
Kärnten, genau genommen alles rund um den Wörthersee ist mein zweites zu Hause. Das war schon als Kind so. So viele Bekannte, manche Freunde, so viel Vertrautheit. Sicherheit. Das ist, was ich jetzt brauche: Sicherheit.
Schon auf der Fahrt bei Wolfsberg denke ich mir: du kommst endlich wieder heim. Ein langes Hochsommer Wochenende mit meiner Familie liegt vor mir. Schnell sind die Zimmer im Hotel meines besten Freundes bezogen, Badesachen ins Auto und runter zum See. Diesmal wohlüberlegt zum Keutschacher See, ist der doch frei von Motorbooten und dem sonstigen Trubel der Kärntner Lieblingsbadewanne, dem Wörthersee.
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Ich setze mich zufrieden in den Liegstuhl, mein Blick gleitet über den See rund um die Ufer. Die dunkelgrünen Waldstücke und der gleichfarbige See beruhigen mich zutiefst.
Ein herrlicher Badetag, kulinarische Genüsse wie frische, gebratene Reinanken und Kaiserschmarrn runden mein Wohlbefinden so richtig ab. Nicht ein einziger Gedanke an die Erlebnisse der vergangenen Woche.
Mit dem Zirpen der Grillen und Blick in den Sternenhimmel schlafe ich an diesem Donnerstag Abend zufrieden ein.
Der Marienfeiertag führt mich und uns in die Kirche von Maria Wörth. Erinnerungen. Hochzeit hier, 1991. Bummel in Velden, Politzky´s Apfel-Mohntorte zum Kaffee, ein Traum. In Pörtschach Minigolfspielen, dann mit dem Fahrrad um den See. Ungetrübte Freude, Wohlbefinden - genau so habe ich mir das vorgestellt.
Der Samstag schenkt strahlend blauen Himmel, die Sonne taucht die gesamte Umgebung in die schönsten Sommerfarben. Der Blick auf die mächtige Bergkette der Karawanken vom Frühstückstisch aus ist einer jener Anblicke, die sich jeder gönnen sollte, wenn er am Pyramidenkogel wohnt. Die grünen Wiesen, das Geläute der Kuhglocken, die Blumen- und Pflanzenpracht im und um das Hotel sind wohl einzigartig. Es ist lange her, dass ich mich so wohl gefühlt habe.
Nach dem ersten erfrischenden Bad im See schnappe ich mir die Zeitungen zur Vormittagsbeschäftigung. Mit dem Lesen eigentlich durch, blättere ich gegen Mittag die letzten Seiten zum Ende hin. Und lande, so ganz ohne Vorwarnung, plötzlich bei den Todesanzeigen.
Unfähig zu überblättern, holt sich der Kopf überfallsartig das Erlebte der letzten Woche zurück, funktioniert wie eine Musicbox, die man gerade mit Münzen gefüttert hat. Garantierte Abspielautomatik, auch wenn man den Stecker ziehen möchte.
Nur nichts anmerken lassen. Soll ich jetzt gleich hier um Hilfe schreien? Denn rufen wäre zu wenig.Mein Herz schlägt so schnell, der Puls wütet, der Bauch ist Erdbebengebiet, im Kopfkino laufen mehrere Filme gleichzeitig ab, die Mundharmonika intoniert "das Lied vom Tod". Was würden die Badegäste sagen, was meine Frau, wenn ich jetzt einfach tot umfalle?Ich springe auf und beginne wie ein weidwundes Tier durch den Garten zu hetzen.
Es ist zu diesem Zeitpunkt ein ungleicher Kampf meines Unter-bewusst-seins gegen mein Bewusst-sein, den Letzteres nicht gewinnen kann.
Und doch ist auch sie wieder da, die unerklärliche Kopfordnung in all dem Chaos.
Ich gehe schnurstracks in das Restaurant auf den Chef des Hauses, - Bruder meines besten Freundes -, zu, und sage: Ruf´mir bitte sofort den Notarzt". Meine Frau hat instinktiv gespürt, dass da wieder etwas nicht stimmt. Beim Hinausgehen kommt sie mir schon entgegen, spricht kein Wort, ihre bangen Blicke treffen meine Hilflosigkeit und verstärken sie. Minuten später liege ich im Schatten der Sonnensegel und warte auf Hilfe.
Die Notärztin trifft rasch ein, noch vor der Rettung. Sie sieht mich und braucht keine Erklärung. Den von ihr gemessenen Blutdruck kann ich im ensetzten Ausdruck ihres Gesichtes ablesen. Noch während sie neuerlich die Nummer der Rettung wählt, ist deren Sirene bereits zu hören.
Mit hoher Geschwindigkeit geht es Richtung Klinikum Klagenfurt, meine Frau und die Kinder folgen im schwarzen Kombi, der mir in diesem Moment wie ein Leichenwagen als Begleitfahrzeug vorkommt.
Neonlicht. Krankenhausgeruch. Hektische Betriebsamkeit. EKG und Ultraschalluntersuchung. Dazwischen Frage/Antwort Spiel, Infusion und Medikamente, die sofort ihre Wirkung zeigen.
Der diensthabende Arzt eröffnet mir 2 Möglichkeiten: stationäre Aufnhame vor Ort oder in Graz.
Drei Stunden später, nach einer bangen Fahrt als Beifahrer, in der ich praktisch nicht ein einziges Wort gesprochen habe, betrete ich den Notfallsbereich des LKH Graz mit den Worten: "diesmal wird es länger dauern".
Sonntag Nachmittag bitte ich meine Frau, telefonisch meinen Chef zu informieren. Schon der Gedanke daran, das selbst tun zu müssen, verursacht Schweißausbrüche. Seine Reaktion, und noch mehr die meiner Frau zeigt mir die Schockwelle an, die ausgelöst wurde. Am nächsten Tag sind, von mir gewollt, noch 2 mir nahestenede Kollegen zu Besuch, der Blackberry kommt den ganzen Tag nicht zur Ruhe. 2 Tage später ist er wie tot. Cut. Abgedreht. Keine Informationen mehr, abolute Abschottung. Es ist verboten mich anzurufen oder mir jegliche Informationen zukommen zu lassen. Von ganz oben.
Damit wird mir auch das erste Mal richtig bewusst, dass das hier jetzt eine Zäsur ist. Burn Out Bewusst-seins-werdung. Ich bin ausgebrannt. Bis auf die "Grundmauern".
Ohne trotzdem auch nur im Ansatz zu verstehen, was das heißt, und was in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten auf mich zukommen wird. Denn noch immer glaubt meine Naivität nur an die Zeitspanne eines längeren, sagen wir 3 - wöchigen Urlaubs getarnt als Krankenstand.
Ich komme mir vor wie ein Aussätziger. Völliger Cut off von allen Informationen. Workoholic auf Entzug. Verrückt, aber es verursacht Schmerzen. Nur die Sicherheit alles um mich zu haben, was mich im Fall des Falles retten kann, beruhigt mich einigermaßen.
Die Ärzte machen mir aber schnell klar, dass sie über das bisherige hinaus im Spital nichts für mich tun können.
Mein Weg zurück muss zu Hause beginnen. Heimarbeit sozusagen. Nur nicht in Firmenangelegenheiten, sondern es geht um mein Leben. Nicht mehr, nicht weniger. Ich versuche die Entlassung nach Hause zu verzögern. Dort wartet kein Arzt, keine Schwester, kein Defibrillator. Und das macht Angst. Große Angst.
Am 25. August 2008 werde ich nach Hause entlassen. Versorgt mit Medikamenten, Empfehlungen und guten Wünschen gehe ich unsicheren Schrittes Etwas entgegen, das ich nicht kenne. Kein Boden mehr unter den Füßen. Absolutes Neuland.
Keine Herausforderung war bisher größer, aber das werde ich erst viel, viel später erkennen und noch länger wird das Begreifen dauern.
Fortsetzung folgt unter: Burn Out - 4 Wochen Quarantäne