Herzerlbaum oder: Unfassbar glückliches Österreich

Herzerlbaum oder kein Herzerlbaum am Christkindelmarkt beim Wiener Rathaus? Das war die Frage der letzten Woche. Der Platz und die Energie in den Medien, die darauf verwendet wurde, beweist welch unfassbar glückliches Land Österreich ist. Wir können uns das leisten!

Parlamentsbeschluss des Budgets mit höherem Defizit? Peanuts! Kostenexplosion beim Skandalbau Krankenhaus Nord in Wien auf mehr als das Doppelte? Lercherlschaß! 13.1 Prozent Arbeitslosenrate in Wien, 10.5 Prozent in Kärnten? Na und?

Man will ja kein Spielverderber sein, aber die Welt abseits der Weihnachtsmärkte sieht doch anders aus. Die britische Tageszeitung „The Guardian“ zum Beispiel hat in einem Beitrag dieser Tage 13 Krisen aufgelistet, die auf uns zu kommen und warnt seine Leser: Die Lektüre könnte Ihre Gesundheit gefährden. Von Donald Trump als US-Präsident über den Zerfall der Euro-Zone in Europa bis zur ultimativen Klimakatastrophe ist da alles enthalten. Das Verschwinden des Herzerlbaums ist in der Liste naturgemäß nicht enthalten.

Aber selbst wer sich der medialen Angstlust verweigert und nur ein wenig nachdenkt, wird einsehen, dass andere Fragen mehr Aufmerksamkeit verdienen.

So sollte zum Beispiel der Überschwang, mit dem Donald Trump von Viktor Orban über Marie Le Pen bis Heinz Christian Strache auf der Weltbühne willkommen geheißen wurde, so richtig Angst machen. Das sind nämlich zur Zeit unter anderen jene Politiker, die von sich behaupten, das „Volk“ gegen das Establishment zu vertreten. Wie sie diesen Überschwang rechtfertigen können ist ein Rätsel, denn Trumps Politik wird vor allem das „Volk“ treffen, die „kleinen Leute“ also, die dieses Trio zu schützen vorgibt.

Es kann gar nicht anders sein, nimmt man nur drei Beispiele her:

1. Trump wirtschaftlicher Protektionismus und seine Drohung mit Handelskriegen muss zwangläufig auch die Wirtschaftsentwicklung in Europa betreffen und somit Arbeitsplätze kosten. Und es werden die Arbeitsplätze der weniger Qualifizierten sein, sicher nicht jene der „Eliten“. Es werden die Arbeitsplätze im Industriebereich sein, sicher nicht jene in der Verwaltung. Wie also kann man die Gefahr weiter steigender Arbeitslosigkeit bejubeln, wenn man die einfachen Menschen vertreten will?

2. Trumps Außenpolitik des gepflegten Isolationismus kann Russland dazu verleiten, das vermeintliche Machtvakuum in den USA und die Schwäche der EU auszunützen und die Restaurationspolitik der Großmacht Sowjetunion zu forcieren. Das würde neue Grenzverschiebungen und „Schutz“ der russischen Minderheiten in den baltischen Staaten bedeuten. Diese könnten von Moskau leicht als „innere Angelegenheiten“ verkauft werden, in die sich die USA laut Trump nach einem Gespräch mit Wladimir Putin nicht einmischen werden. Auch innerhalb Europas und der EU steigt das „Verständnis“ für und die Hinwendung zu Russland an. In Ungarn seit geraumer Zeit, in Serbien ohnehin und in Bulgarien mit der Wahl des neuen Präsidenten sogar offiziell. Zwei der drei Staaten sind EU-Mitgliedsländer.

Wie viel Beschwichtigungspolitik (seit den 30iger Jahren auch als Appeasement bekannt) wird sich die EU leisten? Saarland, Sudetenland, Österreich vor 80 Jahren. Ukraine, Georgien, Lettland heute? Was wird das Polen des 21. Jahrhunderts sein? Und sollte es zu Kriegen kommen, wird das „Volk“ die Leiden tragen; jene Menschen also, zu deren Fürsprecher sich die Trump-Begeisterten aufschwingen.

3. Selbst für die, realpolitisch noch am ehesten verständliche, Konsequenz der angekündigten Politik der neuen US-Regierung, den Rückzug des militärischen Schutzes in Europa und die Übertragung der sicherheitspolitischen Verantwortung an die EU, wird die Masse zahlen. Wenn die europäischen Staaten einzeln oder im EU-Verbund ihre Militärausgaben drastisch erhöhen müssen, kann das nur auf Kosten der Finanzierung der Sozialsysteme gehen. Somit wird es wieder die Schwachen und die Schwächsten unter ihnen treffen.

Und all das ist Grund für Jubel in Ungarn, in Frankreich, in Österreich?

Auf der Suche nach dem Herzerlbaum lassen sich Menschen offenbar bereitwillig hinters Licht führen – immer und immer wieder.

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