Graz, ich trage keine Trauer!

Ich trage keine Trauer!

Ja, was in Graz passiert ist, ist eine tragische Sache. Der westliche Mensch wird urplötzlich mit der Unvorhersehbarkeit der Dinge konfrontiert, sieht sich selbst und seine Lieben potenziell gefährdet und bricht über die bewusst gewordene Verwundbarkeit in Tränen aus. Soweit klar. Was ich nicht verstehen kann und will ist Folgendes: warum hat der Durchschnitts-Österreicher/ - Grazer nun so schnell seine Empathie und sein Mitgefühl hergezaubert und wo waren diese Attribute so lange versteckt? - vor allem in den letzten Monaten, wo in andren Teilen der Erde grad erneut eine Menschenhatz ausgebrochen ist (Ukraine, Syrien...) und diese in Folge der sozialen Medien in noch nie dagewesener Brutalität dem Durchschnittsbürger nahegebracht werden.

Wo waren die Profilbildänderungen auf FB, öffentliche Mitleidsbekundungen, Lichtermeere und Andachtsmessen für die Toten von Donbass am 23. Mai dieses Jahres? Wann sind Politiker und Bürger in Tränen ausgebrochen, weil sie ein IS-Video gesehen haben, in dem pseudo-muslimische Dschangos die muslimische Bevölkerung vor laufenden Kameras enthaupten?

Ich trage Trauer in einem der reichsten Länder der Welt zu leben, in dem es den Durchschnittsbürger nur zu stressen scheint, wenns in andren Teilen der Erde abgeht, wenn er die "Gefahr" sieht, dass Angehörige dieser Ländern in "SEIN" Österreich fliehen könnte. Ich trage Trauer, von österreichischen Mitbürgern umgeben zu sein, bei denen ein Gefühl der Panik aufkommt, wenn sie daran denken dass eventuell Menschenrechte eingehalten und umgesetzt werden könnten.

Ich trage Trauer in einem Land zu leben, in dem eine mehr als fragwürdige und menschenfeindliche Partei 30% der Wählerstimmen erhält und etablierte politische Parteien bzw. einzelne Vertreter sich als funktionelle Analphabeten erweisen und deshalb nix von einem, im Parteiprogramm festgeschriebenen, Bekenntnis zum Antifaschismus zu wissen scheinen.

Ich trage Trauer in einem Land zu leben, in dem es wichtiger zu sein scheint, faschistische Äußerungen als praktisch angewandte Meinungsfreiheit herunterzuspielen und dies - more or less - von sämtlichen etablierten Parteien durch Schweigen, Herunterspielen oder gar Koalieren supportiert wird.

Was ich damit sagen möchte: mich wiedert diese geheuchelte Trauer an! Wenn wir alle so empathisch und mitfühlend sind/ wären, dann bitte konsequent 24/7/365! Trauern, Solidaritätsbekundungen, öffentliches Weinen und Lichtermeer inklusive! - und falls der seltene Fall auftreten sollte, dass mal medial kein passender Grund verfügbar sein sollte, empfehle ich einen Gang aufs Gelände des hiesigen Krankenhausareals! Auf der Kinderintensiv wird täglich tragisch gestorben.

Wer diese Optionen für sich selbst nicht ernsthaft in Betracht ziehen möchte, dem kann ich nur empfehlen jegliche Hetze und auch die eigenen Vorurteile (ja, auch ich könnt immer wieder über meine ureigenen Vorurteile heulen) kritisch zu reflektieren und vielleicht das eine oder andere Mal tatsächlich einem Mitmenschen in Not zu helfen - egal ob In- oder Ausländer - anstelle die Hetze zuzulassen oder gar mitzumachen.

Obwohl ich keine Trauer trage, gilt mein Mitgefühl den Angehörigen des getöteten jungen Bosniers, des bulgarischen Kleinkindes und der jungen Frau sowie der verletzten Menschen.

4
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Bernhard Juranek

Bernhard Juranek bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

kopfkino

kopfkino bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:10

7 Kommentare

Mehr von AnneVian