Sie funktioniert also immer – ob in St. Pölten, Washington oder Graz. US-Präsident Donald Trump hat damit seinen Wahlkampf erfolgreich bestritten und lässt auch im Weißen Haus nicht davon ab; der bisher österreichweit völlig unbekannte Spitzenkandidat der niederösterreichischen FPÖ, Udo Landbauer, hat sie für sich entdeckt; und schon vor genau 40 Jahren hat sie dem damaligen FPÖ-Spitzenkandidaten Alexander Götz, auch bekannt als Grazer Bürgermeister, wochenlang zu medialer Aufmerksamkeit verholfen. Von Jörg Haider, der damit 20 Jahre lang Politik gemacht hat, ganz zu schweigen: Die bewusste Provokation, die ungeheuerliche Aussage, die überspitzte Formulierung, über die sich dann alle Medien und alle Gegenspieler fortgesetzt aufregen können.

Ausgerechnet Landbauer ist es nun zu verdanken, dass er den Mehrwert der verbalen Provokation unumwunden zugibt: Mit seiner Bezeichnung „Moslem-Mama“ für Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat er mit einem Schlag erreicht, was ihm sonst nicht gelungen wäre: Überhaupt wahrgenommen zu werden. In einem Interview sagte er dazu: „Manchmal sind überspitzte Formulierungen notwendig, um gehört zu werden.“ Das sei aber nicht der „politische Stil, den ich permanent fahren werde“. Nur dann, wenn er einmal wieder nicht gehört wird?

Neu wäre er nicht. Auch Haider war nicht der Erfinder der politischen Provokation. Wessen Gedächtnis einige Zeit zurück reicht oder wessen Kenntnis der Geschichte der Zweiten Republik irgendwie intakt ist, der erinnert sich daran, dass „Kreisky der Papp ins Hirn gestiegen ist“. Mit diesem Satz allein erreichte der Steirer Götz bei den Medien die Vermutung, dass an seinem Führungsanspruch 1979 tatsächlich etwas dran sei („Ich will, dass wir die erste Kraft, dass wir in Österreich die stärkste Partei werden.”) Viel mehr als dieser Satz blieb dann aber nach der Nationalratswahl und der dritten absoluten Mehrheit für Bruno Kreiskys SPÖ nicht vom FPÖ-Spitzenkandidaten Götz.

Hinter all dem steht aber die für Politik und Berichterstattung viel interessantere Frage: Stell Dir vor, niemand hört hin. Was passiert, wenn weder Gegenspieler, noch Öffentlichkeit (Medien) das so durchsichtige Spiel mitmachen? Wenn sich niemand über die gezielt abgesetzte Provokation aufregt und zur sachpolitischen Tagesordnung übergeht? Wenn nicht alle in die immer gleiche Falle tappen? Was wird dann aus dem Provokateur? Ein Sachpolitiker oder eine politische Null-Nummer? Womit könnten dann die Feinde des sogenannten mainstreams und/oder der politischen Korrektheit ihre Bekanntheit voran treiben?

Die Technik ist so stupid, dass sie auch der überflüssigste Hinterbänkler anwenden kann, was in der letzten Legislaturperiode ja auch einige Male geschehen ist (Stichwort: Marcus Franz, vormals Team Stronach, ÖVP, wilder Abgeordneter). 15 Minuten Ruhm lässt sich damit allemal erreichen. Sie ist aber auch so verführerisch einfach, dass so mancher in den Medien nicht abgeneigt ist, sie zu verwenden, um die Anzahl der „klicks“ im Reich des Internets zu erhöhen. Mitunter drängt sich die Frage auf: Glaubt jemand das, was er da von sich gibt, wirklich oder geht es nur um Provokation? Das Erste wäre ja ehrlich, man kann dagegen sein, aber auch dafür eintreten, dass es gesagt oder geschrieben werden darf. Das Zweite ist gefährlich, weil sich die Aufmerksamkeit nur darauf konzentriert und die wirklich wichtigen und diskussionswürdigen Aspekte der Politik vernachlässigt.

Das aktuellste Beispiel liefern (wieder einmal) die USA: Seit Tagen füllt die Kritik an dem „Drecksloch“-Sager Donald Trumps – gemeint sind Haiti und afrikanische Staaten – die Zeitungsspalten und die Sendezeiten aller US-Medien. Ist er so gefallen oder nicht? Wer hat was gehört? Wer war bei der entsprechenden Sitzung dabei und lügt jetzt? Der Mechanismus, mit dem Trump die Wahl gewonnen hat, ist voll funktionsfähig. Wohlwollend könnte man meine, damit werde das wichtige Thema der Einwanderung in die USA thematisiert und transportiert. Aber so funktioniert das nicht: Die komplizierten Aspekte des Themas werden von der Frage „Ist Trump ein Rassist oder nicht?“ verdrängt.

Oder der jüngste Fall in Großbritannien: Der Austritt aus der EU wäre eigentlich das alles beherrschende Thema. Aber nein, das ganze Land regt sich über die Angriffe der unbekannten Freundin des Parteichefs der UK Independence Party, Henry Bolton, auf die Verlobte von Prinz Harry auf. War da was mit der Wirtschaftsentwicklung und dem Brexit? Peanuts, wie die Engländer sagen würden. Eine Frau Nobody, eine gescheiterte Ehe, eine Prinzenhochzeit, das ist der Stoff, aus dem die Schlagzeilen sind.

Politik per Provokation ist eine alte Methode. Jetzt ist sie aber nicht nur globalisiert, sondern im Zeitalter der „Klicks“ und Quoten auch wirksamer und gefährlicher als sie im vor-elektronischen Zeitalter je sein konnte. Das führt zur Frage wer schuld daran ist: Der Provokateur? Die Vermittler, also die Medien insgesamt? Die Medienvertreter, die sich derselben Methode bedienen? Die Konkurrenzsituation in den Medien? Die Öffentlichkeit, die sich daran ergötzt?

Was wäre passiert, hätte man Landbauers „Moslem-Mama“ einfach negiert und ihn nur nach den sachpolitischen Vorstellungen seiner Kandidatur bei der Landtagswahl nächste Woche gefragt? Er hätte wahrscheinlich nie jene großflächigen Interviews geben können, die ihm wegen des Sagers zur Verfügung gestellt wurden oder er hätte sich eben im politischen Inhalt mehr anstrengen müssen.

Jede provokante Äußerung ist für denjenigen, der sie absetzt, „a gift that gives on giving“, ein Geschenk mit Langzeitwirkung. Es wäre doch an der Zeit, sie differenzierter zu betrachten; die bedeutende von der durchsichtigen zu trennen. Und in den Medien der Versuchung zu widerstehen, bei diesem vordergründigen Spiel mitzuspielen. Das täte der politischen Diskussionskultur gut – wenigstens in Österreich.

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