Über die alte Straße nach Sutivan, tote Partisanen und verlogene Zahnärzte.

Heute benutzen nur Radfahrer und Hundebesitzer die alte Straße von und nach Sutivan. Doch in alten Zeiten ist sie die Lebensader von Sutivan, die zur "Hauptstadt" der Insel, Supetar, führt. Und der Ort, wo manche Stivanjani ihr Leben verlieren. Wie Napoleon Vladisavić, der am Rand der alten Straße, unter Olivenbäumen, von den deutschen Besatzern erschossen wird.

Napoleons Stele

Nach einer Kurve, fast schon bei Mirca, dem Dorf zwischen Sutivan und Supetar, errichtet nach dem Krieg Napoleons Familie eine Stele, die an das blutige Ende eines Helden erinnert. Napoleon ist ein Partisan, der erst gegen die italienischen Faschisten kämpft und dann, als Italien 1943 kapituliert, gegen die Nazi-Soldaten, die die Italiener ablösen.

Das Kriegsende ist fast schon in Sichtweite, als an einem sonnigen Tag 1944 Napoleons Widerstand zu Ende ist. Es muss im Zuge der amphibischen Landung der Engländer bei Sumartin geschehen sein. Ganz Brač, oder zumindest der rote Anteil, erhebt sich gegen die verhassten Besatzer. Auch Napoleon ist dabei.

Niemand weiß genau, wie es geschieht. Wohl beginnen die Partisanen von Sutivan die Landungsoperation mit Scharmützeln zu unterstützen. Aus der Garnison von Supetar eilen Landser herbei, um die heldenhaften Stivanjani aufzuhalten. Was ihnen auch gelingt. Einer der überlebenden Gefangenen ist Napoleon. Die deutschen Soldaten stellen ihn einfach vor eine alte Olive und ballern in seinen mageren Körper, bis er aufhört zu zucken.

Nach Sonnenuntergang, als die Waffen schweigen, kommen die Frauen aus Sutivan, heben seinen zerschossenen Körper auf und tragen ihn in sein Dorf. Da wird er gewaschen, in einen Sarg gelegt und hoch oben auf dem Hügel des heiligen Rochus zusammen mit seinen Vorfahren begraben, die einst schon gegen die napoleonischen Besatzer kämpfen.

Warum er trotzdem den Namen Napoleon bekommt, bleibt eines der Rätsel, die schön sind, weil sie niemand zu klären vermag.

Um Wasser beten

In meiner Kindheit ist die einzige medizinische Einrichtung auf Brač die Ambulanz von Supetar. Dorthin fahren mein Großvater und ich, wenn es um meine Zähne geht. Doch an diesem Tag kommen wir zu spät zum klapprigen Autobus, der die beiden Dörfer verbindet. Was mich sehr freut, denn ich habe große Angst vor dem alten Zahnarzt, der immer lügt, es werde gar nicht wehtun.

Zu meiner Enttäuschung beschließt mein Großvater, dass wir ebenso gut zu Fuß gehen können. Der Tag ist von Wolken verdunkelt, also wird keiner von uns einen Sonnenstich abbekommen. Schon kurz nach der "Punta nigra", einer Bucht südlich des Dorfes, die die heutigen Stivanjani nur "Bunta" nennen, hört der Asphalt auf. Rechts von uns ist dichter Pinienwald, und links, wenige Meter neben der Straße, ist das Meer. Und ich denke nur an den alten Zahnarzt, seine Lüge und wie ich beidem doch noch entkommen könnte.

Bis wir die Hälfte des Weges beim großen Steinkreuz in Mirca erreichen, fällt mir nichts ein. Doch im Schatten des Kreuzes habe ich eine Idee. "Opa! Ich habe Durst!" Großvater Đuro, der alte Partisan, ist nicht beeindruckt. Im Gegenteil! Er scheint amüsiert. Und sagt: "Na, dann sind wir hier genau richtig!" Er deutet auf das Kreuz. "Wir beten um Wasser!" Ich bin verwirrt. "Opa", sage ich, "wird es dann regnen?" Mein über alles geliebter Großvater blickt auf die dicken schwarzen Wolken und lacht. "Na, sicher!" Wir sagen ein Vaterunser auf und gehen weiter.

Den Rest der Strecke stolpere ich mit in den Nacken gedrehtem Kopf, den Mund weit offen und himmelwärts gerichtet. Den Zahnarzt von Supetar vergesse ich gänzlich und warte auf das Wunder des Gebets. Bis ich trockenen Mundes vor dem Eingang der Ambulanz stehe.

Großvater Đuro lacht laut auf, als er mein überraschtes Gesicht sieht. Wir gehen durch die Tür. Draußen beginnt es zu regnen.

Das rote deutsche Automobil

Im Sommer 1992 ist ein neuer Krieg da. Die alte Straße nach Sutivan ist inzwischen vernachlässigt, leicht überwuchert und fast unbenutzt. Seit den 80er-Jahren gibt es ja eine neue. Das Asphaltband führt nicht mehr unmittelbar am Meer vorbei, sondern wenige hundert Meter westwärts.

Nur ein kleines Stück, knapp vor der Stele des Napoleon Vladisavić, verlaufen die beiden Straßen parallel in einem Abstand von 40 bis 50 Metern. Ich stapfe an diesem sonnigen Tag in Richtung Supetar. Weil ich Zahnweh habe und zum Zahnarzt muss. Längst ist da ein neuer Zahnarzt, der gegen eine kleine Gebühr auch Spritzen setzt, damit man beim Bohren wirklich nichts spürt.

Ich erinnere mich an jeden Schritt, den ich einst als kleiner Junge mit Opa Đuro gehe. Angst habe ich keine, weil mir die Spritze ja gewiss ist. Von Durst werde ich auch nicht geplagt, weil ich zwei eisgekühlte Bierdosen im Rucksack habe. Dann, die Stele des Napoleon ist schon in Sichtweite, bemerke ich ein rotes deutsches Auto, das langsam auf der neuen Straße rollt.

Das Fenster des Fahrers gleitet hinab, und er streckt seine Hand aus dem Auto. In der Faust hält er eine Pistole. Und zielt auf mich. Bis der Pinienwald die beiden Straßen wieder trennt. Das geschieht, weil ich in diesem Krieg die falsche "ethnische Blutgruppe" habe. Auch wenn ich nach wenigen Sekunden begreife, dass dies nur eine "spaßige" Einschüchterung ist, wird mir im Wald übel vor Angst. Ich kotze all das schöne kühle Bier aus, wasche mein Gesicht im Meer und setze meinen Weg nach Supetar fort.

Als ich im Stuhl des Zahnarztes sitze und er die Spritze aufzieht, sage ich nur: "Doktor, gib mir eine Pferdedosis." Nach der Behandlung mache ich genau das, wovor mich der Zahnarzt warnt: Ich trinke in der Hafenbar von Supetar drei doppelte Whiskey in drei Minuten. Dann schwebe ich auf der alten Straße nach Sutivan.

In der Bucht der "Punta nigra", kurz bevor Sutivan beginnt, lege ich mich am Strand in den Schatten einer uralten Pinie und schlafe bis zum Abend durch.

Während ich diese Geschichte schreibe ...

... sitze ich auf einer Bank auf dem Gelände des ehemaligen Geriatriezentrums in Hitzing. Ich bringe meinen Sohn oft auf den Spielplatz hinter den alten Pavillons, damit er auch andere Kinder kennenlernt. Kinder, die nicht das Glück haben, in Frieden in ihrer Heimat aufzuwachsen, sondern vor einem Krieg fliehen müssen, den Erwachsene anzetteln, die Kinderleben nicht achten. Und die andere Erwachsene – Politiker genannt – nicht zu uns lassen wollen, weil sie fürchten, Stimmen zu verlieren. Oder hoffen, damit Stimmen zu gewinnen. Zum Kotzen!

Schämt euch, ihr beschissenen Bastarde! Euch Bastarde zu nennen ist noch eine Beleidigung für alle Bastarde!

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