Manchmal haben die Märkte ein eigenwilliges Verhältnis zur Zeit. In den letzten Tagen des Jahres scheint die Zeit still zu stehen. Die Aktien, die bereits das ganze Jahr zu den Siegern gehörten, steigen im Normalfall weiter (jeder will plötzlich zu Jahresende die SBOs, Lenzings und RBIs dieser Welt im Portfolio haben; wie lange man bei dem Ritt wirklich dabei war muss ja niemand wissen J) und die Verlierer werden weiterhin gemieden. Nach dem 31.12. beginnt jedoch eine neue Zeitrechnung. Die Performance wird auf 0 gestellt und der ganze Spaß geht wieder von vorne los. Am Anfang noch recht gemächlich (auch unter institutionellen Investoren ist die erste Jännerwoche eine beliebte Urlaubszeit; sind ja manchmal auch nur Menschen), aber spätestens ab Woche zwei geht das alte Spiel wieder los.

Oftmals müssen neue Gelder veranlagt werden, die Stimmung ist üblicherweise hoffnungsvoll. Dementsprechend ist der Jahresbeginn in vielen Fällen freundlich, außer das Umfeld ist so zweifelhaft, dass nicht mal neues Geld den Markt nach oben heben kann (was auch einer der Gründe sein dürfte für die alte Börsenweisheit: „Wie der Jänner so der Rest des Jahres“; dass das nicht immer stimmen muss, hat das letzte Jahr jedoch eindrucksvoll bewiesen). Auch dieses Jahr beginnt recht positiv: Der heimische ATX liegt derzeit mit knapp 1,5 % vorne, während in den USA vor allem die Technologiebörse NASDAQ beinahe täglich zu neuen Höchstständen ansetzt.

Sucht man nach fundamentalen Gründen für den Anstieg, werden immer wieder die gleichen Themen genannt: Stärkere Wirtschaft wegen des Trump’schen Infrastrukturprogramms, Deregulierung und Steuerreform in den USA, das endgültige Ende der Deflation in Europa und die Hoffnung auf höheres Wachstum aus China. Gemeinsam mit steigenden Zinsen, die möglicherweise zusätzliches Geld aus dem Anleihen- in den Aktienmarkt locken könnten (steigende Zinsen bedeuten im Umkehrschluss fallende Anleihekurse), eigentlich ein gutes Umfeld für Aktien, insbesondere für die Favoriten der letzten Monate (Banken, Versicherungen, Infrastrukturwerte und einige andere Zykliker)..

Das Problem dabei: Gerade nach einem beinahe ununterbrochenen Anstieg, wie wir ihn nach der US-Präsidentschaftswahl hatten, muss man sich immer wieder die Frage stellen: Was könnte schieflaufen? Immerhin konnten sich einige Aktien innerhalb kurzer Zeit um 30-40% verteuern und wir wissen, dass es immer wieder zu Rücksetzern kommen kann.

Das größte Fragezeichen hierbei dürfte wenig überraschend The Donald sein. Derzeit überwiegt der Optimismus, dass er vor allem den wirtschaftsfreundlichen Teil seiner Agenda durchsetzt (Deregulierung, Steuererleichterungen, Infrastrukturprogramm) und der Rest „eh nicht so schlimm“ werden wird. Der Zerfall der US-Handelsbeziehungen mit Mexico und Kanada sowie eine Eskalation der Streitigkeiten mit China sind jedoch reale Bedrohungen für die US-Wirtschaft und damit in weiterer Folge auch für Europa. Denn immerhin geht es Trump vor allem darum, Jobs zurück in die USA zu holen, egal was das für die entsprechenden Firmen bedeutet. Dementsprechend dürfte es wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis auch die ersten europäischen Firmen in seinen Tweets und Reden auftauchen…

Ein weiterer Stolperstein könnte auch die anlaufende Berichtsaison (vor allem in den USA) sein. Gerade die Finanztitel konnten in den vergangenen Wochen zu neuen Höhenflügen ansetzen. Deregulierungen und die positiven Effekte steigender Zinsen dürften aber noch einige Zeit dauern, insofern könnten die aktuellen Zahlen kurzfristig für einiges an Ernüchterung sorgen. Steigende Kurse führen nun mal zu höheren Erwartungen und auch in einem starken Umfeld sind die Firmen nicht vor Enttäuschung gefeit. Gleiches gilt auch für einige Zykliker und die Rohstoffwerte, deren Kurse im letzten Jahr geradezu nach oben explodiert sind.

Das heißt natürlich nicht, dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre alles zu verkaufen und sich auf ein Grundstück zurückzuziehen um Erdäpfel zu züchten (insbesondere nicht bei diesem Wetter!). Das Umfeld ist insgesamt noch immer sehr positiv, die Hauptprofiteure im aktuellen Umfeld sind jedoch nicht mehr so billig wie vor ein paar Monaten. Vielleicht ist hier etwas Geduld angebracht. Rücksetzer kann es immer geben und eine gute Vorbereitung darauf erleichtert im Ernstfall die Entscheidungsfindung. Denn in der Hitze des Gefechts kann eine „kleine Korrektur“ schon mal wie eine mittlere Katastrophe aussehen. Gut wenn man vorab schon einen Plan hat, wie man damit umgehen möchte…

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