Ich habe mich als Jugendlicher oft gefragt, wie das wohl gewesen sein muss damals in den 20er- und frühen 30er-Jahren, als die Nazis langsam immer stärker wurden und sich Vernunft und Menschlichkeit Schritt für Schritt zurückzogen und Platz machten für Irrationalität und Destruktivität. Heute, als Erwachsener, kann ich das, was damals passierte, immer besser nachvollziehen, und das liegt leider nicht daran, dass ich schlauer geworden wäre, sondern daran, dass ich Ähnliches live miterleben muss. Die Nazis konnten sich nicht deswegen durchsetzen, weil sie so ein großartiges Programm gehabt hätten, sondern weil deren Wahn immer tiefer in die Gesellschaft hineinwaberte, die totale Inhumanität sich Stück für Stück als akzeptable politische Meinung durchsetzte und die krankhaften Aspekte des NS wie zB Antisemitismus und Eugenik sogar dezidierte Nazi-Gegner infizierten. Der Zivilisationsbruch konnte erfolgen, weil die Zivilisation kaum noch moralisch, intellektuell und strategisch sattelfeste Verteidiger hatte.

Ich werde an drei Beispielen, von denen keines älter als 24 Stunden ist, darzulegen versuchen, warum ich einen neuerlichen Zivilisationsbruch für möglich halte bzw denke, dass der bereits in Gang gekommen ist.

1. Hans Rauscher, ein des Nazismus unverdächtiger Kolumnist, schrieb heute im „Standard“ folgende Sätze: „Auch Österreich wäre ohne die Juden nicht vorstellbar - in dem Sinn, dass ein ganz entscheidender Teil unserer Gesellschaft ohne den jüdischen Beitrag zum Geistesleben, zur Wissenschaft, zur Wirtschaftsdynamik sehr viel ärmer wäre - historisch und aktuell“. Rauscher zeigt damit, dass er nicht verstanden hat, weshalb ein vertreibender oder gar vernichtender Antisemitismus falsch ist. Nicht diejenigen, die Menschen vertreiben oder umbringen sind arm dran, weil sie nach der Vertreibung oder der Ermordung ihrer Opfer deren wirtschaftlicher und kultureller Beiträge verlustig gehen, sondern die Vertrieben oder Ermordeten sind die Opfer und nur die allein. Menschen nach ihrer Nützlichkeit für die Gesellschaft zu bewerten ist der Ungeist, aus dem Ideen zu Vertreibung und Ermordung oft erst entstehen. Menschen allein deswegen zu attackieren, weil sie einer bestimmten Ethnie, Religionsgemeinschaft, sexuellen Orientierung oder sonst einer Gruppe angehören, bei der die Zugehörigkeit in aller Regel ein Zufall der Geburt und keine freie Entscheidung ist, ist das reine Böse. Diese Menschen auch noch nach utilitaristischen Aspekten zu bewerten führt in Konsequenz dann zur reinsten Form dieses Bösen, zur Rampe von Auschwitz, wo Menschen danach selektiert wurden, ob die Nazis aus ihnen noch einen Nutzwert herausschinden konnten oder, falls nicht, sie sofort zu vergasen seien. Kurz: Die Vertreibung oder Ermordung von Menschen abzulehnen, weil das ein ökonomischer und kultureller Schaden für die Vertreiber oder Mörder sei, ist die völlig falsche Argumentation, da sie sich innerhalb der Logik der Unmenschen bewegt.

2. Die CDU will in einen Dialog mit Pegida treten. Deren Häupling Lutz Bachmann bezeichnet Menschen als „Gelumpe“, „Dreckspack“ und „Viehzeug“.

Mit einem, der Menschengruppen dehumanisiert, ist kein Dialog zu führen, so einer ist zu bekämpfen, dem steht man in Totalopposition gegenüber und setzt sich nicht an einen gemeinsamen Tisch mit ihm. Solchen Typen ist vermitteln, dass sie einfach nicht dazugehören, dass sie sich selbst außerhalb der Gemeinschaft der leidlich zivilisierten Menschen gestellt haben. Und aus.

3. Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram hat in Nigeria eine ganze Stadt ausgelöscht und dabei hunderte, wenn nicht tausende Menschen ermordet. Der Boss der Sekte, Abuakar Shekau, hat sich in einem Video zu dem Genozid bekannt und gesagt: „Wir haben sie in der Tat getötet, so wie es unser Gott in seiner Heiligen Schrift angeordnet hat“. Wäre Herr Shekau ein Bürger von, sagen wir mal, Salzburg und würde in der Innenstadt Menschen erschießen, weil ihm das sein Gott so befohlen habe, dann würden wir ihn selbstverständlich als das sehen, was er ist, als einen gemeingefährlichen Irren, der sofort unschädlich gemacht werden muss, bevor er weiter mordet. Mit Irren dieser Wahnsinnigkeitsstufe kann man nicht diskutieren oder verhandeln, die kann man nur erschießen oder einsperren und dann vielleicht psychiatrisch behandeln. Das muss uns klar werden, das müssen wir aussprechen. Für einen imaginären Gott zu morden wird nicht dadurch weniger geisteskrank, weil es mehr Gläubige als Atheisten gibt, es wird nicht weniger komplettgaga, weil eine kritische Masse von Menschen meint, Heilige Bücher und deren göttliche Autoren wären real. Die einzig richtige Reaktion auf religiös motivierte Mörder, Unterdrücker und Vergewaltiger ist es, religiöse Motive endlich als niedrige, in Wahrheit einem Wahn entsprungene zu brandmarken. Leider passiert das Gegenteil. Vom US-Präsidenten bis zum deutschsprachigen Feuilleton und tief hinein in linke Zusammenhänge wird für diesen Wahnsinn „Respekt“ und „Toleranz“ eingefordert, zwar mit der Einschränkung, Massenmord und Sexsklaverei ginge dann doch ein bisschen zu weit, aber immer mit der feigen oder dummen Grundeinstellung, Religion an sich sei schon ganz okay und würde bloß missbraucht werden. Nein, Religion ist nicht okay, sie war immer und wird immer sein: Ein ideologisches Unterfutter für Mordlust, Knechtung, Frauenfeindlichkeit und Verdummung. Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit sind nur ohne Religion zu haben.

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