Ein kurzer Juno in New York, ein langer Zina im Libanon

Es gibt ohnehin niemanden mehr, der es noch nicht mitbekommen hat: Der Sturm "Juno" fegt gerade über die US-amerikanische Ostküste und wütet vor allem in New York und auf der Ferienhalbinsel Lond Island. Seit Sonntagabend können wir aus der Ferne beobachten wie sich eine Metropole akribisch auf den Ausnahmezustand vorbereitet. Via Live-Ticker werden die zu erwartenden Schneefallmengen und die Dauer der U-Bahn-Sperren vermeldet. Fotos von ausgestorbenen Straßen, dick vermummten Menschen und Schlangen vor den Supermärkten gehen um die Welt. Journalisten erzählen, wieso sie lieber im Bett bleiben als vor die Haustüre zu gehen.

Man sollte annehmen, dass sich die New Yorker an Blizzards dieser Intensität gewöhnt haben. Seit 2003 hat die Stadt mehrere solcher Stürme erlebt, was vermutlich einiges über das sich verändernde Klima aussagt, aber das ist eine andere Geschichte. Vielleicht regt sich auch gerade deshalb aktuell Kritik. Kritik an der (vor allem in den USA) überzogenen Berichterstattung über einen Schneesturm in einer Wohlstandsstadt, den x-ten Schneesturm in einer bestens versorgten Stadt. Stattdessen solle man lieber über den Winter im Libanon reden und schreiben, fordert zum Beispiel Karim El-Gawhary, der Kairo-Korrespondent von ORF und "Presse" via Facebook. Der Winter kam auch dort plötzlich und mit einem Schneesturm, doch sein Name "Zina" hat längst nicht eine solche Bekanntheit erreicht wie sein New Yorker Bruder. UNHCR-Flüchtlingshelfer berichteten von Kindern, die barfuß knöcheltief durch Schlamm oder Schnee stapfen müssen, von Zelten, die unter der Schneelast zusammenbrachen und Notunterkünften, die vom Sturm abgedeckt wurden. Auch wenn die Temperaturen mittlerweile wieder leicht angestiegen und immer wieder Hilfspakete, auch von den Libanesen, angekommen sind, fehlt es an Decken und warmer Kleidung für die mehr als eine Million Menschen auf der Flucht. Die Medien berichteten auch über Zina, aber in anderer Intensität als über Juno. In kleinen Häppchen, in einfühlsamen Reportagen, mal da eine Geschichte, mal dort ein Spendenaufruf. Aber wie so oft bei humanitären Katastrophen lässt das Interesse der Öffentlichkeit an einem gewissen Punkt nach.

Dass sich die Menschen für den Schneesturm in New York so besonders interessieren, hat viele Gründe. Fast jeder war schon einmal in Manhattan, kennt die Stadt und kann sich ausmalen wie diese sonst so hektisch-pulsierende Metropole plötzlich gezwungen wird auf die Stopptaste zu drücken. Zudem wird es uns erleichtert, nach New York zu blicken, weil so viele Manhattaner uns an ihrem Alltag teilhaben lassen, die spektakulärsten und skurrilsten Fotos posten. Man kann fast nicht daran vorbeisehen.

Der Ruf nach einer verhältnismäßigen Berichterstattung an dieser Stelle ist gleichermaßen richtig wie naiv. Moderne Nachrichtenmechanismen kann man nicht mit ein paar Ordnungsrufen verändern. Kein großer Fernsehsender, keine Zeitung, keine Webseite wird sich nehmen lassen, über Juno zu berichten. Aber eines kann die Kritik doch tun: Uns in Erinnerung rufen, wohin wir unseren Blick wenden und uns einladen, die eigene Mediennutzung zu hinterfragen. Karim El-Gawharys Post haben auf Facebook immerhin schon 5000 Menschen geliked, 1800 Mal wurde es geteilt. Wahrscheinlich ist das ein zu optimistischer Ansatz, aber vielleicht kann ein Großereignis wie der Juno-Sturm sogar dazu beitragen, dass wir auch wieder zu den weniger lauten, aber ebenso großen Katastrophen-Herden blicken.

Übrigens, hier kann man betroffene Familien immer noch mit einem Winterhilfspaket unterstützen: http://www.caritas.at/spenden/geldspenden/?&user_caritasdonation_pi1%5Bziel%5D=3&user_caritasdonation_pi1%5Bprojekt%5D=Nothilfe%20Syrien&user_caritasdonation_pi1%5Bintervall%5D=1&user_caritasdonation_pi1%5Bbetrag%5D=50

Werde auch Du Teil unserer Community und nimm Kontakt zu Journalisten und anderen Usern auf. Registrier dich kostenlosund begeistere unsere Community mit deinen Kommentaren oder eigenen Texten/Blogbeiträgen.

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:59

1 Kommentare

Mehr von Anna Wallner