70 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches erscheint ein ausgezeichnet recherchiertes Buch von Helmut Irmen über Richter im Nationalsozialismus:

Das Sondergericht Aachen 1941-1945

Sondergerichte sind keine Erfindung der Nazis, es gibt sie bereits in der Weimarer Republik. Die Verordnung von August 1932 wird zunächst von den Nazis kritisiert, nach der Machtergreifung übernommen. Insgesamt werden 11.000 Todesurteile der Sondergerichte vollstreckt.

Von Anfang an ist die Mehrheit der Juristen bereit, den Nazis zu dienen. Am Deutschen Juristentag im September 1933 schwören die Juristen mir erhobenen rechten Arm:

Wir schwören beim ewigen Herrgott, wir schwören bei dem Geiste unserer Toten, wir schwören bei all jenen, die das Opfer einer volksfremden Justiz einmal geworden sind, wir schwören bei der Seele des Deutschen Volkes, dass wir unserem Führer auf seinem Wege als deutsche Juristen folgen wollen bis zum Ende unserer Tage.

Hierzu Meinungen der dazu gehörigen Hochschullehrer:

Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blute ist.

Wer außerhalb der Volksgemeinschaft steht, steht auch nicht im Recht.

Der gesamte Plan des Führers ist oberstes Rechtsgebot.

Das Endziel der NSDAP ist eine totale Kontrolle der Justiz. Bei Ernennung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten müssen ab 1935 die Gauleiter zustimmen. Ab 1937 wird jeder Staatsanwalt ein politischer Beamte, der jederzeit abberufen werden kann. Das übergeordnete Reichsjustizministerium bemängelte zuweilen, dass das Aachener Sondergericht zu milde bestraft. Gegen Ende des Nationalsozialismus lauten dann die meisten Urteile: Vernichtung durch Arbeit.

Juden unterliegen nicht dem Gerichtsbarkeit, sondern der Polizeiwillkür. Gerichte sind nur für Volksdeutsche da. Es lässt sich nicht ausschließen, das dies ein (der) Grund ist, Nazi-Richter nicht zu verfolgen und somit schnell zu entnazifizieren. Denn die Nazi-Richter sind fest davon haben nur das Richtige getan, nämlich geltendes Recht gesprochen. Schuld am politischen Untergang Deutschlands, also am Versagen, ist das Deutsche Volk. Es gibt somit keinen Grund, die Nazi-Richter zu verfolgen.

- Pfarrer werden vom Aachener Sondergericht milde beurteilt, schließlich sind viele (die meisten?) Kleriker wie die Richter eine tragende Säule der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung.

- „Nationalsozialismus gibt es nicht, entweder national oder sozialistisch“ bringen 1941 einem vermindertem Schuldfähigen 5 Monate Freiheitsentzug ein.

- Lediglich zwei 2 Urteile werden gefällt wegen verbotenen Umgang mit östlichen Kriegsgefangenen, die als Untermenschen gelten. Sind die Richter Widerstandskämpfer oder sind die Aachener Rassisten?

Die Sondergerichte werden formell im Oktober 1945 von den Siegermächten aufgelöst.

Feststellungen nach 1945:

Die Justiz befindet sich im Nationalsozialismus nicht in einer Opferrolle, sondern trägt zur

Radikalisierung bei. Juristen sind die willfährigsten Stützen des NS-Regimes, sie betreiben Unrechtspflege aus Schwäche oder aus Überzeugung. Statt begangenes Unrecht zu sühnen, wird das Recht zum Mittel der terroristischen Unterdrückung und Ausmerzung ganzer Bevölkerungsgruppen. Recht ist, was dem deutschen Volk nützt. Das Recht degeneriert zum Vollzugsorgan des totalen Staates. Der Strafvollzug dient nicht mehr der Resozialisierung, sondern der Sühne.

Potsdamer Protokoll 1945: Alle Mitglieder der nazistischen Partei sind zu entfernen.

Personalmangel zwingt, diese Forderung total zu negieren.

Für jeden nicht belasteten Richter wird ein belasteter Richter eingestellt. So beginnt die Renazifizierung der deutschen Gerichte. Selbst Richter am Volksgerichtshof und an den Sondergerichten wurden als Mitläufer entnazifiziert. Juristen der Nazizeit kommen nahezu allesamt wieder in Amt und Würden (Einreihungsbescheide der deutschen Justizverwaltung).

Adenauer: Man kann schmutziges Wasser nicht wegschütten, solange man kein sauberes hat.

Die Justiz trennt das Hakenkreuz von der Robe und geht zur Tagesordnung über.

Was damals Rechtens war, das kann heute nicht Unrecht sein.

Golo Mann: Das Ende des Nationalsozialismus war auch das Ende der deutschen Justiz. Mit ungläubigem Staunen fanden die Alliierten, dass es in dem Land, das zwölf Jahre vom Nationalsozialismus regiert worden war, eigentlich überhaupt keine Nationalsozialisten gab. Die Justiz war eine unverzichtbare Säule des Nationalsozialismus.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit sind sich die Juristen einig, dass die Richter des Dritten Reiches allesamt rechtmäßig gehandelt haben. Die nicht gänzlich geleugneten Verbrechen sind alleine dem Gesetzgeber zuzuschreiben. Kommt das heute nicht bekannt vor?

Der Bundesgerichtshof entscheidet am 16. November 1995:

Erst sehr spät spricht der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes über eine politisch motivierte Strafjustiz, über willfährige Richter, die Recht pervertieren. Das Versagen der bundesdeutschen Strafjustiz wird erstmalig nicht geleugnet.

Obwohl die Korrumpierung von Justizangehörigen durch die Machthaber des NS-Regimes offenkundig war, haben sich bei der strafrechtlichen Verfolgung erhebliche Schwierigkeiten ergeben. Die vom Volksgerichtshof gefällten Todesurteile sind ungesühnt geblieben; keiner der am Volksgerichtshof tätigen Berufsrichter und Staatsanwälte wurde wegen Rechtsbeugung verurteilt; ebenso wenig Richte der Sondergerichte und Kriegsgerichte.

Viel zu spät wird die „demokratische“ Justiz gegen Nazi-Richter aktiv, denn den Gerichten sind alle Angeklagten weggestorben. In ganz Deutschland wird kein einziger Richter wegen Rechtsbeugung zur Rechenschaft gezogen. Es gibt ein unübertreffbares deutsches Wort, welches„Verstrickung“ lautet.

Fazit des Buches:

Die Aachener Sondergerichtsbarkeit agiert insgesamt linientreu. Bei der damaligen Stellenbesetzungen zählt die politisch Zuverlässigkeit mehr als die fachliche Eignung.

Heute ist alles anders und besser.

Helmut Irmen

Das Sondergericht Aachen 1941-1945

De Gruyter Juni 2018

ISBN-10: 3110601842

153 Seiten

69,95 €

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