Burn Out-Bewusst-sein(s)- Werdung 2.0

Eigentlich sollte ich einen De-Intenso Arbeitstag einlegen, denke ich mir.

"Heute Decoffeinato Intenso statt Ristretto, bitte. Ich will probieren, ob der hält, was George Clooney verspricht".

Sehr witzig. Meine Asssistentin blickt mich zunächst ungläubig an, führt meinen Wunsch aber ohne jeglichen Kommentar aus, serviert mit den Umsatzzahlen des Vortages. "Danke sehr. Post, Unterschriften etc. machen wir heute später", sage ich zu ihr und lehne mich in meinen bequemen Ledersessel zurück.

Kennen Sie das? Wenn Ihnen ein Auto gefällt, dann sehen sie es auch ununterbrochen auf der Straße. Ich sehe mir die eher bescheidenen Zahlen des sommerlichen Vortages an und bleibe immer wieder an den Blutdruck steigernden Zahlen 230 und 130 des nächtlichen realen Albtraums hängen. Was war das also? Ich habe monatelang keinen Blutdruck gemessen, wieso in der vergangenen Nacht? Ich hab´doch sonst alles im Griff, wieso konnte ich diese Situation nicht beherrschen? Wo war meine Situationskompetenz geblieben?

Nachdem ich keine sofortige Antwort finde, beschließe ich den Verdrängungsmechanismus in Gang zu setzen. In 10 Tagen ist Maria Himmelfahrt, ein Freitag. Fällt gut heuer, also Zeit um etwas auszuspannen. Ich plane die ganze Woche durch. Keine besonderen Vorkommnisse. Sommerbusiness.

Aber Trauriges: am Freitag ein Begräbnis. Die Gattin eines Mitarbeiters hat ihren langen Kampf verloren. Ich habe mein Kommen zugesagt. -

...Sie war doch noch so lebendig beim letzten STS Konzert in der Stadthalle. Als mir kurz danach mein Mitarbeiter die furchtbare Gewissheit offenbart, dass sie sehr bald gehen wird, organisiere ich für seine Frau, ihn und die Tochter ein Wochenende bei einem unserer Kunden. 3 Tage nur engste Familie um Abschied zu nehmen... Und jetzt nehmen die ganze Familie, Freunde, Arbeitskollegen und auch ich Abschied.

Ich parke, steige aus dem Auto, zünde mir eine Zigarette an und gehe langsam, ganz in Gedanken versunken, mit einem meiner engsten Mitarbeiter in Richtung der Feuerhalle. Es war die erste Zigarette einer neu geöffneten Packung.

Was ich da nicht wußte, dass es die letzte Zigarette gewesen sein sollte.

Ich nehme die wenigen Stufen hinauf zur Aufbahrungshalle, die bis auf den letzten Platz gefüllt ist, gehe kurz nach vorne und kondoliere den engsten Angehörigen. Beim Zurückgehen fällt mir nur auf wie stickig es ist, und ich bleibe daher am Ausgang stehen, wo die offenen Türen frischen Luftzug bringen.

Eine zunächst nur leicht spürbare innere Unruhe kommt in mir auf. Ob es klug war, nach meinem Extremerlebnis Anfang der Woche auf dieses Begräbnis zu gehen? Selbst gerade in Todesangst gewesen, mich jetzt erneut mit Tod und Abschied zu konfrontieren?

Jedes vernommene Wort über die Verstorbene durch ihre Angehörigen trifft mich jetzt ins Mark. Letzte Abschiedsworte des Geistlichen. Stille.

Und dann ertönt Eric Clapton´s "Tears in Heaven".

https://www.youtube.com/watch?v=JxPj3GAYYZ0

Schon bei den ersten Tönen weiß ich, dass das zuviel für mich ist, ich das einfach nicht packen kann.

Da ist es wieder, dieses Gefühl sich schnell und stark steigernder Panik. Auf einmal sehe ich mich im Sarg liegen. Ich ziehe meinen Kollegen heftig am Arm und ersuche ihn, mich sofort von hier wegzubringen. Er muss diese Veränderung an mir bemerkt haben, denn er fragt nicht warum sondern folgt mir im Laufschrittt zum Auto. Die Blicke der Trauergäste im Rücken steigen wir ein. Er fährt. Seine Frage "wohin" beantworte ich zunächst mit "zur nächstgelegenenen Apotheke".  Dort angekommen erkennt die Apothekerin wohl meinen Zustand und bietet mir sofort ein Glas Wasser an, will meinen Blutdruck messen. "Danke, nein, der ist weit über 200", sage ich, schütte das soeben gekaufte Flascherl Notfalltropfen in mich hinein und verlasse die Apotheke.

"Bitte ins LKH, und das schnell". Wieder funktioniert der Kopf, denn wie schon einige Tage zuvor beginne ich Gespräche lachhaften Inhalts um mich irgendwie über die Zeit zu bringen. Jede rote Ampel dauert eine kleine Ewigkeit. Meine Arme scheinen zu platzen, so sehr spüre ich den Druck.

Rein in den Notaufnahmebereich, der Rest ist ein Déjà-vu in Echtzeit.

Diesmal stationäre Aufnahme.

Am frühen Abend besucht mich meine Frau mit meinen beiden Söhnen. Ich sehe sie, verfalle schlagartig in Panik, und bekomme eine Attacke.

Es ist unglaublich: anstatt mich zu freuen sie zu sehen, habe ich Angst, jetzt vor ihnen zu sterben.

In ihren Blicken sehe ich wie verstört sie sind, sie wissen nicht was da gerade passiert. Hilflos stehen sie da und sehen wohl pure Todesangst in meinem Gesicht, ohne sie aber als solche deuten zu können. Schon gar nicht die Kinder. Als sie nach Hause gehen, bilde ich mir ein, sie heute das letzte Mal gesehen zu haben.

Nachtschwester und Arzt haben noch einmal nach mir gesehen. Licht aus.

Tear´s in Heaven läuft in meinem Kopf in einer Endlosschleife, die Tränen dabei auf den Polster. Ich kann, nein ich will mir das alles nicht erklären.

Die folgenden Tage sind voll mit Untersuchungen, die klinischen Abklärungen zeigen aber kein organisches Problem oder sonstiges Akutgeschehen. Diagnose daher: schwerer Erschöpfungszustand durch Überarbeitung. Am 14.8. werde ich mit guten Wünschen entlassen. Wir brechen nach Kärnten auf, langes Wochenende, super Wetter, ich freue mich auf ein paar Tage am See. Das wird mir gut tun. Tut es auch. Genau 2 Tage lang.

Fortsetzung 3.0 folgt

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