Blog-Bild: "Blood"

Am Donnerstag, als ich mit meinem Sohn im Kino war, ging ich grad noch. Gerade noch so, dass ich den Weg von der Urania bis zur U-Bahn schaffte und anschließend von dort ins Auto. Doch von da an ging es bergab. Das Gehen wurde immer schwerer. Zuerst dachte ich, ich habe mir wieder mal meinen absolut nicht trainierten Rücken überbeansprucht. Doch der Schmerz brannte gürtelförmig um meinen Bauch. Vor allem im Bereich der Nieren. Jegliche Bewegung wurde zu Qual. Ich wusste nicht mehr welche Stellung oder Lage ich einnehmen sollte. Ich versuchte so viel wie möglich zu schlafen. Aber auch das war nicht wirklich möglich. Ich wälzte mich von einer Seite zur Anderen. Selbst das war eine Qual. Dazwischen versuchte ich mit Kreativem ab zu lenken. Doch der unerträgliche Schmerz siegte. Ich musste was tun. Rettung rufen? Sicherlich würden die mich in das Spital in der Donaustadt befördern, das wollte ich absolut nicht. Somit musste ich warten, bis mein Sohn wieder zu Hause war.

Am Freitagmittag fuhren wir ins Wiener AKH. Mein Sohn setzte mich vor dem Haupteingang ab.

Ich schlurfe durch die helle Halle und erinnerte mich an die Tage, als ich P. damals besucht hatte. Kurz bevor er verstorben war. Das Foyer begrüßt mich weihnachtlich geschmückt und warme Luft durchmischt mit dem Duft von frischem Gebäck und Blumen weht mir um die Nase. Ich folge den roten Schildern mit der Aufschrift: „Notaufnahme“. Eine weibliche Stimme im Aufzug verkündet mir: „Ebene 6", die großen silbernen Türen öffnen sich. Weiter orientiere ich mich an den Tafeln, 6D. Dort angelangt, eine Schlange von Menschen und reges Treiben von allen Seiten.

Es ist 12:30 Uhr. Ich fülle das Formular, wie es so üblich ist gleich aus und warte beim Schalter. Die nette Dame verweist mich zu der anderen Schlange. Etwa 10 Menschen stehen vor mir. Ich kann kaum noch stehen. Drei fahrbare Paravents in hellen Farben stehen links von mir. Wenn ich jetzt umkippe, fallen die ebenfalls um, denke ich. Also schön durchhalten. Nur noch 9 Menschen. Ich überlege kurz, ob ich fragen soll, ob man mich vorlässt. Ich lasse es sein, nur noch 8 Menschen. Denken, logisch denken fällt mir zu diesem Zeitpunkt sehr schwer, die brennenden Schmerzen haben mich voll im Griff. Am liebsten würde ich schreien. Die Tränen stehen mir permanent in den Augen. Nur noch 7 Menschen. Bitte, schneller, ich halte das nicht mehr aus! Ja, ich weiß, jeder von Euch ist auch nicht ohne Grund hier, aber ich ertrage das nicht mehr. Ich habe den Eindruck, jeden Moment verbrennt und explodiert mein Körper um die Mitte herum. Dann können sie hier die Sauerei von dem blitzsauberen Boden weg wischen, wenn meine Innereien durch die sterile Krankenhausluft fliegen. Wahnsinn, mittlerweile nur noch 2 Menschen vor mir.

Endlich erreiche ich den kleinen Raum, der lediglich durch einen Vorhang von dem großen Treiben getrennt ist. Drei beherzte Menschen versorgen hier die akuten Krankheitsfälle. So wie mich, jetzt endlich! Ich berichte von den grausamen Schmerzen. Die junge Dame tippt Notizen in den PC. Hält mir einen leuchtenden Stift an die Stirn. „Messe kurz, ob sie Fieber haben.“ Ich rutsche unruhig auf dem Sessel hin und her und krümme mich vor Schmerz. Die Dame in blauer Kleidung drückt mir einen Plastikbecher mit einem feuchten Tuch in die Hand. „Folgen sie der gelben Linie und bringen sie mir den Becher gefüllt retour.“ Bitte, lass es nicht so weit sein, das Klo. Auf der Toilette verschütte ich fast die wertvolle Flüssigkeit. Brav, wie von der Dame in blau geordert, gebe ich meine Spende ab. Innerhalb von kürzester Zeit erhält sie einen Papierstreifen der einem Kassenbon im Supermarkt ähnelt. Die Werte sind nicht besonders erfreulich. Mit dieser Information schickt sie mich wieder zum Schalter. Von dort werde ich, mit einem frisch angelegten Akt, in einen langen Gang mit dutzenden Türen und großen Buchstaben an der Wand geschickt. Ich sacke in einen Sessel vor H, oder war es G, ich weiß es nicht mehr. Wie spät ist es eigentlich? Egal, ich will es gar nicht wissen. Nirgendwo hängt eine Uhr. Neben mir sitzt ein etwas beleibterer Herr, mit einer offenen Wunde am Bein. Er redet, und redet. Zuerst denke ich mit seinem Nachbarn, doch er spricht mit sich selber. Mir gegenüber steht ein stattlicher kahlköpfiger Mann in sehr feinem Gewand. Er hält sich am Griff eines Rollstuhls fest. Darin sitzt der Herr Papa. Ebenfalls sehr elegant gekleidet. Ein junger Mann mit Buch spricht den Kahlkopf an:“Ich kenne sie, weiß aber nicht woher“. Die Beiden finden bald heraus, es war der Golfclub.

„Frau K. bitte ins Zimmer H“, höre ich eine weibliche Stimme durch die Lautsprecher sagen. Ich betrete gekrümmt den Raum, nehme Platz. Die Ärztin ist äußerst nett und herzlich. Geduldig wartet sie, bis ich mich auf dem Untersuchungsbett platziert habe. Es dauert eine Weile und es fällt mir verdammt schwer verbunden mit den höllischen Schmerzen , mich von meiner Kleidung zu befreien. Gut dass es nur der Bauch ist, den sie untersucht. Mit der Ultraschallsonde die mit eisigem Gel eingecremt ist, fährt sie über meine Organe. Sie beobachtet am Bildschirm gewissenhaft meine Innereien. Keine Auffälligkeiten. Auch nicht an den Nieren, wie zu Beginn vermutet. Sie telefoniert kurz mit dem Stützpunkt und organisiert mir einen Boten für meinen zusätzlichen neuen Krankenakt. Dadurch erspare ich mir den Weg zurück zum Ausgangspunkt. Danke liebe Urologin.

Bitte Platz nehmen bei Zimmer G (oder war es I), ich weiß es wirklich nicht mehr. Die Gedankenfetzen, werden permanent von meinen Schmerzen übertrumpft. Wieder nehme ich Platz auf einen dieser gelbweißen Klappsessel. Sehen irgendwie, wie Sitze aus dem Kino oder Theater aus. Wie lange sitze ich hier eigentlich schon? Keinerlei Fenster nach Draußen. Ist es noch hell? Wieder werde ich über Lautsprecher ausgerufen. Der Orthopäde empfängt mich. Die Untersuchung dauert nicht sehr lange. Er schickt mich wieder zurück zur Urologin. Wie bitte?

Mit dieser Information gehe ich wieder zurück zum Anfang.

Erinnert mich an „Asterix erobert Rom“ *siehe Fußnote

Der äußerst nette Mitarbeiter, der Bote von vorhin, telefoniert mehrmals und teilt mir schlussendlich mit, ich müsse nun zum Internisten. „Nehmen sie Platz im Eingangsbereich, sie werden aufgerufen“ Wie oft, werde ich heute noch meinen Namen aus einem Lautsprecher hören?

Ich habe 8 x 8 Sitze zur Auswahl. 64 schwarze Plastiksessel, mit beweglichen Rückenlehnen. Ich wähle einen im vorderen Bereich. Wie im Kino, nur ohne Leinwand. Aber zu sehen und hören gibt es ausreichend. Mittlerweile treffe ich, auf mir schon bekannte Gesichter. Sie sitzen ebenfalls schon seit Stunden hier. Die Uhrzeit ist mir noch immer unbekannt. Ich überlege kurz runter ins Foyer zu fahren, um mir ein Getränk zu holen. Doch ich habe viel zu viel Angst, dass ich in der Zwischenzeit aufgerufen werden könnte.

Tante Rieke und ihre Nichte sitzen neben mir. Diese alte Dame ist entzückend. Sie trägt einen schicken Hut, eine große elegante Brille, Bernsteinschmuck um den Hals und an den Armgelenken. Ihre Finger vom Alter gezeichnet aber mit wunderbar rotlackierten Nägeln verschönert. Tante Riecke hat immer ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen. Die Nichte umsorgt sie liebevoll. Eine weitere Schlange steht vor dem Vorhang. Mittendrin ein Pärchen. Er in eine knallenge Jeans gezwängt und weißen T-Shirt. Die schwarzen Stiefeletten glänzen mit dem Krankenhausboden um die Wette. In seinen Armen, die Angebetete in unauffälliger Straßenkleidung und goldblonden langen Haaren. Immer wieder stellt sie sich auf die Zehenspitzen um ihn zu Küssen. Sie umarmt seine winzigen, fast unauffälligen Fettpölsterchen an der Seite. Wenn da nicht dieses knappe weiße T-Shirt wäre, man hätte sie kaum entdeckt. Wie auch den nassen Fleck am Rücken, Schweiß. Bei so viel Leidenschaft und Schmuserei in der Notaufnahme, kein Wunder. Die Beiden vergessen von Zeit zu Zeit die umstehenden Menschen, und eine Lücke entsteht in der Schlange. Die Menschen rundum schmunzeln schon, aber das Pärchen ist nur mit sich beschäftigt.

Zwischendurch trudelt mehrmals die Rettung mit Patienten ein. Diese werden rasch durch den Saal und in den Akutraum geschoben. Ich warte sehnsüchtig auf meinem Namen aus dem Lautsprecher.

In einem etwas abgedunkelten Zimmer, das sich hinter den Sesselreihen befindet, liegen etliche andere Patienten. Einige davon tragen Krankenhausschlafkleidung. Sie warten wohl ebenfalls auf eine Untersuchung. Plötzlich hektischen Treiben. Einige Pfleger laufen zusammen. Ich höre, wie jemand furchtbar hustet und/oder erbricht. Die blauen Engel schieben das Bett mit der Patientin raus aus dem dunklen Raum und verschwinden in einem der vielen langen Gänge.

Endlich! Ich höre meinen Namen. Ich kann es gar nicht glauben. A1 – diese Raumbezeichnung habe ich mir gemerkt. Der Arzt begrüsst mich höflich. Vier weitere Mitarbeiter befinden sich im Raum. Der junge Doktor mit dunklen Haar und Brille stellt Fragen. Wieder muss ich mich auf eine Liege quälen. „Nun, wir werden Blut von ihnen benötigen.“ Kein Problem, ich habe ausreichend davon. Mir macht diese Pikserei nichts aus. Ein sehr junger Pfleger setzt den „Venflon“ (Peripherer Venenkatheter)an. Alle sehen ihm zu. Zuerst bindet er mir noch den Gummischlauch um den rechten Oberarm. Ich balle die Faust. Er sucht eine passende Vene. Erster Stich in die Armbeuge. Die Nadel steckt, aber kein Blut fließt, zumindest nicht in das Röhrchen. Er zieht sie wieder raus. Pflaster auf das kleine Loch. Nächster Versuch, ich scherze und sage: „Wollt ihr mich tätowieren?“ Der zweite Stich gelingt ganz gut, doch nicht gut genug. Der junge Pfleger wird ein wenig nervös, die umstehenden Kollegen und der Arzt motivieren ihn zu einem neuerlichen Versuch. Er nimmt nun meinen linken Arm in Angriff. Es klappt. Drei Röhrchen werden mit meinem roten Saft gefüllt. Der Arzt fragt mich, ob ich an einen Tropf angehängt werden möchte, wegen der Schmerzen. Ich verneine. Das kenne ich schon. Die Schmerzen sind zwar nach wie vor die Hölle, aber wenn das Betäubungsmittel einmal in mir drin ist, wie soll man dann weiter die Ursache dafür finden? Der Arzt notiert meine Argumente. „Nun warten wir auf den Blutbefund und sehen dann weiter“, sagt der Mann im weißen Mantel. Ich frage, wie lange das etwa dauern wird. Jetzt entdecke ich das erste Mal eine Uhr.

Es ist 16 Uhr!  Dreieinhalb Stunden bin ich nun hier. Keinerlei Ergebnisse und die Schmerzen halten mich wach. Ich flüchte kurz ins Foyer, kaufe mir etwas zu Trinken und gehe raus in die kalte Winterluft. Mein Sohn ruft mich kurz an. „Nein, Du kannst mich noch nicht abholen, muss weiter warten.“ Ich sende meiner Allerliebsten eine SMS.

Um 18:25 Uhr fragt sie per SMS an, ob sie mich abholen soll. Ich tippe:“Will nur nach Hause!“ Warten, Schmerzen, rundum Menschen, jeder mit anderen Beschwerden und Leiden. Tante Riecke und ihre Nichte sind ebenfalls noch hier. Eine vierköpfige Rettungsmannschaft rast an uns vorbei. Auf der fahrbahren Trage liegt eine Frau die beatmet wird. Lebensgefahr. Sie verschwinden im Raum A1.

*Fußnote:

* Das Besorgen des „Passierscheins A 38“ aus der Präfektur, dem „Haus, das Verrückte macht“. Hierfür verlangen die Beamten immer wieder andere Formulare, die jeweils in anderen Teilen des Gebäudes zu besorgen sind. Diese nicht endende bürokratische Formalität hatte alle bisherigen Antragsteller verrückt gemacht. Asterix löst diese Aufgabe jedoch, indem er ein weiteres Formular erfindet, den „Passierschein A 39“, „wie er im neuen Rundschreiben B 65 festgelegt ist“. Auf der Suche nach diesem Formular werden die Beamten nun selbst verrückt.

Emergency Room - Teil 2

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