheidend. Serien und Filme machen oftmals den Fehler, dass die restliche Welt stillsteht während am Bildschirm etwas passiert. Das ist im Spiel nicht so.

Der Gegner wartet nicht darauf, dass man bereit ist.

Wenn die Gruppe sich entscheidet zu einem Asteroiden zu fliegen um Ressourcen zu holen und ihren größten Transporter schickt ist die Frage wie viele Leute sie zur Eskorte mitschicken und wie viele Leute neue Schiffe bauen nicht trivial. Wenn einem Schiff mitten im Kampf der Sprit ausgeht, weil man sich im Vorfeld dazu entschieden hat doch nicht zum Tankschiff zu fliegen, weil ein halber Tank „eh reicht“ dann kann das genauso fatale Konsequenzen haben wie, wenn besagtes Schiff im Kampf fehlt, weil es noch tanken geflogen ist.

Jede kleinste Entscheidung kann gigantische Konsequenzen haben und da der Produzent so gut wie keinen Einfluss darauf hat was passiert ist es für den Zuseher völlig unabsehbar was passieren wird. Damit ist jede Sekunde spannend, weil jede Sekunde etwas passieren könnte.

Und ich denke das ist etwas das die moderne Unterhaltungsindustrie vergessen hat. Alfred Hitchcock etwa betonte, dass die eigentliche Action keine Spannung bringt. Eine Bombe die explodiert ist unterhaltsam aber der eine Gruppe von Menschen die mit einer tickenden Bombe arbeiten muss ist um ein Vielfaches spannender und diese Spannung wird um das tausendfache fesselnder, wenn die Chance, dass die Bombe tatsächlich explodiert gegeben ist.

Diese Spannung fehlt in der modernen Unterhaltung. Der Superheld bekommt zwar Prügel aber sein Erfolg ist so gut wie garantiert und selbst wenn einer der Helden stirbt taucht er 2 Filme später oftmals wieder auf. Weil Spacemagie oder so.

Hier hingegen verbringt man 3 Stunden damit dem Team zuzusehen wie sie ein Schiff bauen, ständig in der Hoffnung, dass sie nicht aus heiterem Himmel überfallen werden und sie das halbfertige Schiff zurücklassen müssen. Dann ist das Ding fertig und es hat eine echte Bedeutung, wenn es schwer beschädigt oder gar verloren wird.

Wenn das Team fortschreitet und ältere Designs plötzlich obsolet werden ist es faszinierend zu beobachten wie versucht wird die Geräte nochmal zu modernisieren um dann irgendwann doch eingemottet oder verschrottet zu werden.

Es hat Bedeutung, wenn ein verdientes Schiff nach 15 Stunden schweren Herzens in den Ruhestand geschickt wird. Und mit diesen Entscheidungen kommen Konflikte, Debatten, persönliche Befindlichkeiten, persönliches Wachstum, echte Opfer und Menschen die über sich hinauswachsen, oftmals in einer Art und Weise die nicht wirklich absehbar ist.

Ist diese Art der Unterhaltung für alle geeignet? Nein. Absolut nicht.

Keine 2% der Bevölkerung würden diese spezifischen 60 Stunden unterhaltsam finden. Aber das ist nicht das Problem, weil es Millionen von Alternativen gibt.

Mir persönlich ist Fußball zu trivial aber ich verstehe warum Menschen den Faktor „Spannung“ darin schätzen. Nicht jeder der Fußball schaut tut das, weil der Ausgang unklar ist aber für viele ist das scheinbar durchaus ein Faktor und nicht jeder mag es gespannt mitzufiebern ob ein Plan aufgeht oder nicht. Was wir hier sehen ist eine nicht unbedingt neue Form der Unterhaltung, weil es prinzipiell nichts anderes ist als eine Sportübertragung, allerdings mit deutlich höherer Komplexität.

Ist diese Form der Unterhaltung die Zukunft? Nicht notwendigerweise, aber es ist eine interessante Ergänzung zu dem was schon da ist und eine Alternative insbesondere für Menschen die das garantierte Happy End entweder nicht brauchen oder es sogar als ein Problem sehen.

Es gilt hier zu erwähnen, dass diese Produkte nicht aus der etablierten Industrie kommen, sondern von einfachen Leuten erstellt werden. Es stellt sich die Frage ob sich daraus eine Industrie entwickeln kann, wie etwa bei der Sportübertragung, oder ob es bei Nischenprodukten bleiben wird.

In jedem Fall ist die Entwicklung interessant zu beobachten.

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Matt Elger

Matt Elger bewertete diesen Eintrag 12.01.2024 19:21:03

Jeff

Jeff bewertete diesen Eintrag 11.01.2024 19:53:50

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